SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2008, Seite 04

Das Jahr der Mathematik...

...und die Rechenkünste der Kulturminister

von LARISSA PEIFFER-RÜSSMANN

Das Jahr 2008 wurde von der Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) zum Jahr der Mathematik ausgerufen. Wie praktisch Mathematik für Politiker sein kann, erleben wir gerade durch die Kultusminister, die mit mathematischen Tricks ihre nicht eingelösten Versprechungen schönreden wollen.
Es geht um die Jugendlichen ohne jeden Schulabschluss. Im vergangenen Jahr haben bundesweit 76249 Jugendliche die Schule ohne Hauptschulabschluss verlassen. Das sind nach der Statistik der Kultusminister 7,9% des Altersjahrgangs. Zehn Jahre zuvor waren es 8,8%. Der Rückgang entspricht nicht einmal einem Prozentpunkt. Trotzdem fragen wir uns, wie sie es mit ihrem kostenneutralen Maßnahmenkatalog unverbindlicher Versprechungen geschafft haben, diesen Wert unter 10% zu halten — ganz zu schweigen von dem Ziel der Kultusministerkonferenz (KMK) vom Oktober 2007, die Zahl der Schulabgänger ohne jeden Schulabschluss bis zum Jahr 2012 ohne Qualitätsverlust "nach Möglichkeit" zu halbieren. Doch wie soll dies bei einem solchen Schneckentempo möglich sein?
Nun, die Kultusminister befinden sich bereits auf der Erfolgsspur, denn sie haben beschlossen, das Problem mathematisch "kreativ" zu lösen. Prozentwerte müssen ja bekanntlich zu einer Bezugsgröße gesetzt werden, und je größer die Bezugsgröße ist, umso geringer wird der Prozentwert. Das ist die Grundlage für den Taschenspielertrick der KMK. Sie haben also die 76249 Jugendlichen, die im Schuljahr 2006/07 nach der Vollzeitschulpflicht die Hauptschulen ohne Abschluss verließen, in Beziehung zu allen Absolventen und Abgängern gesetzt, also auch zu denjenigen, die die Hochschul- oder Fachhochschulreife erreichten. So kam es zu der sagenhaften "Verbesserung" von 8,8% auf 7,9%. Werden dagegen die Schulabgänger ohne Schulabschluss nur in Beziehung gesetzt zu den Abgängern am Ende der Pflichtschulzeit, schnellt die Quote der Schulabgänger ohne Abschluss auf 10,8% hoch. Bei den Migranten kommt sie auf fast 20%.
Noch näher an ihr Ziel kommen die Kultusminister, wenn sie die Schulabgänger aus den Sonderschulen nicht mehr berücksichtigen oder den Sonderschulabschluss zum "irgendwie normalen" Hauptschulabschluss hochstilisieren — so geschehen in Sachsen-Anhalt. Und gerade dort gibt es einiges zu verstecken, denn 2006 kamen dort 51,5% der Schüler ohne Hauptschulabschluss aus den Sonderschulen. Da bietet es sich an, diesen Skandal einfach herauszurechen, und siehe da: das KMK-Ziel wäre in Sichtweite.
Doch welche Rechenkünste die KMK auch anwendet, sie wird von der Realität eingeholt. So verließen bspw. in Hamburg 18,2% der Schülerinnen und Schüler die Schule ohne Hauptschulabschluss, nicht viel besser sieht es in Schleswig Holstein, Sachsen-Anhalt, NRW, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg aus.
Die Eltern, die Kollegien und nicht zuletzt die Schülerinnen und Schüler wollen aber eine Schule, in der alle im gemeinsamen Lernen die gleichen Chancen erhalten, und sie wollen nicht mit fragwürdigen Tricks in Rosstäuschermanier übers Ohr gehauen werden.


Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo

  Sozialistische Hefte 17   Sozialistische Hefte
für Theorie und Praxis

Sonderausgabe der SoZ
42 Seiten, 5 Euro,

Der Stand der Dinge
Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge   Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken   Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus   Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus   Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden   Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität





zum Anfang