SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2007, Seite 28

Das politische Buch

Gabriele Del Grande: Mamadou geht in den Tod (Hg. Verein borderline — europe, Menschenrechte ohne Grenzen e.V.), Stuttgart 2007

Mamadou geht in den Tod sammelt die Geschichten von Überlebenden und Opfern der europäischen Abschottungspolitik. Der Autor hat die Länder des Südens bereist, Algerien, die Sahara, Senegal, Tunesien und Mali. Er hat mit Menschen gesprochen, die in Libyen oder Griechenland gestrandet sind, mit Eltern von Vermissten und Verschwundenen in Italien und Marokko. Auf seinen Reisen dokumentiert er Fluchtgeschichten. Zum Beispiel die von Bashir, der zwei Jahre seines Lebens im Rumpf eines Frachtschiffes verbrachte. Er musste aus Pakistan fliehen, weil er dort für eine Oppositionspartei arbeitete. 10000 Euro zahlte er für seine Flucht, die ihn an Bord des Frachtschiffs McKethy führte. Er hatte keine Ahnung, welche Route der Frachter nahm, ihm war verboten, tagsüber den Rumpf des Schiffes zu verlassen.
Nach fünf Monaten schiffte er sich in Suez erneut ein — er sollte es erst 19 Monate später verlassen. "Die Fahrer sagen, dass das Schiff in Richtung Sizilien unterwegs ist. Eine Fahrt von wenigen Tagen. Aber die Reise wird endlos. Die meiste Zeit liegt das Frachtschiff in Häfen des ganzen Mittelmeerraums fest. Es ist verboten, das Dunkel zu verlassen, die Hitze im Sommer und die feuchte Kälte im Winter. Eineinhalb Jahre verstreichen. Jeden Tag bringen sie etwas zu essen. Es sind ungefähr 100 Personen an Bord."
Mamadou geht in den Tod liest sich wie Geschichten aus dem Horrorkabinett. Neben die Fluchtgeschichten tritt der Umgang der staatlichen Beamten mit Flüchtlingen und die Schwierigkeiten und inneren Konflikte letztlich aller am Abschottungssystem Beteiligten.
Das System reicht weit. Griechenland schiebt ohne Absprachen Menschen in türkische Hoheitsgewässer ab, in Libyen werden Flüchtlinge verhaftet, gefoltert und kollektiv in die Wüste im Niger abgeschoben, in Tunesien macht die Küstenwache Jagd auf Flüchtlingsboote. Die Liste lässt sich unendlich fortsetzen.
Im Fall von Italien wird der Autor sehr konkret: "Die Medienberichterstattung über die irreguläre Migration entfernt sich immer mehr von den tatsächlichen Zahlen, und die Komplexität der Thematik wird von den spektakulären Bildern der Landung von Flüchtlingen und durch den Gebrauch einer platten sensationsheischenden Sprache verdorben. Eine Sprache, die nur "Extra-Comunitari" — die von außerhalb der EU, Anstürme auf Lampedusa, Wellen und Invasionen kennt." 20000 Flüchtlinge stranden Jahr für Jahr auf Sizilien, aber 63% der Ausländer, die sich ohne Erlaubnis in Italien aufhalten, sind mit einem Touristenvisum eingereist. Es sind die sog. "overstayers", diejenigen, die ihr Touristenvisum auslaufen lassen. Diese Daten aus dem italienischen Innenministerium beziehen sich auf die erste Hälfte von 2006. 24% derer, die keine Aufenthaltspapiere haben, sind eher aus Frankreich eingereist als aus der Schweiz, Österreich oder Slowenien. Die 22016 Menschen, die 2006 in Sizilien, Apulien und Kalabrien gelandet sind, machen nur 13% der sog. illegalen Einreisen aus. Seriöse Schätzungen gehen zudem davon aus, dass auf einen gelandeten Flüchtling einer auf der Meerfahrt Ertrunkener kommt.

Kristina Nauditt


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