SoZ - Sozialistische Zeitung |
Rund um die NATO-Sicherheitskonferenz ist angeblich ein Streit zwischen Deutschland und den USA
entbrannt, ob deutsche Truppen auch im Süden Afghanistans operieren werden, wie die USA fordern. Die
Bundesregierung sagt Ja und Nein zugleich. Was stimmt denn nun?
Zunächst muss deutlich gesagt werden, dass sich die Bundeswehr bereits auf verschiedene Weise,
insbesondere über die Tornado-Aufklärer, an der Kriegführung im deutlich stärker
umkämpften Süden des Landes beteiligt. Aufgrund der zu erwartenden hohen Opferzahlen, die bei der
derzeitigen Stimmung in der deutschen Bevölkerung schwer bis überhaupt nicht zu vermitteln
wären, weigert sie sich aber, Bodentruppen dorthin zu entsenden.
Gleichzeitig kommen die USA aufgrund des
heftigen Widerstands an ihre militärischen Grenzen und drängen deswegen auf eine stärkere
deutsche Beteiligung an der Kriegsführung im Süden. Vor diesem Hintergrund riecht der ganze
"Streit" nach einem abgekarteten Spiel: Einerseits kann die Bundesregierung vordergründig
die "ungebührlichen" Forderungen Washingtons vehement ablehnen und so der Stimmung in der
Bevölkerung entsprechen. Andererseits wird die Auseinandersetzung mit dem Argument, man könne aus
Gründen der Bündnissolidarität ja schließlich nicht alles ablehnen, zum Anlass
genommen, die deutsche Kriegführung in Afghanistan auf eine neue Ebene zu heben. Dies geschieht sowohl
qualitativ mit der Übernahme der Quick Reaction Force (QRF) der Norweger, als auch quantitativ durch
die Ausweitung des Einsatzgebiets und die Aufstockung des deutschen Kontingents.
Mit welchem Mandat werden deutsche Soldaten im Herbst nach Afghanistan ziehen?
Die Details sind gegenwärtig noch unklar, aber es zeichnet sich ab, dass das Bundeswehrkontingent
von gegenwärtig 3500 auf mindestens 4500 und möglicherweise bis zu 6000 Soldaten aufgestockt
werden wird. Ferner soll das Einsatzgebiet explizit auf den Westen Afghanistans ausgeweitet werden.
Dies bedeutet eine erhebliche
Verschärfung des deutschen Engagements. Denn die QRF führte bereits im Oktober und November 2007
Kampfoperationen in Westafghanistan durch (Harekate Yolo I + II), an denen sich die Bundeswehr zwar
logistisch, aber nicht mit Bodentruppen beteiligt hatte. Die Übernahme der QRF und die Erweiterung des
Einsatzgebiets bedeuten somit eine qualitativ neue Beteiligung deutscher Soldaten an den dortigen
Kampfhandlungen. Hiermit rückt der "Operationsschwerpunkt Aufstandsbekämpfung", wie
unlängst von der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik gefordert wurde, endgültig ins
Zentrum der Bundeswehrtätigkeit in Afghanistan.
Wahrscheinlich ist, dass das Mandat nicht
wie bisher für 12, sondern für 1824 Monate erteilt wird, da sowohl SPD als auch CDU das
Thema aus dem Wahlkampf 2009 heraushalten wollen. Entgegen den ursprünglichen Meldungen, die
Ausweitung des Einsatzes werde noch im Frühsommer stattfinden, scheint es nun eher darauf
hinauszulaufen, dass dies erst im Zuge der turnusgemäßen Mandatsverlängerung im Herbst
erfolgen wird.
Auf der NATO-Konferenz in Bukarest im April soll über eine Neufassung des Strategiekonzepts
beraten werden. Gibt es dazu unterschiedliche Ansätze?
Dass die NATO das militärische Instrument der westlichen Interessendurchsetzung ist und auch
bleiben soll, in dieser grundsätzlichen Frage ist man sich innerhalb des Bündnisses durchaus
einig.
Wer allerdings wann und inwieweit über
künftige NATO-Kriege bestimmen darf, darüber gibt es ziemliche Meinungsunterschiede. In diesem
Kontext sind die im Januar 2008 veröffentlichten Vorschläge fünf hochrangiger NATO-Strategen
unter ihnen der frühere Oberkommandierende der Allianz, John Shalikashvili, und der ehemalige
Vorsitzende des NATO-Militärkomitees, Klaus Naumann von Bedeutung. Sie fordern u.a. die
Abschaffung sämtlicher "caveats". Hierbei handelt es sich um Sonderregeln, bei denen jedes
NATO-Mitglied gesondert festlegt, wie weit sich seine Truppen in die Kriegführung am Hindukusch und
anderswo verstricken dürfen. Darüber hinaus wollen sie, dass die NATO "das Konsensprinzip
auf allen Ebenen unterhalb des NATO-Rats aufgibt und auf Komitee- und Arbeitsgruppenebene
Mehrheitsentscheidungen einführt". Schließlich solle zwar weiterhin kein Mitgliedstaat dazu
gezwungen werden können, sich an einem Krieg zu beteiligen. Sollte er sich jedoch weigern, sollte er
"auch kein Mitspracherecht hinsichtlich militärischer Operationen erhalten. Aus diesem Grund
schlagen wir ... vor, dass nur die Staaten, die zu einer Mission beitragen das bedeutet
militärische Kräfte in einer Militäroperation ein Mitspracherecht bezüglich
dieser Operation erhalten."
