SoZ - Sozialistische Zeitung

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SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2007, Seite 23

Öffentlich-Private Partnerschaft

Der Staat verschleudert öffentliches Gut

Das Beispiel der Berliner Wasserbetriebe

von Angela Klein

Die Preise für Betriebskosten (Gas, Strom, Wasser, Abwasser) sind in den letzten Jahren drastisch gestiegen. Mit Produktionskosten hat das nur bedingt zu tun. Zum großen Teil gehen diese Preissteigerungen auf die Privatisierung der Versorgungsunternehmen zurück. Public Private Partnership (PPP oder ÖPP), heißt das Modell, nach dem Anfang der 90er Jahre begonnen wurde, öffentliche Gelder an der kommunalen Selbstverwaltung vorbei in die Taschen von Privat zu schaufeln.Die Wasserpreise in Berlin sollen im Januar 2008 um knapp 2% angehoben werden. Das hat der Aufsichtsrat der Wasserbetriebe vorgeschlagen, der Senat muss dies genehmigen. Anfang 2007 sind die Tarife schon einmal um 1,9% gestiegen, in den Jahren 2004 und 2005 wurden sie sogar um insgesamt 21% erhöht. Die Berliner Wasserbetriebe gehören zur Hälfte den Unternehmen RWE und Veolia, zur anderen Hälfte dem Land Berlin.
1999 versprach die damalige Große Koalition im Berliner Senat, in der Annette Fugmann-Heesing (SPD) Finanzsenatorin war, durch die Hereinnahme eines "strategischen Partners" in die BWB würde der öffentliche Haushalt entlastet ("saniert"), das Unternehmen würde "effizienter" betrieben, dadurch würden die Wasserpreise sinken. Der Wasserpreis wurde zunächst bis 2003 festgeschrieben. Als diese Frist ausgelaufen war, wurde der Wasserpreis jedoch sofort um 15% erhöht, bis 2005 summierten sich die Preiserhöhungen auf 22%. Wie war dies möglich geworden?

Wie funktioniert PPP?

