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Preise, so belehrt uns die neoklassische Wirtschaftstheorie, zeigen die Knappheit eines Gutes an. Dabei gilt die
Regel: Je höher der Preis, umso knapper ist das Angebot eines Guts im Verhältnis zur Nachfrage. Wendet man diese Regel auf Rohöl
an, muss es im vergangenen Jahrzehnt zu einer dramatischen Verknappung gekommen sein. 1998 fiel der Preis für ein Barrel Öl kurzzeitig
unter 10 US-Dollar, zu Beginn des Jahres 2008 wurden erstmals mehr als 100 Dollar für ein Barrel bezahlt.
Unbestritten ist es seither zu einer Angebotsverknappung gekommen. Hierzu haben
ein anhaltend starkes Wirtschaftswachstum und die damit verbundene Rohstoffnachfrage in Indien und China ebenso beigetragen wie die
Angebotseinschränkungen, zu denen (Bürger-)
Kriege in den Ölförderländern Algerien, Irak und Nigeria
beitragen. In der OPEC, deren Mitgliedstaaten das weltweite Ölangebot durch die Festlegung von Förderquoten erheblich beeinflussen
können, hat sich bisher keine Mehrheit gefunden, der Ölverknappung durch eine Erhöhung der Fördermenge entgegenzuwirken. Es
ist zudem umstritten, ob hierfür ausreichend ungenutzte Förderkapazitäten vorhanden sind.
Steigende Ölpreise haben in den letzten Jahren zwar zu einer Gewinnexplosion
der Ölgesellschaften geführt, Investitionen, die zur Ausweitung der Förderung und Verarbeitung notwendig wären, wurden aber
nur in geringem Umfang getätigt. Angesichts des Risikos, dass Ölförderanlagen durch Kriegs- bzw. Bürgerkriegseinwirkung
zerstört werden, ist diese Investitionszurückhaltung durchaus nachvollziehbar.
Unabhängig von der tatsächlichen Verknappung des Ölangebots wird
niemand ernsthaft behaupten, dass das Ölangebot im letzten Jahrzehnt auf ein Zehntel gesunken sei, wie angesichts der Verzehnfachung des
Preises in diesem Zeitraum vermutet werden könnte. Für das Verständnis der Ölpreisentwicklung ist denn auch weniger das
tagesaktuelle Verhältnis von Angebot und Nachfrage entscheidend, als deren künftige Entwicklung.
Es ist bekannt, dass das globale Ölangebot endlich ist. Der neoklassischen
Theorie zufolge sind demnach Angebotsverknappung und Preissteigerung zu erwarten. Diese würden wiederum zu einer Verringerung des
Energieverbrauchs bzw. zur Entwicklung alternativer Energiequellen führen. Das klingt allerdings zu vernünftig, um unter
kapitalistischen Produktionsbedingungen wahr zu sein.
Den Profitjägern zur Freude hat die Zukunft nämlich eine Eigenschaft, die ganz eigene
Geschäftsfelder eröffnet: sie ist unbekannt. Auch wenn jeder von der Endlichkeit der Ölvorräte weiß, kann man doch
trefflich über den Zeitpunkt ihrer Erschöpfung streiten.
Die Unsicherheit über neu zu erschließende Ölvorkommen,
Fördertechnologien und die Verfügbarkeit von Ölsubstituten wie Biosprit machen den Energiemarkt zu einem Tummelplatz von
Spekulanten, die im Gegensatz zu den durch die Marktpreise informierten Anbietern und Nachfragern der neoklassischen Theoriewelt gelernt haben,
aus ihrer und andrer Leute Unwissenheit ein Geschäft zu machen. Je größer die Unsicherheit über künftige Entwicklungen
und der Krieg gegen den Terror produziert täglich weitere Unsicherheiten desto weniger lassen sich Kosten und Erträge
langfristiger Investitionen kalkulieren. Umso vielversprechender sind Spekulationen auf bzw. gegen künftige Bewegungen des Ölpreises.
Nachdem Anlage suchendes Kapital in den 90er Jahrenn zur dot.com-Blase
geführt und nach deren Platzen einen spekulativen Immobilienboom angetrieben hat, der mittlerweile von einer veritablen Finanzkrise
abgelöst wurde, ist nun der Energiemarkt an der Reihe. Angesichts der Endlichkeit des Öls gibt es gute Gründe für langfristig
steigende Ölpreise und erst recht vor allem ökologische Gründe, Alternativen zu einem Produktionsmodell zu suchen, das auf der
Verbrennung fossiler Energieträger beruht.
