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Die gegenwärtige Krise könnte sich
als die verheerendste seit der Großen Depression erweisen. Sie offenbart
tiefgreifende ungelöste Probleme der Realwirtschaft, die seit Jahrzehnten
wortwörtlich von einem Berg von Schulden verdeckt werden, und zugleich eine
akute Krise, wie wir sie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr erlebt
haben. Die Kombination aus einer anhaltenden Schwäche der
Kapitalakkumulation und einer akuten Kontraktion der Kredite macht die Talfahrt der
Konjunktur für die Politik unkontrollierbar und eine mögliche
Katastrophe greifbar.
In Detroit und anderen
Städten des Mittleren Westens der USA trifft man besonders häufig auf Zwangsvollstreckungen und
auf verlassene Häuser, in die oft eingebrochen wird und aus denen alles verschwindet, inklusive der
elektrischen Leitungen. Die menschliche Katastrophe, die das für Hunderttausende von Familien und
für die Gemeinden, in denen sie leben, bedeutet, könnte ein erstes Anzeichen dafür sein,
wohin eine solche kapitalistische Krise führt.
Die beispiellosen Phasen des Aufschwungs
der Finanzmärkte in den 80er und 90er Jahren des vergangenen und im ersten Jahrzehnt des neuen
Jahrhunderts mit ihrem Epoche machenden Transfer von Einkommen und Reichtum hin zum reichsten 1% der
Bevölkerung haben die Aufmerksamkeit abgelenkt von der tatsächlichen langfristigen Schwäche
der kapitalistischen Ökonomien in den sog. fortgeschrittenen Ländern. Die wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit der USA, Westeuropas und Japans hat sich seit 1973 von einem Jahrzehnt zum anderen,
Konjunkturzyklus um Konjunkturzyklus praktisch bei allen üblichen Indikatoren
Produktionswachstum, Investitionen, Beschäftigung, Löhne verschlechtert.
Die Jahre seit dem Beginn des jetzigen
Konjunkturzyklus Anfang 2001 waren die schlechtesten überhaupt. Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts
in den USA war das niedrigste gemessen an allen vergleichbaren Zeiträumen seit dem Ende der 40er
Jahre.
Zugleich liegen in diesem Zeitraum die
Zahlen über neue Produktionsanlagen und deren Ausrüstung und die über die Schaffung von
Arbeitsplätzen bis zu zwei Dritteln unter dem Durchschnitt der Nachkriegszeit. Die realen
Stundenlöhne für Beschäftigte in der Produktion und Beschäftigte ohne Leitungsaufgaben
das sind 80% sind niedrig geblieben und dümpeln auf dem Niveau von 1979 dahin.
Auch in Westeuropa und Japan war die
wirtschaftliche Expansion nicht signifikant stärker. Die nachlassende wirtschaftliche Dynamik hat ihre
Wurzeln in einem starken Rückgang der Rentabilität, der hauptsächlich durch die chronische
Tendenz zur industriellen Überproduktion seit den späten 60er und frühen 70er Jahren
verursacht ist. Im Jahr 2000 hatte sich die Profitrate in der Privatwirtschaft der USA, Japans und
Deutschlands noch nicht erholt, im Zyklus der 90er Jahre lag sie nicht über der der 70er Jahre.
Mit reduzierter Rentabilität hatten
die Unternehmen weniger Profite zur Verfügung, um Fabrikanlagen und Ausrüstungen aufzustocken,
und einen geringeren Anreiz zu expandieren. Der stete Rückgang der Rentabilität seit den 70er
Jahren führte in den sog. fortgeschrittenen kapitalistischen Ökonomien zu einem stetigen
Rückgang der Investitionen im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt und zu rückläufigen
Zahlen beim Umsatz, bei den Produktionsmitteln und bei der Beschäftigung.
Die anhaltende Verlangsamung der Kapitalakkumulation wie auch der Druck der Unternehmen auf die
Löhne, um ihre Rendite wiederherzustellen, bewirkten zusammen mit den regierungsseitigen
Kürzungen der Sozialausgaben zur Stützung der Unternehmerprofite eine Verlangsamung des
Wachstums der Investitionen, der öffentlichen und privaten Konsumnachfrage und folglich der Wachstums
der Nachfrage insgesamt. Die Schwäche der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage letztlich eine
Konsequenz gesunkener Rentabilität war lange das größte Wachstumshindernis in den
sog. fortgeschrittenen kapitalistischen Ökonomien.
Um der anhaltenden Schwäche der
gesamtwirtschaftlichen Nachfrage entgegenzutreten, sahen die Regierungen, allen voran die USA, keine andere
Wahl, als immer mehr Schulden aufzuhäufen. Zu Beginn der 70er und 80er Jahre waren die Staaten
gezwungen, zunehmend größere öffentliche Defizite aufzunehmen, um das Wachstum in Gang zu
halten. Die Wirtschaft konnte dadurch einigermaßen stabil gehalten werden, doch führten die
Defizite auch zu einer relativen Stagnation: Die Regierungen bekamen immer weniger Wirtschaftswachstum
für das Geld, das sie ausliehen.
