SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2008, Seite 06

Nach den Landtagswahlen

Wahlsieg und "Stasi-Skandal"

"Die Linke" ist im Westen angekommen

von Siggi Seidel/Franziska Wöckel

Als kurz vor 18 Uhr am 27.Januar 2008 die Prognosen der beiden Landtagswahlen bekannt gegeben wurden, gab es im Freizeitheim Linden in Hannovers Arbeiterviertel kein Halten mehr.

Die Partei Die Linke lag deutlich über 5%, die Prognose sollte sich an diesem Abend noch oft nach oben korrigieren. Als das vorläufige Endergebnis von 7,1% und den Einzug der Linken mit 11 Genossinnen und Genossen ins Landesparlament verkündet wurde, war klar: Die Linke ist im Westen angekommen.
Mit einem solchen Ergebnis hatten nicht einmal die kühnsten Strategen gerechnet, schon gar nicht die Parteirechte vom Forum Demokratischer Sozialismus, die bis zuletzt dagegen wetterten, dass eine Genossin von der DKP auf der Liste stand.
Schon bei der Listenaufstellung am 3.November 2007 versuchte die Parteirechte, die Kandidatur der Genossin Christel Wegner, die nicht Mitglied der Linken ist, mit einer spontanen Gegenkandidatur aus ihren Reihen zu verhindern, was knapp misslang. Nicht nur die Parteizugehörigkeit von Christel Wegner in der DKP wurde als Makel gesehen, auch die Ex- DKP-Mitglieder Manfred Sohn (er bezeichnet sich als bekennender Marxist) und Hans-Henning Adler wurden als linksextremistisch dargestellt. Mit der Wahl am 27.Januar gelang zum ersten Mal einer Kommunistin von der DKP der Einzug in den niedersächsischen Landtag.
Die Spitzentruppe der Linken wurde in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung als kommunistische "Dehm-Truppe" in Misskredit gebracht. Die anderen bürgerlichen Medien, griffen dies ebenso auf wie SPD und CDU und brachten immer wieder das Gespenst des Kommunismus ins Spiel. Aber es hat nichts genützt, die Wählerinnen und Wähler ließen sich nicht irreführen und der Linken gelang der Einzug in den Landtag.
Wahlentscheidene Themen für die Wähler der Linken in Niedersachsen waren in erster Linie soziale Gerechtigkeit und — mit deutlichem Abstand — an zweiter Stelle der Abbau von Arbeitslosigkeit. Die Linke erhält den höchsten Zuspruch bei Arbeitslosen und Lohnabhängigen, mit Werten, "die zum Teil das Drei- bis Fünffache ihres Wahlergebnisses erreichen", schrieben Benjamin-Immanuel Hoff und Horst Kahrs in ihrem Report zu den Landtagswahlen.
Die Wahlauswertung ergibt auch das: Die Linke wurde weniger von Frauen als von Männern gewählt. Hier ist noch Arbeit zu leisten. Bei den Erstwählern erhielt sie unterschiedliche Zustimmungsraten. Zusätzlich zur bisherigen intellektuellen Wahlklientel konnte sie vor allem Arbeitslose und Nichtwähler gewinnen.
Die sinkende Akzeptanz des Neoliberalismus in der Gesamtbevölkerung hat den Wunsch nach einem Politikwechsel beflügelt und beim politischen Gegner für Unruhe gesorgt.