Die Teilprivatisierung der BWB geschah dadurch, dass eine Holding gegründet wurde: 50,1% davon hält die BWB, 49,9% eine Beteiligungsgesellschaft aus verschiedenen Privatunternehmen (übrig geblieben sind RWE Aqua, Vivendi, heute Veolia). Formal gesehen ist die Holding also, ebenso wie die BWB selbst, welche das operative Geschäft betreibt, in öffentlicher Hand. Dennoch ist alles anders als vorher.
Das Privatisierungsmodell orientierte sich an der Berliner Bankgesellschaft, die 1994 privatisiert worden war. Das Modell läuft so:
Durch die Gründung der Holding können Abgeordnetenhaus und Senat keinen Einfluss mehr auf die BWB nehmen, obwohl es mehrheitlich in öffentlicher Hand ist. Bestimmend sind jetzt die Ansprüche der Privaten.
Das garantiert ein Vertrag, welcher der Geheimhaltung unterliegt. Im Fall der BWB läuft er bis 2028. Alle PPP-Verträge sind geheim, die Stadträte oder Landesparlamente, die ihm zustimmen, haben den Vertrag nie zu Gesicht bekommen, sie verlassen sich auf die Aussagen des (Ober-)Bürgermeisters oder anderer Regierungsmitglieder, die jedoch befangen sind, weil sie selber in der Holding hoch dotierte Posten bekleiden oder sonst wie auf der Gehaltsliste der Privaten stehen.
Die PPP-Verträge sind Musterverträge, entworfen von US-amerikanischen Kanzleien: Wirtschaftsprüfer Price Waterhouse Coopers (PWC), oder Anwaltskanzleien wie Freshfield Bruckhaus Deringer, Clifford Chance Pünder u.a. haben in diesem Geschäft die Nase vorn. Sie haben der "rot- grünen" Bundesregierung auch den Gesetzentwurf für das im Jahr 2005 beschlossene "PPP- Beschleunigungsgesetz" geschrieben. Sie enthalten alle eine Gewinngarantie für die Privaten — damit wird das Kostendeckungsprinzip, das die Gemeindeordnung der Bundesländer für öffentliche Leistungen vorschreibt, ausgehebelt. "Beratungsunternehmen" machen sich damit verdient, diese Geschäfte anzubahnen und zu organisieren. Im Fall der BWB war das Merril Lynch, häufig ist es McKinsey oder Ernst & Young). (Aber auch deutsche Kanzleien kommen zum Zuge: Bei der Verscherbelung des Tafelsilbers von Mülheim an der Ruhr war das Heuking Kühn Lüer Wojtek & Partner, die größte Kanzlei in NRW mit ihrer unrühmlichen Staranwältin Ute Jasper.)
Das Kostendeckungsprinzip schreibt vor, dass die Preise, die für öffentliche Güter erhoben werden, ihre Gestehungskosten decken müssen — nicht mehr. Das bedeutet auch: Wenn diese Kosten sinken, können (sollten) auch die Preise sinken. Mit der Gewinngarantie tritt ein anderes Prinzip an die Stelle: Das Unternehmen versteht sich nicht mehr als Dienstleistungsunternehmen, das verpflichtet ist, dem Verbraucher flächendeckend und möglichst kostengünstig ein öffentliches Gut anzubieten, sondern als ein Unternehmen, dessen Ziel es ist, Gewinne in die Taschen privater Aktionäre zu erwirtschaften. Dass die öffentliche Hand formal Mehrheitseigentümerin ist, ändert daran gar nichts — der Unternehmenszweck hat sich geändert.
PPP-Verträge enthalten noch ein drittes Element: Die Steuerfreiheit, welche öffentlich-rechtliche Unternehmen genießen — weil sie einen öffentlichen Auftrag haben! —, bleibt erhalten, obwohl sie diesen Zweck nicht mehr erfüllen — weil das Eigentum mehrheitlich noch in öffentlicher Hand ist. Dem Staat entgehen dadurch Steuern, die die Privaten zahlen müssten.
Zusammengefasst: Es bildet sich ein Filz — öffentlich/privat — in dem Politiker (Union oder SPD) hoch dafür dotiert werden, dass sie öffentliche Unternehmen, unter Beibehaltung der Privilegien, die diese genießen, Privatunternehmen und deren Aktionären zum Ausschlachten freigeben.