Angeführt von Bill Clinton, Robert
Rubin und Alan Greenspan versuchten deshalb Regierungen in den USA und in Europa in den frühen 90er
Jahren, die sich nach rechts bewegten und die dem neoliberalem Denken folgten, durch Privatisierung
öffentlicher Güter und die Kürzung von Sozialprogrammen ausgeglichene Haushalte zu
erreichen, um die Stagnation zu überwinden. Das ging nach hinten los.
Da die sich Profitrate immer noch nicht
erholt hatte, führte der durch Sparhaushalte induzierte Defizitabbau zu einer heftigen Kontraktion der
gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, mit dem Ergebnis, dass in der ersten Hälfte der 90er Jahre sowohl
Europa als auch Japan verheerende Rezessionen erlebten. Es waren die schlimmsten der Nachkriegszeit.
Die US-Wirtschaft erholte sich bei
fortdauernder Arbeitslosigkeit (Wachstum ohne Arbeit). Ab Mitte der 90er Jahre mussten die USA daher zu
stärkeren und riskanteren Anreizen greifen, um der Tendenz zur Stagnation entgegenzuwirken. Die
öffentliche Verschuldung des traditionellen Keynesianismus ersetzten sie durch private Verschuldung
und die Anlageninflation durch eine Inflation der Anlagenpreise, oder anders gesagt: eine aufgeblasene
Wirtschaft.
Während des Börsenbooms der 90er Jahre konnten Unternehmen und wohlhabende Haushalte zusehen,
wie sich ihr Reichtum auf dem Papier vermehrte. Deshalb konnten sie Kredite in Rekordhöhe aufnehmen
und auf dieser Basis eine mächtige Expansion der Investitionen und des Konsums stützen.
Der Boom der sog. New Economy war der
direkte Ausdruck der Blase der Aktienkurse der Jahre 19952000, die historische Ausmaße
erreichte. Da aber die Aktienkurse stiegen, obwohl die Profitrate sank, und weil Neuinvestitionen die
industrielle Überkapazität nur noch vergrößerten, folgten der Börsenkrach und die
Rezession von 20002001 auf dem Fuße sie drückten die Profitrate außerhalb des
Finanzsektors auf ihr niedrigstes Niveau seit 1980.
Unbeeindruckt antworteten Greenspan und die
Federal Reserve Bank, unterstützt von anderen großen Zentralbanken, auf die neue Talfahrt der
Konjunktur mit einer neuen Inflationsrunde bei den Anlagenpreisen. Sie senkten die realen Zinsen mit kurzen
Laufzeiten drei Jahre lang auf null. Damit ermöglichten sie eine historisch beispiellose Explosion der
privaten Verschuldung, die zu einem rasanten Anstieg der Häuserpreise und des privaten Reichtum
führte und zugleich durch sie genährt wurde.
Laut The Economist war die weltweite
Immobilienblase der Jahre 2000 bis 2005 die größte aller Zeiten. Sie übertraf sogar die von
1929. Sie ermöglichte einen stetigen Anstieg der Konsumausgaben und der Investitionen in Wohneigentum;
zusammen trieben sie die Expansion voran. Privater Konsum und Hausbau machten in den ersten fünf
Jahren des aktuellen Konjunkturzyklus 90100% des Wachstums des US-Bruttoinlandsprodukts aus. In der
gleichen Zeit war laut Moodys Economy.com allein der Wohnungsbau für ganze 0,7 Prozentpunkte des
Wirtschaftswachstums verantwortlich: das Bruttoinlandsprodukt stieg deshalb um 2,3% statt um 1,6%.
Die privaten Schulden in Rekordhöhe
verdeckten, zusammen mit Haushaltsdefiziten unter George W. Bush, die denen Reagans gleichkamen, wie
schwach die wirtschaftliche Erholung tatsächlich war. Der Anstieg der kreditfinanzierten
Konsumentennachfrage wie auch superbilliger Kredite im Allgemeinen belebte nicht nur die US-amerikanische
Wirtschaft. Er schien auch eine beeindruckende globale Wirtschaftsexpansion voranzutreiben.
Aber wenn die Verbraucher ihren Teil taten,
kann dies von der Privatwirtschaft nicht gesagt werden trotz der enormen wirtschaftlichen Anreize.
Greenspan und die Fed hatten die Immobilienblase erzeugt, um den Unternehmen Zeit zu geben, ihr
Überschusskapital abzustoßen und neu zu investieren. Stattdessen konzentrierten sich die
Unternehmen darauf, mit Hilfe einer brutalen Offensive gegen die Lohnabhängigen ihre Profitraten
wiederherzustellen. Das Wachstum der Produktivität wurde nicht so sehr durch Investitionen in moderne
Anlagen und Ausrüstungen angekurbelt, sondern durch den radikalen Abbau von Arbeitsplätzen.
