SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2008, Seite 12

Osteuropa

Arbeitskämpfe für höhere Löhne

Oberschlesien

Streik in der Zeche Budryk Bergleute bitten um Hilfe

Die bislang eigenständige staatliche Zeche Budryk im oberschlesischen Ornontowice soll 2008 unter das Dach der ebenfalls staatlichen Aktiengesellschaft Jastrzebska Spolka Weglowa (JSW) kommen. Im September 2007 haben sich in einem Referendum 75% und am 8.Dezember noch einmal 86% der Belegschaft dagegen ausgesprochen. Die Regierung will die Fusion jedoch durchsetzen. Am 14.Dezember begannen vier Kumpel deshalb einen Hungerstreik. Da die Zechenleitung nicht darauf reagierte, traten die Kumpel am 17.Dezember in einen unbefristeten Streik.
Die Bergleute fordern die Angleichung ihrer Löhne an die der Beschäftigten in der JSW und bessere Arbeitszeiten. Die Bergleute in der Zeche Budryk haben mit 600 Euro den niedrigsten Monatslohn in der gesamten polnischen Kohleindustrie; eine Angleichung brächte ihnen etwa 200 Euro (700 Zloty) mehr — bei etwa doppelt so hoher Produktivität: Auf einer Pressekonferenz erklärten die Kumpel, ihre Zeche fördere im Vergleich zum Landesdurchschnitt etwa die doppelte Menge Kohle.
Der Streik dauerte über die Weihnachtsfeiertage an, auf dem Zechengelände fanden Gottesdienste für die Bergleute und ihre Familien statt.
Am 27.Dezember kamen Gewerkschaften mit Vertretern der Zeche Budryk und der JSW zusammen. Der Vorsitzende des Streikkomitees betonte, er hoffe, dass es zu einer Verständigung komme, sonst würden die Beschäftigten weiter streiken, unter Tage käme es sogar zu einer Besetzung. Der Betriebsleiter erklärte, ab dem 1.Januar seien Lohnerhöhungen vorgesehen, jedoch nicht auf dem geforderten Niveau. Es kam zu keiner Einigung, und die Kumpel beschlossen am 29.Dezember die Besetzung der Zeche.
Nur vier der neun Gewerkschaften auf der Zeche unterstützen den Streik. Die großen Gewerkschaften, wie Solidarno´s´c, sind gegen den Streik. Was sich in der Zeche abspiele, meint der Vorsitzende von Solidarno´s´c in Oberschlesien, sei krankhaft und zu eliminieren. Die Gewerkschafter von Budryk sollten sich schämen, denn sie würden nur für eigene Ziele kämpfen, zulasten ihrer Kollegen. Ein Bergmann, Mitglied von Solidarno´s´c, der in Budryk arbeitet, hat gar den Staat aufgerufen, durchzugreifen und die Streikenden von den Streikführern zu trennen.
Die kleinen Gewerkschaften sind nicht finanzkräftig genug, um die Kumpel zu unterstützen. So bleiben für jeden Streikenden etwa 80 Euro. Deshalb hat das Streikkomitee einen Appell an die anderen Bergleute und an alle Menschen guten Willens gerichtet. Darin beschreiben die Kumpel ihre Situation und bitten um moralische und finanzielle Unterstützung. Der Appell hat im In- und Ausland eine Welle der Unterstützung ausgelöst (siehe unten).
Im neuen Jahr hat es weitere Verhandlungen gegeben, die aber bisher kein Ergebnis erzielt haben. Am 4.Januar haben deshalb 300 Kumpel begonnen, die Zeche unter Tage zu besetzen. In den Folgetagen stieg die Anzahl der Besetzer auf 400, wobei Streikführer und Betriebsleitung (die mit Solidarno´s´c zusammen arbeitet) unterschiedliche Angaben machen. Die Betriebsleitung spricht vor allem von den Gefahren für die Streikenden unter Tage, allerdings hat die oberste Bergbaubehörde dies verneint.
Zu den Verhandlungen im Gemeindeamt von Ornontowice kamen nur zwei der vier Streikführer. Sie begründeten dies damit, der Vorstand der Zeche habe gesagt, die Streikführer müssten nur von den Kumpels getrennt werden, dann wäre die Sache gelaufen.
Das schwierigste Problem ist die Angleichung der Löhne. Um hier eine Übereinkunft zu erzielen, müssen alle auf der Zeche Budryk tätigen Gewerkschaften anwesend sein. Die Besetzer ihrerseits wollten nur Gewerkschafter auf das Zechengelände lassen, die sich mit dem Streik loyal erklären. Die Streikenden erklärten sich schließlich bereit, den niedrigsten Lohn zu akzeptieren, den die Bergleute in anderen Zechen von JSW erhalten (das wären etwa 500 anstatt 700 Zloty mehr gewesen). Daraufhin stoppte das Wirtschaftsministerium die Verhandlungen am 11.Januar.
Die Kumpel nahmen am 14.Januar die Besetzung der Zeche wieder auf. Die Streikführer sind jetzt nur bereit, auf dem Betriebsgelände zu verhandeln.
Am 16.Januar fuhren einige Dutzend Ehefrauen der Streikenden nach Warschau zum Wirtschaftsminister. Dieser jedoch hatte keine Zeit für sie — er begab sich wie vorgesehen zu einem Fest der Katholischen Universität in Lublin. Die Gespräche fanden deshalb mit Vertretern des Ministers statt.
In Polen gibt es viele Gewerkschaften. Einige, wie Solidarno´s´c, sind so stark mit Parteien liiert, dass ihnen die Hände gebunden zu sein scheinen. Solidarno´s´c unterstützt die jetzige Regierung. Andere Gewerkschaften, die nicht am Streik beteiligt sind, halten sich offensichtlich aus dem Konflikt heraus.