Die Lügen der Privatisierung

Die vertraglich zugesicherte Gewinngarantie verhindert geradezu, dass die Preise sinken. Insofern sind solche Versprechungen von vornherein eine Lüge. Die Formulierung, die dafür mit geringen Abweichungen in allen Verträgen benutzt wird, lautet:
"Als angemessene kalkulatorische Verzinsung des von dem Privaten eingesetzten Eigenkapitals gilt die durchschnittliche Rendite zehnjähriger deutscher Bundesanleihen in einem Zeitraum von 20 Jahren, die der jeweiligen Kalkulationsperiode vorausgehen, zuzüglich eines jeweiligen, dem unternehmerischen Risiko angemessenen Risikozuschlags."
Langlaufende Bundesanleihen wurden in den letzten zehn Jahren mit etwa 5% verzinst. Was ein "angemessener Risikozuschlag" ist, bleibt offen.
Bei den Berliner Wasserbetrieben hatte der Senat den Privaten die sog. "r+2-Klausel" zugestanden. Hier kommt zur durchschnittliche Rendite langlaufender deutscher Bundesanleihen noch ein fester Satz von 2% hinzu. Im Fall der BWB gab das Land den Privaten 8% Gewinngarantie. Zusätzlich wurde eine "Effizienzsteigerungsklausel" vereinbart: Demnach dürfen "Effizienzgewinne" — die zusätzlich anfallen und sich z.B. aus Einsparungen durch Arbeitsplatzabbau, Lohnsenkungen, Verschlechterung der Infrastruktur usw. ergeben — erst nach drei Jahren über sinkende Wasser- und Abwasserpreise an die Bürger weiter gegeben werden.
Weil die Mitglieder des Abgeordnetenhauses "über entscheidende Feinheiten nicht informiert worden waren", zogen Grünen und PDS vor das Landesverfassungsgericht. Dieses erklärte die Effizienzklausel wie auch die "r+2-Klausel" für unzulässig — letztere aber nur der Höhe, nicht dem Prinzip nach. Die Verscherbelung öffentlichen Eigentums an Private erhielt somit auch noch richterliche Weihen.
Für die BWB bedeutete das nur, dass die Form der Gewinngarantie geändert wurde. Das Land Berlin verzichtet jetzt auf den seinem Anteil entsprechenden Betriebsgewinn und auf die Konzessionsabgabe — es verschenkt das Geld also ganz real, und zwar an Private, die eh eine goldene Nase verdienen. Für das Jahr 2004 wurden an die privaten Minderheitsgesellschafter zusammen 134 Millionen Euro Gewinn ausgeschüttet, an den Mehrheitsgesellschafter Berlin jedoch nur 35 Millionen Euro.
Effizienzgewinne schlagen sich jetzt nicht mehr in Kostenvorteilen für die Kommune nieder, sondern in schlechteren Leistungen, Verrottung der Infrastruktur, Entlassungen und Gehaltskürzungen. Die Instandhaltungsaufwendungen der BWB wurden seit der Teilprivatisierung jährlich um 250 Millionen Euro gekürzt, somit halbiert; gleichzeitig wurden 3000 der vorher 7000 Beschäftigten zulasten der Sozialkassen in den Vorruhestand abgedrängt. Das Zurückfahren der Investitionen führte zu Auftragsausfällen und Arbeitsplatzverlusten auch bei den zuarbeitenden mittelständischen Unternehmen. Der Wasserpreis aber stieg in sieben Jahren um 28%.
Auflagen an die Privaten in Bezug auf den Zustand der Anlagen, Qualität und Preis der Leistungen gibt es keine. Hier gilt in den PPP-Verträgen standardmäßig die sog. "Forfaitierung mit Einredeverzicht". Was heißt das?
Forfaitierung heißt: Die private PPP-Gesellschaft (im Fall der BWB die Beteiligungsgesellschaft) kann ihre Forderungen auf Nutzungsentgelte (Gebühren, Mieten usw.), die sie gegenüber der öffentlichen Hand hat, an eine Bank verkaufen. Die Gemeinde oder das Land zahlen die laufenden Entgelte dann direkt an die Bank. Der Verkauf der Forderungen an die Bank lohnt sich für die Investoren, weil sie damit die Gesamtsumme, die sich aus den Forderungen über einen Zeitraum von 29 Jahren ergeben, auf einen Schlag erhalten; sie brauchen keinen Kredit aufzunehmen. Das Land aber hat faktisch einen verdeckten Kredit aufgenommen, und die Bank hat jetzt den Daumen auf der BWB.
Einredeverzicht bedeutet: Die öffentliche Hand zahlt die Entgelte an die Bank, unabhängig davon, ob die Privaten die vereinbarte Leistung erbringen oder nicht. Erbringen sie sie nicht, können sie aber auch nicht mehr belangt werden. Das Land hat per Vertrag darauf verzichtet, und die Privaten haben sich durch den Verkauf ihrer Forderungen an die Bank schon aus dem Staub gemacht. Das Land kann nur im Nachhinein versuchen, auf dem Rechtsweg einen Schadenersatz zu erzwingen. Geht der Investor pleite, geht das Land leer aus und muss trotzdem zahlen.
Sind die Anlagen nach 30 Jahren verrottet, zahlt wiederum die öffentliche Hand. Eine vorzeitige Kündigung der Verträge ist erst im Jahr 2023 möglich. Viele Berliner BürgerInnen fordern das. Allerdings sieht der Vertrag vor, dass im Fall der vorzeitigen Kündigung das Land den Kaufpreis zurückerstattet und sofort ein Schadenersatz für den entgangenen Gewinn sowie eine Rückzahlung der Investitionen fällig wird.
Solche Verträge sind sittenwidrig!