Mit niedrigen Löhnen und einem
größeren Output je Beschäftigten sicherten sich die Unternehmen einen historisch
beispiellosen Anteil am Wirtschaftswachstum außerhalb des Finanzsektors. Berücksichtigt man
darüber hinaus, in welchem Umfang der Anstieg der Profitrate durch erhöhte Ausbeutung
(längere Arbeitszeiten, geringere Stundenlöhne) erreicht wurde, muss man sich fragen, wie lange
dies weitergehen kann.
Gleichzeitig haben die Unternehmen, statt
Investitionen, Produktivität und Beschäftigung und damit die Profite zu steigern,
die extrem niedrigen Kreditzinsen ausgenutzt, um ihre eigene Position und die ihrer Aktionäre mit
Hilfe von Finanzmanipulationen zu verbessern. Sie haben ihre Schulden beglichen, Dividenden ausgezahlt und
ihre eigenen Aktien zurückgekauft, um deren Wert zu steigern insbesondere durch eine enorme
Welle von Firmenzusammenschlüsse und -übernahmen.
In den letzten vier oder fünf Jahren
sind in den USA sowohl die Dividenden wie auch die Aktienrückkäufe als Teil der Bilanzgewinne auf
ihr höchstes Niveau in der Nachkriegszeit gestiegen. Das Gleiche geschah überall sonst in der
Weltwirtschaft auch in Europa, Japan und Korea.
Unterm Strich erleben wir in den USA und in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern seit dem
Jahr 2000 das langsamste Wachstum der Realwirtschaft seit dem Zweiten Weltkrieg und gleichzeitig die der
größte Expansion der Finanz- oder Papierökonomie in der US-Geschichte. Man braucht nicht
Marxist zu sein, um zu verstehen, dass dies nicht so weitergehen kann.
Genauso wie die Börsenblase der 90er
Jahre ist die Immobilienblase zum Schluss geplatzt. In der Konsequenz läuft der Film der
immobiliengeführten Expansion, den wir in diesem letzten Konjunkturzyklus gesehen haben, nun
rückwärts. Heute sind die Immobilienpreise schon um 5% gegenüber ihrem Höchststand im
Jahr 2005 gefallen. Moodys schätzt, dass Anfang 2009, wenn die Immobilienblase völlig in
sich zusammengefallen sein wird, die Immobilienpreise nominal um 20% gefallen sein werden (real noch
stärker) das ist bei weitem der stärkste Preisverfall in der US-Nachkriegsgeschichte.
Da der Wert ihrer Häuser sinkt, sind
sie für die Privathaushalte keine Geldautomaten mehr. Der Privatkredit bricht zusammen, entsprechend
können Privathaushalte weniger konsumieren.
Die Gefahr ist, dass US-Haushalte, die
ihren Konsum nicht mit Blick auf den steigenden Wert ihrer Immobilien decken können, nun wirklich
beginnen zu sparen. Das würde die private Sparrate, die derzeit auf dem niedrigsten Niveau in der US-
Geschichte liegt, nach oben und den Konsum in den Keller treiben. Die Unternehmen haben verstanden, welche
Wirkung das Platzen der Immobilienblase auf die Kaufkraft der Konsumenten hat; deshalb haben sie
Neueinstellungen zurückgefahren, mit dem Effekt, dass der Beschäftigungsanstieg seit Anfang 2007
signifikant zurückgegangen ist.
Die Geldmittel, die den privaten Haushalten
zur Verfügung stehen, nehmen nicht mehr zu. Wegen der Immobilienkrise und den sinkenden
Beschäftigungszahlen ist der reale Gesamt-Cashflow zu den Privathaushalten, der 2005 und 2006
jährlich um 4,4% gestiegen war, beinahe auf Null gesunken.
Was die Abwärtsentwicklung enorm kompliziert und so gefährlich macht, ist das Sub-Prime-
Debakel eine direkte Folge der Immobilienblase. Es wäre gesondert zu diskutieren, wie eine
skrupellose Hypothekenvergabe gigantischen Ausmaßes, massenhafte Zwangsvollstreckungen, der
Zusammenbruch eines mit Sub-Prime-Hypotheken gefütterten Wertpapiermarkts und die Krise großer
Banken, die enorme Mengen dieser Papiere hielten, miteinander zusammenhängen. Der Schluss, den man
hier nur ziehen kann, ist einfach:
Weil die Verluste der Banken so real und so
enorm sind und wahrscheinlich noch steigen werden, wenn sich die Talfahrt verstärkt, steht die
Wirtschaft vor einer in der Nachkriegszeit beispiellosen Situation: genau in dem Moment, wo die Wirtschaft
in die Rezession abgleitet, werden die Kredite eingefroren. Und die Regierungen wissen nicht, wie sie dies
verhindern sollen.
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