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Nicht nur ausländische Unternehmen schließen Produktionsbetriebe in
Deutschland. Beim VW-Zulieferer Karmann wurden in den letzten drei Jahren über 2000 Beschäftigte
entlassen ganz ohne öffentliche Empörung. Mit dem Betriebsrat Achim Bigus sprach Jochen
Gester.
Verfolgt der Konzern eine längerfristige Strategie in dieser Politik des Konzerns oder ist die
geplante Entlassungswelle nur die Reaktion darauf, dass die Aufträge in den beiden Werken ausgeblieben
sind?
Die Situation ist viel dramatischer, als die Zahlen in der Presse wiedergeben. Seit Ende 2004 wurden in
Osnabrück schon 2000 Entlassungen vollzogen. Ende 2007 hatte Karmann noch gut 4100 Beschäftigte
im Stammwerk Osnabrück und etwa 1000 im westfälischen Rheine.
Dem Fahrzeugbau als "Brot- und Butter-
Geschäft" und Herzstück des gesamten Unternehmens seit Jahrzehnten droht jetzt die komplette
Schließung. Dabei geht es nicht um 1700, sondern insgesamt um über 2500 Arbeitsplätze, davon
900 in Rheine.
Der Grund ist der Auslauf der derzeitigen
Fahrzeugproduktionen. Konkret führt das Ende der Produktion des Chrysler-Crossfire in Osnabrück
im Dezember 2007 zum Wegfall von 500 Arbeitsplätzen bei Karmann. Ende 2008 läuft die Fertigung
des Audi A4 Cabrio in Rheine aus damit auch Lackierung und Verdeckfertigung für dieses Auto in
Osnabrück. Und Mitte 2009 endet in Osnabrück die Produktion des Daimler CLK-Cabrio als letztes
Gesamtfahrzeug. Bisher liegen keine Nachfolgeaufträge vor. Wenn sich das nicht ändert, werden
2010 keine Gesamtfahrzeuge mehr in Osnabrück und Rheine gebaut.
Karmann hat noch vor einigen Jahren massiv
in den Fahrzeugbau investiert. Doch letztlich entscheidet nicht die Karmann, ob in Osnabrück und
Rheine Autos gebaut werden, sondern die Vorstände der großen, marktbeherrschenden
Automobilkonzerne. Insofern sind diese auch für die Karmann-Krise verantwortlich.
Bei Dachsystemen dagegen hat Karmann eine
starke Position nur sichert das nicht unbedingt Jobs in Osnabrück und Rheine. Verdecke werden
zunehmend in "Zuliefererparks" im unmittelbaren Umkreis der Fahrzeugproduktion gefertigt
z.B. von Karmann in Mexiko für den New Beetle Cabrio oder in Großbritannien für den Nissan
Micra. Keine Fertigung von Gesamtfahrzeugen mehr in Osnabrück und Rheine hätte also auch negative
Konsequenzen für den Verdeckbau. Und ob die anderen Unternehmensbereiche ohne den Fahrzeugbau
überleben können, ist zumindest fraglich.
Die Öffentlichkeit spielt bei solchen Konflikten immer eine wichtige Rolle. Sie kann eine
große Unterstützung für eine Belegschaft sein, die ums Überleben kämpft. Was
passiert diesbezüglich in eurer Region?
Am 3.November 2007 fand in Osnabrück eine der größten Demonstrationen der
Stadtgeschichte statt mit etwa 10000 Teilnehmern, davon 600 aus Rheine, und massiver
Unterstützung aus Vereinen, Verbänden, Kirchen und Parteien. Am 24.November folgte in Rheine eine
weitere regionale Großdemonstration. Viele in der Region haben begriffen, was ein "Aus"
für Karmann bedeuten würde.