PPP ist teuer

Der Verkauf der Anteile an der BWB hat dem Land Berlin 1,68 Milliaden Euro in die Kasse gespült. Am 10.Januar 2007 räumt Michael Müller, von 1998 bis 2005 war Müller stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, heute Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesumweltministerium, auf einer öffentlichen Parteiveranstaltung der SPD ein: Das PPP-Projekt Berliner Wasserbetriebe kostet den Berliner Steuerzahler mindestens 3 Milliarden Euro. "Das ist eben so."
Denn das Land zahlt dreifach: an die Bank leitet sie die Gebührenentgelte weiter, statt sie selber einzustreichen; an die Privaten zahlt sie die Gewinngarantie, was ihre eigenen Gewinne schmälert; und sie zahlt den Ersatz für Leistungen, die sie nicht erhält und für den Verbrauch öffentlicher Anlagen. Die BWB hat seit ihrer Teilprivatisierung die Ausgaben für Instandhaltungen um die Hälfte, nämlich jährlich um 250 Mio. Euro reduziert.
Das größte Versprechen, das mit der Privatisierung stets verbunden wird, ist das der Entlastung oder "Sanierung" der öffentlichen Haushalte. Es ist die größte Lüge. In Bezug auf Berlin schreibt Werner Rügemer in seinem Buch Privatisierung in Deutschland. Eine Bilanz (Münster, 2006): "Alle Versprechungen wurden nicht erfüllt. Die gesamten Verkäufe (Bankgesellschaft, Wasserbetriebe, Elektrizitätswerk, Gaswerk, die landeseigenen Wohnungsgesellschaften, die Kliniken) brachten dem Land etwa sieben Millionen Euro ein. Der Landeshaushalt ist aber stärker verschuldet als vorher. Die Verluste aus der Privatisierung der Bankgesellschaft belaufen sich bisher auf mindestens 8 Milliarden Euro. Ein Teil der Mieterhöhungen bei den privatisierten Wohnungen muss durch Wohngeld aus der Landeskasse ausgeglichen werden. In den privatisierten Unternehmen fielen bis Mitte 2004 insgesamt etwa 25000 Arbeitsplätze weg."
Gewinner sind neben den Investoren auch die Politiker, die die Privatisierungen angeschoben haben und sich dann als Berater selbständig gemacht haben. In Berlin sind dies u.a. der ehemalige Bürgermeister Dietrich Stobbe, der den Landkreis Offenbach bei der Privatisierung der Schulen berät, und die ehemalige Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing. Der Landkreis Offenbach muss heute doppelt soviel Geld für die Gebäudebewirtschaftung der Schulen ausgeben als vor zwei Jahren. Seine Verschuldung hat sich seitdem vervierfacht.
Der Bundesrechnungshof hat unlängst festgestellt: PPP ist nichts anderes als eine besonders listige und teure Form des Schuldenmachens. Teuer, weil die Gebietskörperschaften überdurchschnittlich hohe Zinsen über unverhältnismäßig lange Zeiträume zahlen müssen. Listig, weil die relevanten Risiken vertraglich abgesichert bei den Kommunen hängen bleiben. PPP ist die kommunale Schuldenfalle schlechthin. Es ist der Hebel zur Privatisierung des Staates.
Verlierer sind die Lohnabhängigen: als Beschäftigte im öffentlichen Dienst und als Bürger des Gemeinwesens.


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