SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2008, Seite 07

Bauarbeiterstreik in der Schweiz

Entschlossener Kampf beschert Erfolg - Baumeister versuchen, Landesmanteltarif zu kippen

von Hans Hartmann

Das Baugewerbe ist ein wichtiger Zweig der Schweizer Wirtschaft. Doch seit 15 Jahren befindet es sich in einer strukturellen Krise, die zu immer heftigeren Arbeits- und Verteilungskämpfen in den dazugehörigen Branchen führen.
Das Schweizerische Baugewerbe (inklusive Baunebengewerbe) bietet 7% der Arbeitnehmenden Beschäftigung. Sie erwirtschaften zwar nur rund 5,5% der direkten Wertschöpfung, aber von ihren Infrastrukturleistungen sind praktisch alle anderen Wirtschaftszweige abhängig. Allerdings gehen die Beschäftigtenzahlen seit 1990 jedes Jahr um 1,5% zurück — ganz im Gegensatz zum gleichzeitigen Beschäftigungswachstum in der Gesamtwirtschaft. Am schärfsten zeigt sich diese Tendenz im Bauhauptgewerbe, wo sich die Zahl der Arbeitsplätze in diesem Zeitraum auf 80000 Vollzeitbeschäftigte verringert und damit beinahe halbiert hat. Die Zahl der Betriebe hingegen ist — trotz einigen spektakulären Fusionen bei Großbetrieben — mit etwa 5000 Unternehmen praktisch konstant geblieben.
Während also die Schweizerischen Bauunternehmer die Strukturkrise vor sich her schieben und ineffiziente Klein- und Kleinststrukturen zementieren, zahlen die Bauleute den Preis für den ständig steigenden Produktivitätsdruck. Immer weniger Bauarbeiter müssen die gleiche bzw. eine steigende Bauleistung erbringen — insbesondere in der seit mehreren Jahren andauernden guten Baukonjunktur. Arbeitsverdichtung, Flexiblisierungsdruck und massive Stresszunahme sind die Folgen. Verschärft wird diese Entwicklung durch die Öffnung des Schweizerischen Arbeitsmarktes gegenüber der EU, die insbesondere auf dem Bau zu erheblicher Arbeitsimmigration, Lohnstagnation und Lohndumping geführt hat.
Umso wichtiger ist für die Bauarbeiter der sog. Landesmantelvertrag (LMV). Er besteht seit 70 Jahren und ist damit einer der ältesten allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsverträge der Schweiz — ein Symbol der Stärke und Kampfbereitschaft der Arbeiterbewegung, wurde er doch über Jahrzehnte hinweg in unzähligen Arbeitskämpfen verteidigt und verbessert. Der LMV sichert den Bauleuten heute verhältnismäßig gute Arbeitsbedingungen, gute Mindestlöhne und Schutz gegen Lohn- und Sozialdumping, was um so wichtiger ist, als die Schweizer Arbeitsgesetzgebung die Arbeitsbeziehungen nur rudimentär regelt.
Die Bauleute gelten in der Schweiz traditionell als der kämpferischste Teil der Gewerkschaftsbewegung, das verdanken sie nicht zuletzt dem hohen Anteil von gut integrierten Arbeitsmigranten. Zwei Drittel der Bauleute haben keinen Schweizer Pass, etwa 70% von ihnen sind gewerkschaftlich organisiert. Sie sind mit ein Grund dafür, dass über die Hälfte der Mitglieder der größten Schweizer Gewerkschaft, der Unia, ausländischer Herkunft sind.

Das Kleingewerbe geht in die Offensive

Jahrzehntelang wurde der LMV im Bauhauptgewerbe — trotz periodischer Auseinandersetzungen mit den Gewerkschaften — auch von Arbeitgeberseite im Sinne einer branchenorientierten Sozialpartnerschaft verstanden und getragen. Streiks waren die große Ausnahme. Dies änderte sich in den neunziger Jahren, als eine lange Wirtschaftskrise den Verteilungsspielraum verkleinerte, und neoliberale Deregulierungsideologien auch bei den Bauunternehmern an Boden gewannen.
Als die damalige Baugewerkschaft GBI (heute: Unia) versuchte, über den Aufbau der verloren gegangenen Kampfbereitschaft Arbeitnehmerinteressen zu verteidigen, und im Konfliktfall auch mal zum Mittel des Streiks griff, reagierte der Schweizer Baumeisterverband (SBV) überfordert. Er verlor einige harte Streikauseinandersetzungen und ersetzte schließlich im Jahr 2002 seine desorientierte Führung durch eine neue Crew unter der Führung des freisinnig-demokratischen Nationalrats Werner Messmer, der selber ein kleines Bauunternehmen besitzt.
Die neue SBV-Führung wird klar dominiert durch die kleingewerblichen, konservativen Bauunternehmen der Deutschschweiz und verfolgt gegenüber den Gewerkschaften eine harte, um nicht zu sagen destruktive Deregulierungslinie. Ihr Programm ist die völlige Abschaffung beziehungsweise Aushöhlung der sozialpartnerschaftlichen Strukturen und insbesondere des LMV.
Im Frühling 2007 — die GBI hatte sich inzwischen mit anderen Industrie- und Dienstleistungsgewerkschaften zur Unia vereinigt — holte der SBV zu seinem "Befreiungsschlag" aus. Als er in den Verhandlungen für einen neuen Gesamtarbeitsvertrag sein maßloses Abbauprogramm und insbesondere die Forderung nach fast vollständiger Flexibilisierung der Arbeitszeiten nicht durchsetzen konnte, brach er kurzerhand die Verhandlungen ab und kündigte den Landesmantelvertrag am 23.Mai 2007 einseitig.
Es folgte ein monatelanges Versteck- und Desinformationsspiel, in dem der SBV-Präsident sich öffentlich gesprächsbereit zeigte, tatsächlich aber alles unternahm, um eine Lösung zu verhindern. Einen Verhandlungstermin eingehen mochte der Baumeisterverband erst im vertragslosen Zustand Anfang Oktober. Offenbar hoffte der SBV, dadurch den Druck auf die Gewerkschaften zu erhöhen und sie in die Knie zu zwingen.
Aber diese Rechnung ist nicht aufgegangen. Denn parallel zu den Verhandlungsbemühungen baute die Unia die größte Arbeitskampfbewegung in der Schweiz seit der Auseinandersetzung um die Frühpensionierung auf dem Bau (2002) auf.

