SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2007, Seite 16

Pakistan

Musharrafs Tage sind gezählt

von Farooq Tariq

Am 3.November verhängte Pakistans Staatspräsident und Armeegeneral, General Musharraf, das Kriegsrecht. Begründung: die religiösen Fundamentalisten entgleiten der Kontrolle des pakistanischen Militärregimes.
So hat sich General Musharraf die Lage am Tag 5 nach Verhängung des Kriegsrechts nicht vorgestellt. Selbst brutale Repression greift nicht. Alle Hoffnungen auf eine Normalisierung der Lage sind durchkreuzt.
Nach den Rechtsanwälten treten jetzt die Studierenden als politische Opposition gegen das Militärregime auf. Am 7.November gab es an den meisten öffentlichen und privaten Hochschulen in den größeren Städten Pakistans Demonstrationen. "Studentenmacht aus dem Schlummer erwacht", lautete die Schlagzeile der News International vom 8.November.
Alle Gerichtshöfe in Pakistan sind lahmgelegt, der Pakistanische Anwaltsrat hat einen unbefristeten Streik ausgerufen, bis die "Vorläufige Verfassungsmäßige Ordnung" (PCO, das Kriegsrecht) zurückgezogen ist. Jeden Tag demonstrieren überall in Pakistan Rechtsanwälte. Hier zeigen die Mittelschichten eine außergewöhnliche Kampfbereitschaft.
Die meisten Zeitungen Pakistans sind voll von Geschichten über Verhaftungen, Demonstrationen und Streiks verschiedener gesellschaftlicher Gruppen. Aber heute ist der fünfte Tag: Kein privater Fernsehkanal darf sein Programm in Pakistan ausstrahlen. Zu sehen sind nur Schlager, Tänze, Sport und religiöse Lesungen, keine Nachrichtensendungen, die sind nur dem Staatsfernsehen erlaubt.
Die überraschendste Opposition gegen das Militärregime kam von Benazir Bhutto. Sie stand mit Musharraf in Verhandlungen über eine Formel zur Teilung der Macht, als die Bewegung der Rechtsanwälte die unheilige Allianz durchkreuzte und Benazir Bhutto zwang, sich offen gegen das Militärregime zu stellen. Fast die Hälfte der verhafteten Rechtsanwälte gehört der von ihr geführten Pakistan People‘s Party (PPP) an.
Das lässt Bhutto wenig Spielraum für Tricksereien. Sie hat die Massen aufgefordert, sich gegen das Kriegsrecht zu erheben: "Setzt die Verfassung wieder in Kraft, oder es wird am 13.November einen langen Marsch von Lahore nach Islamabad geben", warnte sie. Danach wurden überall im Land Mitglieder der Volkspartei verhaftet, die von der ersten Welle der Repression nach dem 3.November verschont geblieben waren. Auch die Unternehmerverbände im Medienbereich haben sich der Bewegung angeschlossen.
Der 5.November war ein schwarzer Montag für die Börsen in Pakistan. An einem einzigen Tag gab es Nettoverluste in Höhe von 4 Milliarden Dollar.
Die Bewegung wächst weiter in allen Bereichen der Gesellschaft — trotz einer beispiellosen Repression in den ersten Tagen der Verhängung des Kriegsrechts. Die Polizei hat das Büro der pakistanischen Menschenrechtskommission gestürmt und über 80 soziale und politische Aktivisten festgenommen.
Sogar die Gebäude des Obersten Gerichtshofs hat die Polizei gestürmt und über 700 Anwälte in Gerichtssälen, Bibliotheken, Cafeterias und Kantinen verhaftet. Das wäre in der Vergangenheit undenkbar gewesen Das hat es nicht einmal unter dem brutalen Kriegsrecht von General Zia Ul-Haq in den 80er Jahren gegeben.
1734 politisch Aktive, Journalisten und Rechtsanwälte wurden dem Innenministerium der Provinz Punjab zufolge in den ersten vier Tagen des Kriegsrechts festgenommen. Ähnliche Zahlen meldeten die Behörden der anderen drei Provinzen. Die verhafteten Rechtsanwälte und politischen Aktivisten wurden nach dem Anti-Terrorismus-Gesetz angeklagt und irgendwo fernab ihrer Wohnorte eingekerkert. Niemand bekommt sie zu sehen.
