SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2008, Seite 09

Europas Polizeibehörden - Aufrüsten ja, aber wie?

Kontroverse Diskussion auf dem Europäischen Polizeikongress

von Ansgar Lehmann

Unter den Behörden, die mit Sicherheit zu tun haben, ist der Weg in den Polizeistaat nicht umstritten. Streit gibt es nur um die Zuweisung der Mittel.
Am 29./30.Januar fand in Berlin der 11.Europäische Polizeikongress statt. Er wurde von der deutschen Beamtenzeitung Behörden Spiegel veranstaltet und stand unter dem Titel „Europäische Sicherheitsarchitektur, Informationstechnologien, Aufklärungsoperationen” Themen waren die Erweiterung des Schengenraums, die informationelle Zusammenarbeit der nationalen Polizeien und auf EU-Ebene sowie die Bekämpfung von Internetkriminalität.
Bundes- und Landesminister, Vertreter der EU-Kommission, hohe Funktionsträger verschiedener Polizeiorganisationen sowie Geschäftsleute der Sicherheitsindustrie, die die Polizei mit Kommunikations- und Überwachungstechnologien versorgt, referierten. Über die grundlegende Ausrichtung der Politik der „inneren Sicherheit” war man sich erkennbar einig: Alle Seiten betonten die Notwendigkeit einer Aufrüstung der Sicherheitsbehörden — wegen der „Gefahr des Terrorismus”, die natürlich keineswegs auf ihre Ursachen hin hinterfragt wird, und der angeblich gestiegenen Kriminalität sowie des damit vermuteten Gefühls subjektiver Unsicherheit in der Bevölkerung.
Konfliktträchtig war die Frage, wie die Aufrüstung der nationalen und der europäischen Sicherheitsbehörden (Frontex, Europol, Eurojust) zu gestalten sei. Es ließen sich mehrere Konfliktlinien feststellen. Eine Konfliktlinie verläuft zwischen den Sicherheitsbehörden auf EU-Ebene, die sich vor allem auf die Gesetzeskompetenz von EU-Institutionen stützen, und den nationalen Sicherheitsbehörden, die sich durch eine viel größere Personalstärke auszeichnen.
Eine andere Konfliktlinie verläuft unter den jeweiligen nationalen Polizei- und Sicherheitsbehörden; dabei es geht um die Bereitstellung und Verwendung finanzieller Mittel, um die Frage, ob die vorhandenen Gesetze und Befugnisse ausreichend sind, und darum ob die technische Versiertheit des modernen Verbrechens eine technologische Hochrüstung der Polizei und entsprechende Qualifikationen erfordert. Hier liegt auch ein Konfliktpotenzial zwischen der Polizei und der Sicherheitsindustrie. Deren „Kompetenzen” werden zwar anerkannt, doch wegen ihres dadurch zunehmenden Einflusses auf den Polizeiapparat wird sie auch misstrauisch beobachtet. Das gemeinsame Interesse nach umfassender Kontrollierbarkeit der Bevölkerung, auch über die nationalen Grenzen hinweg, eint dagegen die verschiedenen Seiten.

