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Unter den Behörden, die mit Sicherheit zu tun haben, ist der Weg in den
Polizeistaat nicht umstritten. Streit gibt es nur um die Zuweisung der Mittel.
Am 29./30.Januar fand in Berlin der 11.Europäische Polizeikongress statt. Er wurde von der
deutschen Beamtenzeitung Behörden Spiegel veranstaltet und stand unter dem Titel
„Europäische Sicherheitsarchitektur, Informationstechnologien,
Aufklärungsoperationen” Themen waren die Erweiterung des Schengenraums, die informationelle
Zusammenarbeit der nationalen Polizeien und auf EU-Ebene sowie die Bekämpfung von
Internetkriminalität.
Bundes- und Landesminister, Vertreter der
EU-Kommission, hohe Funktionsträger verschiedener Polizeiorganisationen sowie Geschäftsleute der
Sicherheitsindustrie, die die Polizei mit Kommunikations- und Überwachungstechnologien versorgt,
referierten. Über die grundlegende Ausrichtung der Politik der „inneren Sicherheit” war man
sich erkennbar einig: Alle Seiten betonten die Notwendigkeit einer Aufrüstung der
Sicherheitsbehörden wegen der „Gefahr des Terrorismus”, die natürlich keineswegs auf
ihre Ursachen hin hinterfragt wird, und der angeblich gestiegenen Kriminalität sowie des damit
vermuteten Gefühls subjektiver Unsicherheit in der Bevölkerung.
Konfliktträchtig war die Frage, wie die Aufrüstung
der nationalen und der europäischen Sicherheitsbehörden (Frontex, Europol, Eurojust) zu gestalten
sei. Es ließen sich mehrere Konfliktlinien feststellen. Eine Konfliktlinie verläuft zwischen den
Sicherheitsbehörden auf EU-Ebene, die sich vor allem auf die Gesetzeskompetenz von EU-Institutionen
stützen, und den nationalen Sicherheitsbehörden, die sich durch eine viel größere
Personalstärke auszeichnen.
Eine andere Konfliktlinie verläuft
unter den jeweiligen nationalen Polizei- und Sicherheitsbehörden; dabei es geht um die Bereitstellung
und Verwendung finanzieller Mittel, um die Frage, ob die vorhandenen Gesetze und Befugnisse ausreichend
sind, und darum ob die technische Versiertheit des modernen Verbrechens eine technologische
Hochrüstung der Polizei und entsprechende Qualifikationen erfordert. Hier liegt auch ein
Konfliktpotenzial zwischen der Polizei und der Sicherheitsindustrie. Deren „Kompetenzen” werden
zwar anerkannt, doch wegen ihres dadurch zunehmenden Einflusses auf den Polizeiapparat wird sie auch
misstrauisch beobachtet. Das gemeinsame Interesse nach umfassender Kontrollierbarkeit der Bevölkerung,
auch über die nationalen Grenzen hinweg, eint dagegen die verschiedenen Seiten.
Die Reden von EU-Kommissar Frattini, Bundesjustizministerin Zypries und Bundesinnenminister
Schäuble waren längst nicht so kontrovers, wie man den Zeitungsberichten in den bürgerlichen
Medien am zweiten Tag des Kongresses entnehmen konnte. EU-Kommissar Frattini lobte die Schengen-Politik und
die erfolgreiche Einführung des Schengen-Informations-Systems (SIS) und bekundete die Absicht,
Fluggastdaten zu speichern.
Der dazu vorliegende Entwurf ging auch auf
Schäubles Initiative zurück. Schäuble forderte die Intensivierung der Zusammenarbeit der
europäischen nationalen Polizeien und einen EU-weiten Datenaustausch bzw. die Schaffung
großangelegter, kompatibler (und somit tauschbarer) Fahndungsdateien.
Zypries sah in der Fokussierung auf neue
Gesetze und Maßnahmen eine Fehlentwicklung. Wichtiger sei es, die vorhandenen Gesetze sorgfältig
und konsequent anzuwenden, eine zügige Bearbeitung zu ermöglichen und die Polizei personell
besser auszurüsten. Sie lehnte die geplante Speicherung von Fluggastdaten bis zu 13 Jahren ohne
Richtergenehmigung und bis zu 19 Datensätzen pro Person ohne einen konkreten Verdacht ab. Zypries
vermutete, dass damit bloß Verdachtsmomente geschaffen werden sollen und sah darin einen weiteren
Schritt zum Präventionsstaat.