Die Repression traf auch die Richter an den Obersten Gerichten, die sich mutig geweigert hatten, einen Eid auf die "Vorläufige Verfassungsmäßige Ordnung" abzulegen. Sie wurden unter Hausarrest gestellt, und ihren Kindern wurde verboten, zur Schule zu gehen. Ärzten, die zu Notfällen gerufen worden waren, wurde das Betreten der Häuser verwehrt.
Regelmäßig verwüstet die Polizei die Häuser der Rechtsanwälte und politischen Gegner des Militärregimes. Pakistan ist buchstäblich ein Polizei- und Militärstaat geworden. Überall in den größeren Städten sieht man Polizei. Raub und Diebstahl haben dramatisch zugenommen, weil die Polizei nur noch gegen die politische Opposition eingesetzt wird.
Die ist jetzt breiter als je zuvor. Musharraf verliert in rasantem Tempo innere und äußere Unterstützung. Die Unterstützung seiner bisherigen Freundin Benazir Bhutto hat er fast völlig verloren. Die religiösen Parteien sind gezwungen, ihre langjährigen Beziehungen zum Regime zu lösen. Die alten Allianzen sind in der Krise. Das Regime ist so in eine tiefe Staatskrise geraten. Es isoliert sich jeden Tag mehr. Heute wird es nur noch von zwei Parteien unterstützt, von der Muslim League Q und vom Muhajir Qaumi Movement. Beide sind bei den einfachen Menschen immer verhasster.
Die Freunde des Generals in den USA, Großbritannien und in der Europäischen Union sahen sich zum ersten Mal seit dem 9.September 2001 gezwungen, die Ausrufung des Notstands zumindest verbal zu verurteilen. Bislang hatte der US-Imperialismus jede schwere Menschenrechtsverletzung in Pakistan zu einer inneren Angelegenheit erklärt. Sogar Australien verurteilte die Zustände und nannte Musharraf einen "Diktator". Die Niederlande haben ihre Hilfe für Pakistan suspendiert, und die USA erwägen eine Überprüfung ihrer Beziehungen zum Militärregime, schreiben Zeitungen in Pakistan.
Der Staat kann nicht alle Stimmen unterdrücken, die sich gegen das Regime erheben. Die Preise galoppieren, die Arbeitslosigkeit nimmt zu. Das Wirtschaftswachstum hat nicht zu einem Anstieg des Existenzminimums geführt, mit dem über 70% der 160 Millionen Menschen auskommen müssen.
Das Regime kann nicht ewig bestehen. Die Bewegung ist erwacht und wächst. Der beispiellose Mut der Rechtsanwälte hat viele beeinflusst, die jetzt den Weg des aktiven Widerstands gehen.
Viele führende Mitglieder von Awami Jamhoori Tehreek (AJT), einem Bündnis aus sieben linken Parteien und Gruppen, sind in Haft, darunter Nisar Shah, der Vorsitzende der Labour Party Pakistan (LPP). Abid Hassan Minto, Sprecher des AJT und Vorsitzender der Nationalen Arbeiterpartei, hat alle linken Kräfte aufgefordert, sich der Bewegung anzuschließen und das Militärregime zu bekämpfen. Die Linke ist nicht länger eine unbedeutende Kraft in Pakistan. Die Studentenrevolte gegen das Regime ist hauptsächlich das Werk linker Kräfte und radikaler Aktivisten in sozialen Bewegungen.
Die Opposition gegen das Militärregime wird durch die aktive Solidarität unserer Freundinnen und Freunde, Genossinnen und Genossen außerhalb Pakistans gestärkt. Mahnwachen vor pakistanischen Botschaften überall in der Welt sind das wirkungsvollste Zeichen der Solidarität. Wir wissen, dass wir nicht alleine sind, aber wir müssen mehr darüber hören.
7.11.2007

Farooq Tariq ist Generalsekretär der Labour Party Pakistan (LPP) und seit dem 3.11. auf der Flucht vor der Polizei. Unter http://internationalviewpoint.org veröffentlicht er ein Tagebuch aus dem Untergrund.



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