Ohne Aktion keine Fraktion

Die Linke ist in Niedersachsen in der glücklichen Lage, nicht Zünglein an der Waage zu sein wie in Hessen. Sie kann sich ganz auf ihre Oppositionsrolle konzentrieren.
Ein Leitspruch aus den frühen PDS- Jahren hieß: "Veränderung beginnt mit Opposition". Das sollten sich auch die neuen Abgeordneten der Linken auf ihre Fahnen schreiben — nur so können wir zum jetzigen Zeitpunkt in der Republik etwas verändern. Koalitionen mit der heutigen SPD und den Grünen sind auch immer Koalitionen mit dem Kapital — das stünde einer sozialistischen Partei unter den aktuellen Umständen nicht gut zu Gesicht.
Ein wichtiger Auftakt war am 29.1. der "große Ratschlag" im Freizeitheim Ricklingen (Hannover). Dorthin lud die neue Fraktion Gewerkschaften Erwerbsloseninitiativen und soziale Bewegungen, um mit ihnen gemeinsam darüber zu diskutieren, was sie von der neuen Linksfraktion erwarten. Dies ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg der Verständigung, der auf jeden Fall fortgesetzt werden muss.
Michael Mitzig von der Erwerbsloseninitiative Hannover-Linden (auch Mitglied bei Marx21 und der SL) brachte es in einem Beitrag auf den Punkt: "Ohne Aktion keine Fraktion, und keine Fraktion ohne Aktion". Die Linke im Landtag tut gut daran, den Kontakt zur Straße nicht abreißen zulassen.

Wie weiter?

Eine spannende Frage wird sein, inwieweit die neue Landtagsfraktion den traditionell linken niedersächsischen Landesverband verändern wird. Durch eine enge Anbindung an die Landespartei und die Kreisverbände könnte es tatsächlich gelingen, eine Politik von unten nach oben zu betreiben.
Das alte Dilemma bleibt bestehen: Angesichts von Termindruck, einem engen finanzieller Rahmen und dem Korsett von Geschäftsordnung und Ausschüssen gelingt es meistens, eben eine solche Politik zu verhindern und eine Landtagsfraktion abzuschotten und abheben zu lassen. Aber auch der Landesverband ist in der Pflicht, Strukturen herzustellen, die eine Interaktion zwischen Parteibasis und Landtagsfraktion ermöglichen und praktisch erfahrbar machen. Gleiches gilt für die Kreisvorstände in den Kreisverbänden der Abgeordneten. Hier müssen konkrete Angebote und Möglichkeiten für den Austausch mit der Basis geschaffen werden.
Die neue Fraktion kann den Landesverband inhaltlich/programmatisch weit voranbringen, wenn es ihr gelingt, die Fraktion mit ihren Themengebieten und Ausschüssen an die Landesarbeitsgemeinschaften anzubinden. Im Hinblick auf die bevorstehende Programmdiskussion wäre dies ein wichtiger Beitrag zur Bildungsarbeit in der Partei selbst.
Landesarbeitsgemeinschaften zu Themen wie Bildung, Grundeinkommen, Asyl & Migration u.a., in denen auch Landtagsabgeordnete mitwirken und denen sie ihre Informationen, Arbeitskraft und Infrastruktur zur Verfügung stellen, wären auch für die außerparlamentarische Opposition, die zum großen Ratschlag kam, eine wertvolle Andockstelle. Hier könnte gezeigt werden, wie ernst es einem mit eben jener Zusammenarbeit ist — jenseits von medienwirksamen großen Ratschlägen.