Spenden für die Bergleute von Budryk: Kontoinhaber: ZZ Kadra. BIC: POLUPLPR, IBAN: PL 23 8454 1053 2001 0041 5426 0001, Bank: Orzesko-Knurowski Bank Spoldzielcy, oddzial Ornontowice. Verwendungszweck: dla rodzin strajkujacych BUDRYK (für die Familien der Streikenden).



Norbert Kollenda




Russland: Streik bei Ford

Mehr als drei Wochen lang streikten die Beschäftigten der Ford-Fabrik in Wsewoloshsk (25 Kilometer östlich von St.Petersburg) für eine Lohnerhöhung. Sie haben ihre Ziele nicht erreicht, doch die Unternehmensleitung konnte die Gewerkschaft auch nicht in die Knie zwingen.
Der Streik begann am 19.November nach vier Monaten ergebnisloser Verhandlungen. Die Beschäftigten forderten 30% Lohnerhöhung, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und die Neuverhandlung des Tarifvertrags. Unterstützt wurden sie von der russischen Automobilarbeitergewerkschaft ITUA. Anfänglich weigerte sich die Geschäftsleitung, "im Streik oder unter Androhung eines Streiks" zu verhandeln. Nach einer Woche Streik war es jedoch schon nicht mehr möglich, den Produktionsrückgang durch die Lagerbestände zu kompensieren — der Autoverkauf hat derzeit Konjunktur. Die Geschäftsleitung bot der Gewerkschaft deshalb zum 1.März 2008 eine Lohnerhöhung von 11% an. Die Gewerkschaft lehnte das Angebot ab, denn die Inflationsrate lag im Dezember bereits bei 11,5%, und damit hätten die Arbeiter real nichts gewonnen.
Drei Wochen Streik sind in Russland eine sehr lange Dauer. Nicht nur weil Streiks gewöhnlich auf Drängen der Unternehmer für illegal erklärt werden, sondern auch weil sich die Beschäftigten mit ihren derzeitigen Löhnen kaum über Wasser halten können und die Arbeit deshalb nicht lange niederlegen können. Die Gewerkschaft ITUA griff daher zu einem Manöver: Offiziell beendete die Mehrheit der 1500 Streikenden den Arbeitskampf nach drei Tagen. Aber schon mit 350 Arbeitern, die weiter streikten, war die Fabrik lahmgelegt. Die streikenden Arbeiter wurden von der Gewerkschaft bezahlt, während die anderen von zwei Dritteln ihres Lohns lebten, denn vom gesetzlichen Standpunkt aus befanden sie sich jetzt in einer "Zwangspause".
Im ganzen Land richteten sich die Augen der Beschäftigten auf den Streik bei Ford. Durch die Einrichtung eines Solidaritätsfonds erhielten die Streikenden ein Streikgeld von täglich etwa 13 Euro. Wer noch andere Einkommen hatte, ließ dieses Streikgeld alleinerziehenden Eltern oder kinderreichen Familien zukommen. Zahlreiche Gewerkschaften — in Russland und im Ausland, darunter Organisationen des Internationalen Metallarbeiterverbands — organisierten materielle Solidarität, ebenso die Webseite www.labourstart.org. Dennoch ging der Gewerkschaft ITUA allmählich der Atem aus.
Am 14.Dezember wurde der Streik per Urabstimmung beendet: die Geschäftsleitung versprach eine Angleichung der Löhne an die Inflation sowie die Bezahlung von Überstunden und den Verzicht von Maßnahmen gegen Streikende.
Das war der längste und intensivste Arbeitskampf seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Scheinbar endete er mit einem Unentschieden. Aber seine Bedeutung geht über den Betrieb und sogar über die Automobilbranche hinaus. Er hat allen deutlich gemacht, dass die russischen Arbeiter skandalös unterbezahlt sind, nicht nur im Vergleich zu Westeuropa, sondern auch im Vergleich zu Lateinamerika. Er hat gezeigt, dass die Gesetze für die Arbeitenden ungünstig sind, aber mächtige Arbeiterorganisationen diese Beschränkungen überwinden können.
Maria Kursina/Boris Kagarlitzki

