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Ilan Pappe, israelischer Historiker und Politikwissenschaftler, hat seiner
Heimat fürs erste den Rücken gekehrt, "doch hoffentlich nicht für immer". In
England, wo er derzeit lebt, forscht und unterrichtet, hofft er, "nicht wie ein Pestkranker gemieden
zu werden", sagt Pappe in einem Interview mit Il Manifesto.
Die ethnische Säuberung
Palästinas ist vermutlich das Werk, das seinem Ruf in Israel den schwersten Schlag versetzt hat.
Bereits in den 80er Jahren waren Pappe und
andere israelische Historiker angeeckt, als sie zeigten, "wie falsch und absurd die israelische
Behauptung war, die Palästinenser hätten das Land aus freien Stücken
verlassen". Doch Pappe ließ vor allem ein Tabu keine Ruhe, das er und seine Historikerkollegen
bisher nicht angerührt hatten: die massiven ethnischen Säuberungen, die mit der
Staatsgründung Israels einhergingen.
Anhand der Äußerungen und
Handlungen führender Zionisten der Gründungsjahre deckt Pappe den Kerngedanken des zionistischen
Konzepts auf. Demnach konnte und kann ein jüdischer Staat nur mit Gewalt durchgesetzt und
aufrechterhalten werden. Das Muster der frühen Jahre wirkt fort, solange es tabuisiert bleibt, und
verhindert weiterhin jede friedliche Lösung. Deshalb geht es Pappe darum, an die Stelle des von der
israelischen Propaganda behaupteten Kriegsparadigmas das Paradigma der ethnischen Säuberung zu setzen:
"Als die zionistische Bewegung ihren Nationalstaat gründete, war es keineswegs so, dass sie einen
Krieg führte", bei dem es auch zu Vertreibungen kam. Im Gegenteil: "Das Hauptziel (war) die
ethnische Säuberung ganz Palästinas."
David Ben Gurion, damals eine führende
Persönlichkeit unter den jüdischen Einwanderern, sprach sich am 2.November 1947 vor der Exekutive
der Jewish Agency unmissverständlich für ethnische Säuberungen aus; sie sollten
gewährleisten, dass der neue Staat ausschließlich jüdisch sei. Am 3.Dezember desselben
Jahres bedauerte er in einer Rede vor Mitgliedern der israelischen Arbeitspartei, dass es "in den
Gebieten, die dem jüdischen Staat [von der UN] zugewiesen sind ... 40% Nichtjuden" gibt. Ein
jüdischer Staat sei erst mit 80% Juden lebensfähig und stabil.
Am 10.März 1948 verabredeten Gurion
und zehn weitere zivile und militärische Vertreter der zionistischen Bewegung einen Masterplan zur
ethnischen Säuberung Palästinas. 531 Dörfer und 11 städtische Siedlungen wurden mit
Waffengewalt geräumt, 800000 Palästinenser zur Flucht gezwungen, die Häuser samt Mobiliar
dem Erdboden gleichgemacht und die Ruinen vermint, damit die Vertriebenen nicht zurückkehren konnten.
Wenn bis heute alle israelischen
Regierungen jedes Gespräch über ein Rückkehrrecht unbedingt verhindern wollen, so steckt
laut Pappe "eine tiefsitzende Angst vor einer Debatte über die Ereignisse von 1948"
dahinter, "da Israels Behandlung der Palästinenser zwangsläufig beunruhigende
Fragen nach der moralischen Legitimität des gesamten zionistischen Projekts aufwerfen
würde". Solange diese Debatte nicht geführt wird, sind alle Friedensverhandlungen zum
Scheitern verurteilt.
Pappe nennt es "Memorizid an der
Nakba", wenn der Jewish National Fund (JNF) dafür sorgt, dass auf den Ruinen
palästinensischer Dörfer Wälder und Erholungsgebiete entstehen, zu denen auf Websites und
Tafeln am Wegesrand jeweils die kolonialistische Umdeutung von Landschaft und Geschichte mitgeliefert wird.
Der Memorizid ist auch heute noch wirksam, wenn die täglichen Bombardierungen des dicht
bevölkerten Gazastreifens oder die Ermordung von Terrorverdächtigen, einschließlich der
dabei entstehenden "Kollateralschäden" stillschweigend hingenommen werden. Das sind nicht
nur "interessante Parallelen", es sind erstaunlich und erschreckend wirksame Mechanismen der
Geschichtsklitterung und Mythenbildung, die Fakten schaffen und zementieren helfen nicht zuletzt die
Mauer, ein monströses Bauwerk, das faktisch das Landraub- und Vertreibungsprojekt fortführt, das
vor 60 Jahren begann. "Israel", heißt es im Epilog, "hat nie aufgehört,
Palästinenser zu töten", als wären sie vogelfrei, ob in Kfar Quassim, wo am 29.Oktober
1959 israelische Truppen 49 Einwohner auf dem Heimweg von den Feldern ermordeten, 1982 in Sabra und
Shatila, oder 2002 im Flüchtlingslager Jenin.
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