Ein besonderes Kapitel sind Politiker und
Parteien. Kurz vor den Landtagswahlen überschlagen sich diese geradezu in Solidaritätsbekundungen
betonen aber zugleich die Ohnmacht "der Politik" gegenüber den Entscheidungen
"der Wirtschaft". Dabei hat gerade die Politik der Hartz-IV-Parteien die Macht der Konzernherren
gestärkt und die Position der Belegschaften und ihrer Gewerkschaften geschwächt z.B. das
Eintreten von Christian Wulff für längere Arbeitszeiten bei Volkswagen.
Wie verhalten sich die Betriebsräte? Gibt es von ihnen Unterstützung für euch?
Aus verschiedenen VW- und Daimler-Standorten erreichten uns Solidaritätserklärungen von
Beschäftigten und Belegschaftsvertretern. Es kamen auch Kollegen von Volkswagen und "Auto
5000" zu den Demonstrationen in Osnabrück und Rheine. Eine Karmann-Delegation auf dem IG-Metall-
Gewerkschaftstag erfuhr große Resonanz. Das alles hat uns gestärkt und ermutigt.
In den letzten beiden Jahren gab es eine ganze Reihe von schärferen Konflikten um geplante
Betriebsschließungen im Organisationsbereich der IG Metall. Die IG Metalle hat angefangen, für
Sozialtarifverträge zu streiken ich denke an AEG, CNH und BSH. Das war durchaus erfreulich, die
Ergebnisse waren eher weniger erfreulich. Wird bei euch auch über Streik diskutiert? Haben IGM-
Verwaltungsstelle, Betriebsräte und Belegschaft unterschiedliche Haltungen dazu?
Über die nötigen Aktionsformen wurde bei uns kontrovers diskutiert. Die am stärksten
betroffenen Beschäftigten, die im Fahrzeugbau, waren verzweifelt über die drohende
Schließung und empört nicht nur über die Entscheidungen der Autokonzerne, sondern
auch darüber, dass die Geschäftsführung von Karmann einen möglichst billigen Sozialplan
durchsetzen wollte, weit unter dem Niveau des letzten Sozialplans, der aus dem Jahr 2006 datiert
damals bekamen die Betroffenen ein halbes Bruttomonatseinkommen pro Beschäftigungsjahr. Es gab deshalb
drei spontane Aktionen von Teilen der Belegschaft im Fahrzeugbau. Doch Betriebsratsmehrheit und
örtliche IG-Metall-Spitze wollten keine Arbeitsniederlegungen, um mögliche Auftraggeber nicht zu
verschrecken. Erst relativ spät wurde ein möglicher Streik um einen Sozialtarifvertrag in
Erwägung gezogen und eine unbefristete Betriebsversammlung als erster Schritt dazu vorbereitet. Diese
wurde dann abgeblasen, weil überraschend ein Auftrag von BMW möglich schien der dann aber
platzte.
Am Standort Osnabrück hat der Betriebsrat die Belegschaft über die Ergebnisse der
Sozialplanverhandlungen im Januar 2008 informiert. Wie lauten die? Bedeutet die Einigung in den
Verhandlungen, dass die Auseinandersetzung bereits beendet ist?
Eine weitere Verschlechterung des Sozialplans gegenüber dem letzten konnte im wesentlichen
verhindert werden sicher spielte dabei auch eine Rolle, dass die Geschäftsführung Angst
vor unkalkulierbaren Reaktionen der Beschäftigten hatte. Doch auch der neue Sozialplan enthält,
wie der letzte, eine Reihe von "Kröten": Sozialauswahl im Rahmen von
"Altersgruppen", keine Altersteilzeit, weitere materielle Opfer der Restbelegschaft... Unter dem
Strich sind 870 Beschäftigte betroffen, 500 mussten schon im Januar gehen, 80 fallen weg durch
Selbstkündigung und Verrentung. Die 500 kommen ein Jahr in die Transfergesellschaft und bekommen 85%
ihres Gehalts. 290 sollen im Herbst gehen.
Beendet ist die Auseinandersetzung schon
deshalb nicht, weil die Zukunft des Fahrzeugbaus und möglicherweise des gesamten Unternehmens nach wie
vor unsicher ist.
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