Slowenien: Mobilisierung gegen Inflation

Am 17.November organisierten die slowenischen Gewerkschaften in der Hauptstadt Ljubljana gemeinsam eine Demonstration gegen die Inflation mit 70000 Teilnehmenden. Die Zahl der Demonstranten muss vor allem in Relation zur Einwohnerzahl des Landes (2 Millionen) und seiner Hauptstadt (280000) gesehen werden. An der Demonstration nahmen neben Delegationen aus allen Teilen des Landes auch solche aus Kroatien, Mazedonien, Serbien und dem italienischen Triest teil, über dessen Hafen ein großer Teil des slowenischen Handels abgewickelt wird.
Seit dem Beitritt Sloweniens zum Europäischen Währungsfonds ist die Inflationsrate drastisch gestiegen, sie erreichte im November 2007 5,8% (2005: 2,5%; 2006: 2,8%). 2004 betrug die durchschnittliche Kaufkraft der slowenischen Bevölkerung nur 79% des europäischen Durchschnitts. 12,1% der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze mit einem Monatseinkommen von weniger als 440 Euro. Die von der Bevölkerung mit der Integration Sloweniens in die EU erhoffte Anhebung des Lebensstandards ist ausgeblieben, zunehmend machen sich Enttäuschung und Unzufriedenheit breit.
Dem bedeutendsten Gewerkschaftsverband (ZSSS) ist es gelungen, praktisch alle Gewerkschaftsorganisationen des Landes in eine Koalition gegen die Auswirkungen der Inflation und für eine Anpassung der Löhne an die Lebenshaltungskosten zu bringen. Dusan Semolic, der Verantwortliche des Verbands ZSSS und Sprecher der gewerkschaftlichen Einheitsfront, betonte: "Es ist wichtig, dass wir innerhalb der Europäischen Union für eine Harmonisierung nach oben für alle Arbeiter kämpfen, egal ob in Slowenien oder anderswo." In seiner Rede auf der Abschlusskundgebung der Demonstration drohte Semolic mit dem Generalstreik: "Wir, die slowenischen Gewerkschaften, werden mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln gegen jede Zunahme der Armut rebellieren. Wenn es keinen Fortschritt bei Verhandlungen gibt, werden wir zum Generalstreik greifen."


Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo

  Sozialistische Hefte 17   Sozialistische Hefte
für Theorie und Praxis

Sonderausgabe der SoZ
42 Seiten, 5 Euro,

Der Stand der Dinge
Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge   Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken   Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus   Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus   Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden   Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität





zum Anfang