Sollte sich diese Position durchsetzen,
würden Länder, die sich nicht oder nur bedingt an einem NATO-Krieg beteiligen wollen, effektiv
jeglicher Mitsprache- und Einspruchsrechte beraubt.
Warum bedarf es überhaupt einer Neufassung? Die NATO-Richtlinien aus den 90er Jahren sehen doch
die ganze Welt als Interventionsfeld vor, um Rohstoffe und strategische Interessen auch in entfernten
Ländern zu verteidigen?
Zum einen hat das Thema Energie weiter an Bedeutung gewonnen. Insbesondere mit Hinblick auf die
russischen Pläne zur Gründung einer Gas-OPEC wird derzeit als Gegenmaßnahme die Bildung
einer Energie-NATO ins Auge gefasst, die eine Unterbrechung der Energieversorgung als bewaffneten Angriff
behandelt.
Vor allem aber hat sich der Charakter der
NATO-Einsätze von reinen Kampfmissionen deutlich in Richtung quasikolonialer Besatzungsregime wie in
Afghanistan und im Kosovo verschoben. Schon die Comprehensive Political Guidance (CPG), ein Ende 2006
verabschiedetes Planungsdokument, das die Richtlinien für die Neufassung des Strategischen Konzeptes
vorgibt, betonte die "wachsende Bedeutung von Stabilisierungsoperationen und die militärische
Unterstützung von Wiederaufbaubemühungen im Anschluss an einen Konflikt".
Insbesondere in diesem Bereich soll eine
Neufassung des Strategischen Konzepts erfolgen, das die diesbezüglichen Kapazitäten des
Bündnisses verbessert. Hierfür soll im NATO-Jargon ein "comprehensive approach"
in Deutschland als "Vernetzte Sicherheit" bezeichnet entwickelt werden. Ziel ist es,
über eine zivil-militärische Zusammenarbeit zu gewährleisten, dass sämtliche
Kapazitäten dem Militär untergeordnet und für die Erfordernisse eines Besatzungsregimes
instrumentalisiert werden. Im Kern geht es also darum, ein in sich koheräntes Besatzungs- und
Aufstandsbekämpfungskonzept zu entwickeln, das bis zum NATO-Gipfel in Bukarest vorgelegt und
anschließend in die Neufassung des Strategischen Konzepts eingearbeitet werden soll.
55% der Bevölkerung sind gegen den Militäreinsatz. Generäle sprechen davon, dass die
Sicherheitslage sich im vergangenen Jahr dramatisch verschlechtert hat. Ein militärischer Sieg ist in
Afghanistan eher in weite Ferne gerückt. Trotzdem gibt es hierzulande kaum Proteste. Wie erklärt
sich das?
Die Tatsache, dass sich die skeptische Einstellung in der Bevölkerung nicht in Massenproteste
übersetzt, scheint mir elementar damit zusammenzuhängen, dass hierzulande die Meinung
vorherrscht, der Krieg am Hindukusch sei von den eigenen Problemen Jobunsicherheit, Sozialabbau und
Hartz IV weit weg.
Hier ist es m.E. die Aufgabe der
antimilitaristischen Bewegung aufzuzeigen, dass sich diese beiden Prozesse gegenseitig bedingen. Dies
betrifft nicht nur die Tatsache, dass das Militär immer häufiger zur Aufrechterhaltung der
herrschenden Hierarchie- und Ausbeutungsstrukturen (zunehmend auch nach innen) eingesetzt wird. Auch der
Zusammenhang zwischen Rüstung und Sozialabbau muss wieder stärker ins Blickfeld genommen werden.
Dies betrifft nicht nur die Tatsache, dass
der Rüstungshaushalt weiter aufgestockt wird, während Sozialausgaben gekürzt werden. Hinzu
kommt, dass die Bundeswehr aufgrund wachsender Rekrutierungsprobleme die Zahl Jugendlicher, die sich
in Afghanistan oder sonstwo verheizen lassen wollen, ist begrenzt massiv mit den Arbeitsämtern
kooperiert, um so an jugendliche Hartz IV-Empfänger zu gelangen. Die IMI hat dazu bereits mehrere
Studien veröffentlicht, die versuchen, diesen Zusammenhang zu thematisieren (www-imi-online.de). Denn
u.E. ist es wichtig, die Frage deutscher Kriegseinsätze mit der Lebenswirklichkeit hierzulande in
Verbindung zu bringen.
Kann man Hoffnungen auf Barack Obama setzen?
Bezüglich der US-Besatzung im Irak dürfte es ihm tatsächlich schwer fallen, seine
Forderung nach einem Truppenabzug aufzugeben. Darüber hinaus sollte man aber vorsichtig sein, allzu
viele positive Entwicklungen zu erwarten. Gerade im Hinblick auf den Krieg in Afghanistan fordert Obama
sogar eine massive Ausweitung des US-Engagements, u.a. auch Militäreinsätze in Pakistan.
Gerade wenn man sich die Liste der
außenpolitischen Berater Obamas näher betrachtet, wird deutlich, dass bei seiner Wahl alles
andere als ein grundsätzlicher Kurswechsel stattfände. Unter ihnen finden sich so illustre
Gestalten wie Samantha Power, eine der führenden Propagandistinnen "humanitärer"
Interventionen, Anthony Lake, der die (militärische) Ausweitung der neoliberalen Globalisierung in
seiner Zeit als Sicherheitsberater zum Kernprojekt der Regierung Bill Clintons machte, und nicht zuletzt
der Hardliner Zbigniew Brzezinski, einer der einflussreichsten Vordenker amerikanischer Geostrategie. Alles
in allem keine Zusammensetzung, die allzu hoffnungsvoll stimmen kann.
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