Der Behörden Spiegel hatte diesen
Widerspruch im Vorfeld als einen zwischen Freiheit und Sicherheit hochstilisiert; er hat jedoch vorwiegend
parteipolitische Ursachen. Zypries (SPD) will sich von dem auch bei vielen Polizisten unbeliebten
Schäuble (CDU) distanzieren und zeigt außerdem ein taktisches Gespür für die
öffentliche Skepsis gegenüber den Plänen Schäubles und anderer paranoider
Sicherheitsfanatiker.
Die Präsentation von
Sicherheitstechnik nahm auf dem Kongress einen breiten Raum ein. Seit langem gibt es eine intensive
operative Zusammenarbeit und personelle Verflechtung zwischen Polizei und Sicherheitsindustrie. Die sog.
Terrorismusbekämpfung beschert der Industrie allerdings erhöhte Aufmerksamkeit. So sprach ein
Vertreter des europäischen Rüstungskonglomerats EADS, Holger Mey, über die notwendige
Kooperation zwischen Polizei und Militär aus Sicht der Industrie. Die Aufhebung der Trennung zwischen
innerer und äußerer Sicherheit erfordere neue Standards in Strategie und Architektur und in der
Technik der Sicherheitsbehörden. Dabei sei die synergetische Zusammenführung von Mensch und
Technik wichtiger als die Behandlung rechtlicher Fragen. Die Industrie setze deshalb Akzente im Bereich
personaler Sicherheit und Kommunikationstechnologie. Das Motto seiner Rede war: Der Polizist der Zukunft
ist der Soldat der Zukunft.
Mit der Sicherheitsindustrie besteht ein
Konflikt, weil die zunehmende Integration technischer Hilfsmittel in die Praxis der Polizei Personalabbau
ermöglicht. Das für die neuen Techniken erforderliche qualifizierte Personal wird in weit
geringerer Zahl eingestellt, weil die Industrie oftmals das Personal gleich mitliefert bzw. die Polizei
darauf angewiesen ist, in der „freien Wirtschaft” solches Personal auszuleihen oder als Externe
anzuwerben. Das ist ein Grund für den großen Frust bei der Polizei über die verantwortliche
Politik: Sie beklagt die jahrelange unzureichende finanzielle und personelle Ausstattung, ungenügende
Besoldung und fehlenden Qualifizierungsmöglichkeiten und protestiert zunehmend dagegen.
Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, übte Kritik an der
neoliberalen Privatisierungspolitik und wies auf den Zusammenhang von sozialer, demografischer wie
politischer Entwicklung und Kriminalität hin. Er warnte auch vor einer weiteren Verschlechterung der
sozialen Situation und ihren möglichen Folgen wie Ghettobildung und Ausgrenzung von sog.
Randständigen die kritische Stadtforschung scheint Eingang in die Polizei gefunden zu haben.
Auch kritisierte er das jahrelange finanzielle und personelle Defizit bei der Polizei infolge einer
übermäßigen Sparpolitik. Diese habe dazu geführt, dass die Präsenz und
Arbeitsfähigkeit der Polizei abgenommen hat.
Eine Konkurrenz um Mittelzuwendungen
besteht auch unter den einzelnen Sicherheits- und Polizeibehörden. Die Mittel werden derzeit sehr
selektiv verteilt. Die dem Bundesinnenministerium unterstellten Einrichtungen Bundespolizei,
Bundeskriminalamt und Bundesverfassungsschutz werden besser mit Geld und Personal versorgt als die
Polizeien der Länder. In diesem Kontext diskutierte der Kongress auch über den Einsatz der
Bundeswehr im Inneren. Vertreter der Polizei lehnten ihn ab, wenn damit verbunden sein sollte, dass
„eigentliche” Polizeiaufgaben durch die Bundeswehr ausgeführt werden. Dies führe nur
zu einem weiteren Stellenabbau bei der Polizei.
Sowohl die Zentralisierung der Mittel wie
auch die Heranziehung der Bundeswehr für Aufgaben der Polizei verweisen auf den Versuch von Teilen der
politischen Führung und der Exekutive, das Gewaltmonopol des Staates stärker zu zentralisieren.
Neu an dieser Entwicklung ist nicht die Tendenz des Staates und seiner Exekutivorgane, möglichst viel
wissen und möglichst viel kontrollieren zu wollen, sondern die neue Qualität der
Möglichkeiten, die sie dazu haben. Davon profitiert vor allem die Industrie, deren Einfluss so
groß ist, dass sie den weiteren Kurs der inneren Sicherheit maßgeblich bestimmen wird.
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