Sorgfältiger Aufbau von Kampfmaßnahmen

Größere Protestdemonstrationen in Luzern und Genf mit je 3000 Bauleuten bildeten im Juni den Auftakt zur Mobilisierung. Bei einer schriftlichen Umfrage auf fast allen Schweizer Baustellen sprachen sich in den Sommermonaten 30598 Bauarbeiter (84,5% aller Befragten) für Streikmaßnahmen aus. Ein weiteres deutliches Zeichen setzte dann die Demonstration vom 22.September in Zürich, die eine Rekordbeteiligung von 17000 Bauleuten verzeichnete. Aber der Baumeisterverband stellte sich weiter taub.
In dieser verfahrene Situation griffen die Gewerkschaften zum Mittel des Streiks. Sie begannen kurz nach Beginn des vertragslosen Zustands mit einem Überraschungscoup am Freitagabend, dem 12.Oktober: Die Arbeiter der Nachtschicht auf den Neat- Baustellen in Amsteg (Uri), Bodio und Faido (Tessin) verweigerten die Arbeit und traten in den Streik — trotz Druckversuchen ihrer Vorgesetzten, insbesondere in Faido. Am Samstagmorgen um 4 Uhr schlossen sich die Mineure der Frühschicht in Sedrun (Graubünden) dem Streik an. Die größte Baustelle Europas stand 24 Stunden lang still. Insgesamt 700 Neat-Tunnelarbeiter beteiligten sich am Arbeitsausstand.
Die Streikaktionen gingen am Montagmorgen, dem 15.Oktober, in und um Bern, Neuenburg und Genf weiter. Sie wurden dank der Entschlossenheit der Bauarbeiter, dank der guten Streikorganisation und nicht zuletzt auch dank der solidarischen Unterstützung vieler SGB-Gewerkschafter ein voller Erfolg. Insgesamt fanden sich zu den drei zentralen Demonstrationen über 5000 streikende Bauleute zusammen. Mehr als 400 Baustellen standen still. Angesichts des starken Echos zeigte sich die Genfer Kantonsregierung besorgt und empfing eine Delegation der Streikenden. Ähnlich erfolgreich waren die Streiks in Zürich und Basel, an denen sich am 1.November etwa 3000 Bauleute beteiligten.
Die Streiks sorgten im Arbeitgeberlager für Nervosität — mit einer derart massiven Streikbewegung hatten die Baumeister offenbar nicht gerechnet. Aus Angst vor immer neuen, schärferen Streikaktionen griff der SBV schließlich zum letzten Mittel und verlangte eine Mediation unter der Ägide eines ehemaligen Chefbeamten des Wirtschaftsministeriums. Doch die Baumeister blieben in der Defensive und mußten in den Mediationsverhandlungen ihre Abbaupläne begraben. Wenn die Versammlung der Baumeisterdelegierten am 24.Januar das kurz vor Weihnachten öffentlich verkündete Mediationsresultat akzeptiert, haben sich die Gewerkschaften in diesem Abwehrkampf durchgesetzt und den vertraglichen Status quo gewahrt. Dies wäre ein wichtiger Erfolg für die gewerkschaftliche Basis und eine Bestätigung der Parole "Kämpfen lohnt sich". Anderseits wäre es auch ein wichtiges Signal gegen die Abbau- beziehungsweise Deregulierungspläne der Arbeitgeber anderer Branchen, die den Ausgang der Auseinandersetzung aufmerksam verfolgen.
Falls die Baumeister das Mediationsresultat aber doch noch ablehnen, werden sie im kommenden Frühling in einer wenig komfortablen Situation eine noch härtere Mobilisierungswelle der Gewerkschaften mit landesweiten Streikaktionen aushalten müssen.

Hans Hartmann koordiniert im Zentralsekretariat der Gewerkschaft Unia Abteilung Kommunikation und Kampagnen.


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