SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2007, Seite 30

Hans Söllner:

Viet Nam (Trikont)

Es ist knapp vier Jahre her, dass ich begeistert war, wie Jimmy Cliff aus seinem "Vietnam" live eine zehnminütige Anklage gegen den Krieg der "Achse der Guten" im Irak machte. Nun, kurz vor den zu erwartenden unsäglichen Hasstriaden auf 1968 veröffentlicht der bayrische Anarcho-Marley Hans Sölllner eine CD mit dem Titel Viet Nam. Es hat sicherlich wirklich keiner damit gerechnet, dass der Söllner Hans eine Coverversion dieses — nach Bob Dylan besten Protestsongs — auf den Markt wirft. Und doch hat die CD eine Menge zu tun mit der Anklage des Jimmy Cliff. Während dieser den Krieg auf der anderen Seite der Erde in die private ganz intime Situation daheim einschlagen lässt, spielt Hans Söllner genau mit der Wechselwirkung zwischen intimen, privatem und öffentlichem, politischen.
"Es gibt allwei was zu tun" ist die Aussage im Titelsong "Viet Nam" die bei mir hängen bleibt. Aber auf einzelne Aussagen reduzieren darf man die Lieder Söllners nicht, sonst hat man selbst bei einer Begeisterung für die Lieder die Haltung der Staatsanwälte und Richter, die ihn für einzelne Textzeilen am liebsten aus dem Verkehr ziehen würden. Es ist die gesamte Haltung der Lieder, gleich ob es dabei um Neuauflagen alter Songs oder um neues Material handelt: "Ich liebe dieses Land und meine Heimat, ich liebe diese Welt und die darauf lebenden und seienden Menschen und Lebewesen in all ihren Farben und Sprachen und Gerüchen. Ich erkenne die Vielfalt an und alle Gewalttätigkeiten, Schmerzen und Ängste sind ein Geschwür unserer nicht mehr im Einklang mit der Natur lebenden Gesellschaft."
Die CD, die seiner verstorbenen Schwester Elke "mit großem Respekt" gewidmet ist, präsentiert wieder gefühlvolle Sinnesfreude, egal ob es Wut, Ratschlag oder Trauer ist. Das Bayaman Sissdem, das ihn zum vierten Mal bei einer CD-Produktion begeleitet, erahnt diese Stimmung, unterstreicht sie, wo es notwendig ist und nimmt sich ebenso passend zurück. Besonders die Wiederauflage von "Edeltraut" aus dem 92er Album gewinnt durch die Band. Bei anderen Lieder unterstreicht die Musik die Aussage Söllners, dass er die Gitarre nur dazu nimmt, da er keine Gedichte vortragen möchte.
Die Hits auf der CD sind sicherlich Titel wie "Lass flieg‘n deine Dreads" oder auch das bis an den Rand vollgepackte "Damaskus". Mein persönlicher Hit ist allerdings "Trostlos". Auch (oder gerade) aufgrund meiner optimistischen Grundeinstellung hat es mir dieses Lied besonders angetan. Es folgt dem Abschiedslied für seine Schwester, "So gern", nimmt die Stimmung auf, politisiert sie und wendet es zum Mut, der seine Quelle in einer einfachen Begegnung findet. "Trostlose Politik, in der der Mensch nichts zählt", ist einer der Ausgangspunkte, die immer wieder enden in der Feststellung "Aber da gibt‘s noch was anderes schaut einfach hin... manchmal kimmst du daher, der einzige Lichtblick in einer trostlosen Zeit."
Das letzte Lied auf der CD, "Vorbei damit", dauert weitaus länger als die auf dem Cover angegeben fünf Minuten. Und nach der Pause, die die Ungeduldigen vorspulen können, nimmt Hans Söllner doch das Thema von Jimmy Cliffs "Vietnam" auf. Hier ist es nicht der Krieg, der die Botschaft des Todes nach Hause schickt, sondern das Zerbrechen am Schulsystem. Selbstmord ist bei Jugendlichen in Deutschland nach den tödlichen Unfällen im Straßenverkehr die zweithäufigste Todesursache. Im Durchschnitt versuchen täglich vierzig Jugendliche in Deutschland, sich das Leben zu nehmen, drei von ihnen überleben den Versuch nicht. Es sei einmal dahingestellt, ob es die Lehrer sind, die als einzige lachen am letzten Schultag — aber die Kinderfeindlichkeit der Schule, bei der nur noch Pisa geschrien wird und die Kinder potenzielles Humankapital sind, das ist die Welt, gegen die Hans Söllner ansingt.

Thomas Schroedter


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