Fluggäste — 13 Jahre im Computer

Die Reden von EU-Kommissar Frattini, Bundesjustizministerin Zypries und Bundesinnenminister Schäuble waren längst nicht so kontrovers, wie man den Zeitungsberichten in den bürgerlichen Medien am zweiten Tag des Kongresses entnehmen konnte. EU-Kommissar Frattini lobte die Schengen-Politik und die erfolgreiche Einführung des Schengen-Informations-Systems (SIS) und bekundete die Absicht, Fluggastdaten zu speichern.
Der dazu vorliegende Entwurf ging auch auf Schäubles Initiative zurück. Schäuble forderte die Intensivierung der Zusammenarbeit der europäischen nationalen Polizeien und einen EU-weiten Datenaustausch bzw. die Schaffung großangelegter, kompatibler (und somit tauschbarer) Fahndungsdateien.
Zypries sah in der Fokussierung auf neue Gesetze und Maßnahmen eine Fehlentwicklung. Wichtiger sei es, die vorhandenen Gesetze sorgfältig und konsequent anzuwenden, eine zügige Bearbeitung zu ermöglichen und die Polizei personell besser auszurüsten. Sie lehnte die geplante Speicherung von Fluggastdaten bis zu 13 Jahren ohne Richtergenehmigung und bis zu 19 Datensätzen pro Person ohne einen konkreten Verdacht ab. Zypries vermutete, dass damit bloß Verdachtsmomente geschaffen werden sollen und sah darin einen weiteren Schritt zum Präventionsstaat.
Der Behörden Spiegel hatte diesen Widerspruch im Vorfeld als einen zwischen Freiheit und Sicherheit hochstilisiert; er hat jedoch vorwiegend parteipolitische Ursachen. Zypries (SPD) will sich von dem auch bei vielen Polizisten unbeliebten Schäuble (CDU) distanzieren und zeigt außerdem ein taktisches Gespür für die öffentliche Skepsis gegenüber den Plänen Schäubles und anderer paranoider Sicherheitsfanatiker.
Die Präsentation von Sicherheitstechnik nahm auf dem Kongress einen breiten Raum ein. Seit langem gibt es eine intensive operative Zusammenarbeit und personelle Verflechtung zwischen Polizei und Sicherheitsindustrie. Die sog. Terrorismusbekämpfung beschert der Industrie allerdings erhöhte Aufmerksamkeit. So sprach ein Vertreter des europäischen Rüstungskonglomerats EADS, Holger Mey, über die notwendige Kooperation zwischen Polizei und Militär aus Sicht der Industrie. Die Aufhebung der Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit erfordere neue Standards in Strategie und Architektur und in der Technik der Sicherheitsbehörden. Dabei sei die synergetische Zusammenführung von Mensch und Technik wichtiger als die Behandlung rechtlicher Fragen. Die Industrie setze deshalb Akzente im Bereich personaler Sicherheit und Kommunikationstechnologie. Das Motto seiner Rede war: Der Polizist der Zukunft ist der Soldat der Zukunft.
Mit der Sicherheitsindustrie besteht ein Konflikt, weil die zunehmende Integration technischer Hilfsmittel in die Praxis der Polizei Personalabbau ermöglicht. Das für die neuen Techniken erforderliche qualifizierte Personal wird in weit geringerer Zahl eingestellt, weil die Industrie oftmals das Personal gleich mitliefert bzw. die Polizei darauf angewiesen ist, in der „freien Wirtschaft” solches Personal auszuleihen oder als Externe anzuwerben. Das ist ein Grund für den großen Frust bei der Polizei über die verantwortliche Politik: Sie beklagt die jahrelange unzureichende finanzielle und personelle Ausstattung, ungenügende Besoldung und fehlenden Qualifizierungsmöglichkeiten und protestiert zunehmend dagegen.

Streit um Mittel

Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, übte Kritik an der neoliberalen Privatisierungspolitik und wies auf den Zusammenhang von sozialer, demografischer wie politischer Entwicklung und Kriminalität hin. Er warnte auch vor einer weiteren Verschlechterung der sozialen Situation und ihren möglichen Folgen wie Ghettobildung und Ausgrenzung von sog. Randständigen — die kritische Stadtforschung scheint Eingang in die Polizei gefunden zu haben. Auch kritisierte er das jahrelange finanzielle und personelle Defizit bei der Polizei infolge einer übermäßigen Sparpolitik. Diese habe dazu geführt, dass die Präsenz und Arbeitsfähigkeit der Polizei abgenommen hat.
Eine Konkurrenz um Mittelzuwendungen besteht auch unter den einzelnen Sicherheits- und Polizeibehörden. Die Mittel werden derzeit sehr selektiv verteilt. Die dem Bundesinnenministerium unterstellten Einrichtungen Bundespolizei, Bundeskriminalamt und Bundesverfassungsschutz werden besser mit Geld und Personal versorgt als die Polizeien der Länder. In diesem Kontext diskutierte der Kongress auch über den Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Vertreter der Polizei lehnten ihn ab, wenn damit verbunden sein sollte, dass „eigentliche” Polizeiaufgaben durch die Bundeswehr ausgeführt werden. Dies führe nur zu einem weiteren Stellenabbau bei der Polizei.
Sowohl die Zentralisierung der Mittel wie auch die Heranziehung der Bundeswehr für Aufgaben der Polizei verweisen auf den Versuch von Teilen der politischen Führung und der Exekutive, das Gewaltmonopol des Staates stärker zu zentralisieren. Neu an dieser Entwicklung ist nicht die Tendenz des Staates und seiner Exekutivorgane, möglichst viel wissen und möglichst viel kontrollieren zu wollen, sondern die neue Qualität der Möglichkeiten, die sie dazu haben. Davon profitiert vor allem die Industrie, deren Einfluss so groß ist, dass sie den weiteren Kurs der inneren Sicherheit maßgeblich bestimmen wird.


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