Der erste Skandal

Am 14.Februar lief die Sendung Panorama in der ARD. Dort sah man ein Interview mit der Landtagsabgeordneten Christel Wegner. Sie sprach dort über ihr positives und offenbar völlig unkritisches Verhältnis zur DDR.
Die dort gemachten unsäglichen Äußerungen von Christel Wegner sind zweifellos völlig indiskutabel. Eine kritische Betrachtung der DDR und des sog. Ostblocks stünden ihr gut zu Gesicht. Ihr scheint jegliches Verständnis dafür zu fehlen, dass die Befreiung und Emanzipation des Menschen von Ausbeutung und Unterdrückung nicht mit Unfreiheit und Fremdbestimmung erzwungen oder herbeigeführt werden kann. Der Zweck heiligt eben nicht die Mittel, und ein Zurück kann und wird es nicht geben.
Die Linke setzt sich mit der Geschichte der DDR und der BRD sowie mit der Geschichte der linken Kräfte in der alten Bundesrepublik auseinander und zieht aus den historischen Entwicklungen und Erfahrungen Schlussfolgerungen für ihre Programmatik und Strategie in den Auseinandersetzungen der Gegenwart und Zukunft. Dabei wendet sie sich gegen Pauschalisierungen, antikommunistische Vorurteile und einseitige Beurteilungen und bemüht sich um differenzierte und ausgewogene Einschätzungen." So steht es in den Programmatischen Eckpunkten.
Pauschalisierungen, antikommunistische Vorurteile und einseitige Beurteilungen müssen jetzt vermieden werden, um zu einer differenzierten und ausgewogenen Einschätzung zu gelangen. Völlig richtig sind die Forderungen der Landtagsfraktion, des Landesvorstands und des Landesausschusses an Christel Wegner, ihr Mandat zurück zu geben.
Aber ihr "verbaler Amoklauf" darf nicht zum Anlass genommen werden, sich nun grundsätzlich gegen offene Listen oder gegen die Zusammenarbeit mit der DKP zu positionieren, oder gar Kommunisten in der eigenen Partei an den Rand zu drängen. Christel Wegner hat der Zusammenarbeit der Linken einen Bärendienst erwiesen. Vor einem Antikommunismus, der sich auch gegen Teile der eigenen Partei, richtet muss jedoch eindringlich gewarnt werden.
Es gilt die gute Tradition der offenen Listen zu bewahren und auch in Zukunft ohne Schere im Kopf immer zu prüfen, wo und wie diese sinnvoll und machbar sind. Es ist eine Illusion zu glauben, eine Liste, auf der ausschließlich Parteimitglieder kandidieren, wäre vor abweichenden Meinungen und Äußerungen sicher.
Die Konsequenz aus diesem Skandal kann nur sein: Rücktritt von Christel Wegner von ihrem Mandat, und weiterhin Offenheit und Wahrung der Pluralität in der Partei.

Eigentum verpflichtet

Man kann nur staunen, wenn man in der Presse liest, dass Gregor Gysi nun die Verstaatlichung von Produktionsmitteln generell ablehnt. Die Verstaatlichung zum Wohle der Allgemeinheit ("Eigentum verpflichtet") ist sowohl vom Grundgesetz wie auch von den Programmatischen Eckpunkten der Linken gedeckt und gehörte schon immer zu linken Grundsätzen. Wir werden uns auch in Zukunft für diese Position in- und außerhalb der Partei stark machen.
"Die Artikel 14 und 15 des Grundgesetzes geben die Möglichkeit, der Zusammenballung von wirtschaftlicher Macht zu politischer Macht entgegenzuwirken. Demzufolge können Schlüsselbereiche der Wirtschaft in Gemeineigentum überführt werden. Die Linke erarbeitet konkrete Vorschläge, wie bestimmte Schlüsselbereiche der Wirtschaft und der Daseinsvorsorge zum Wohle der Allgemeinheit in öffentliche Eigentumsformen überführt werden müssen, um mehr demokratische Kontrolle und Gestaltung zu ermöglichen. Die Linke sieht im Vorhandensein unterschiedlicher Eigentumsformen eine Grundlage für eine effiziente und demokratische Wirtschaft, anstatt den weiteren Weg der Privatisierung und Monopolisierung zu beschreiten." (Aus den Programmatischen Eckpunkten.)
Nicht umsonst setzt sich die FDP im Bundestag für eine Streichung des Artikels 15 im Grundgesetz ein. Da sollte ihr nicht die Parteiführung der Linken das Wort reden.

Siegfried Seidel und Franziska Wöckel sind Mitglied im KV Hannover bzw. Oldenburg und arbeiten u.a. in der AKL Niedersachsen und im Geraer Dialog mit.



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