Die tatsächlich stattfindenden Ölpreiserhöhungen werden jedoch
nicht vom Wissen um künftige Knappheit verursacht, sondern durch Spekulationsgeschäfte, die wenig mit der gegenwärtigen bzw.
künftigen Verfügbarkeit von Öl zu tun haben. Es ist ja nicht so, dass die Nachfrage nach Öl gegenwärtig nicht bedient
werden kann. Der Grund für die gegenwärtige Ölpreissteigerung liegt vielmehr darin, dass Spekulationskapital seit Ausbruch der US-
Immobilienkrise im Sommer 2007 sein Unwesen nunmehr im Öl- und anderen Rohstoffsektoren treibt.
Getreu dem urkapitalistischen Motto: "Wer wagt gewinnt", erzeugt der
Börsentrubel den Eindruck, dass nur Verzagte sich um den Zugang zu Energie sorgen müssen. Geschäftige und wagemutige Menschen
das sind selbstverständlich jene, die große Einsätze im Börsenspiel tätigen können werden ihren
energieverschwenderischen Lebensstil auch in Zukunft beibehalten können. Und als Besitzer großer Vermögen können sie sich,
auch wenn es im Einzelfall wehtut, Fehlspekulationen durchaus leisten.
Insgesamt stellt Spekulation, ganz gleich, ob sie sich auf
Informationstechnologien, Immobilien oder wie gegenwärtig auf Rohstoffe konzentriert, für die Besitzer großer Geldvermögen
eine risikoarme, aber hoch wirksame Methode der Bereicherung dar dabei findet eine Umverteilung von Arbeits- zu Vermögenseinkommen
statt.
Wer 1% seines Gesamtvermögens bei einer gescheiterten dot.com-, Immobilien-
oder Ölpreisoperation in den Sand setzt, hat nicht viel riskiert, aber durch den Kauf entsprechender Papiere zur Preiserhöhung im
jeweiligen Sektor beigetragen. Wer als kleiner Vermögensbesitzer glaubte, mit den Großen am selben Rad drehen zu müssen und einen
erheblichen Teil seines Vermögens auf eine Nummer gesetzt hat, riskiert Bankrott und Proletarisierung. Proletarier riskieren, da sie mangels
Vermögen nicht einmal die Mindesteinsätze aufbringen können, gar nichts und verlieren trotzdem.
Steigende Immobilien- und Ölpreise führen nämlich zu sinkenden
Reallöhnen. Spekulation erweist sich demnach als probates Mittel, Reichtum von Löhnen zu Profiten umzuverteilen und die Zahl der
Profitbezieher zu verringern. Damit vereinfachen sich auch, gut marxistisch gesprochen, die Klassenverhältnisse, nachdem der Kapitalismus im
20.Jahrhundert zum Aufstieg einer zahlreichen neuen Mittelklasse und vorübergehend zu erheblichen Reallohnsteigerungen, zumindest in den
Metropolen, geführt hat.
Die Klassenkämpfe verschärfen sich dadurch. Verkompliziert wird die Lage jedoch dadurch, dass der
Kapitalismus die Produktivkräfte in einer destruktiven Weise entwickelt. Durch bloße Inbesitznahme der Produktionsmittel, wie in der
Arbeiterbewegung lange geglaubt wurde, lassen sich die ökologischen Probleme einer durch fossile Energieträger "angefeuerten"
Produktion nicht lösen. Der Kampf gegen die Profitansprüche der Kapitaleigentümer ist daher von der Suche nach alternativen
Produktionsmethoden und Lebensweisen nicht zu trennen. In diesem Sinne haben die Arbeitenden eine Welt zu gewinnen, deren Konturen sich noch kaum
abzeichnen.
Im Gegensatz zur Börsenwelt, in der die Unsicherheit über die
künftigen Preise aller hektischen Marktbewegungen zum Trotz doch nur zur Reproduktion des ewig Gleichen führt, geht es hier um echte
Unsicherheiten. Politische Mobilisierung wird damit schwerer. Um die Suche nach "einer anderen Welt", deren Möglichkeit sich die
globalisierungskritische Bewegung auf die Fahne geschrieben hat, attraktiv zu machen, bedarf es ökologischer, ökonomischer und sozialer
Übergangsforderungen. Die Schwächung einer in korporatistisch-produktivistischen Vorstellungen befangenen Arbeiterbewegung sowie die
Transformation einer einstmals radikalen Umweltbewegung in eine parteiförmig organisierte Avantgarde des Neoliberalismus (die Grünen)
dürften einige Lehren bereithalten, die beim Aufbau einer rot-grünen Klassenbewegung nützlich sein könnten.
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