SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2008, Seite 11

Illegale Arbeit auf deutschen Baustellen - als Selbstständigkeit etarnt

Mangelnde Kontrollen ermöglichen sklavenartige Zustände

von Klaus Schilp

Die Kontrolle von Schwarzarbeit ist zu teuer und wenig effektiv, sagt der Bundesrechnungshof in einer Studie vom 11.Januar 2008. Deshalb will er sie abschaffen. Die Vorgänge auf den Baustellen aber zeigen: Was da passiert, ist kriminell.
Die Kontrollen, welche die Zollbehörden seit vier Jahren zur Verhinderung von Schwarzarbeit auf Baustellen durchführen, haben die erwarteten Einnahmen von einer Milliarde Euro für Steuern und Sozialkassen nicht gebracht, klagt der Rechnungshof. Er wirft den Mitarbeitern der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) vor, zu wenig Zeit im Außendienst zu verbringen, um die erwartete Summe einzutreiben. Kunststück: Die Stelle ist personell unterbesetzt; die Kollegen werden auch in anderen Bereichen der Zollbehörde eingesetzt. Das erwähnt der Rechnungshof jedoch nicht.
Zwischen Juni 2005 und Juni 2006 wurden nach Kontrolle auf den Baustellen Strafgelder in Höhe von 46,4 Millionen Euro verhängt. Kassiert hat das Finanzamt davon nur 9,7 Millionen — schlappe 21%. Zusätzlich sind den Behörden 167 Millionen Euro Steuergelder und 402 Millionen Euro Sozialabgaben entgangen. Kassieren konnten sie nur zwischen 5 und 10% davon. Der Schaden, der durch Schlupflöcher in den Gesetzen allein in diesem Zeitraum entstanden ist, beläuft sich also auf 615,4 Millionen Euro, davon konnten nur 66,6 Millionen wieder eingetrieben werden. Wer ist Schuld? Die Zollbehörde oder Gesetze, die diese Schlupflöcher zulassen?

So werden Bauarbeiter geprellt

Nicht allein dem Staat entgehen durch Schwarzarbeit (nicht nur) auf dem Bau riesige Summen. Auch Bauarbeiter werden um ihren Lohn geprellt; nur mit Mühe und schon gar nicht flächendeckend kann er mit Hilfe von Gewerkschaften und der FKS eingetrieben werden. Tricks, die Kollegen zu betrügen und ihnen nicht einmal den Mindestlohn zu zahlen, gibt es viele. Zum Beispiel kann man sie 60 Stunden arbeiten lassen, ihnen aber auf dem Lohnzettel nur 30 Stunden zu 12,50 Euro Stundenlohn anrechnen.
Eine alte Masche, das Entsendegesetz auszuhebeln und den Mindestlohn zu umgehen, ist die sog. „selbstständige Beschäftigung” Bei Baugesellschaften und ihren Subunternehmern ist sie sehr beliebt. Ein Bauer, Künstler, Buchautor oder Schuster kann ohne fremde Hilfe säen, malen, schreiben, Schuhe besohlen — sie können selbstständig arbeiten. Ein Bauarbeiter kann ohne fremde Hilfe nicht einmal ein Einfamilienhaus bauen, geschweige denn ein Hochhaus.
Kollegen aus osteuropäischen Ländern, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, die von Subunternehmern und ihren Schleppern angeworben und mit hohen Löhnen in Euro geködert werden, unterschreiben einen offiziellen Antrag auf selbstständige Beschäftigung in der Annahme, es sei eine Aufenthaltsbescheinigung. So ein Papierchen ist für den Subunternehmer Gold wert. Er kann sie jetzt wie Selbstständige behandeln, die auf eigene Rechnung arbeiten. Da die Kollegen aber keine Rechnung in deutscher Sprache ausstellen können, zahlt der Subunternehmer, wie er will, kassiert das Geld beim Generalunternehmer und steckt es in die eigene Tasche.
Generalunternehmer machen bei diesem Betrugsgeschäft den größten Deal. Sie kaufen die Arbeitskraft beim Menschenhändler für kleines Geld — im Kaufpreis ist alles inklusive: Steuern, Sozialversicherungen, Urlaub, Feiertage, Auslösung, Heimfahrt. Sie haften zwar für alle unkorrekten Zahlungen —, aber nach dem Motto: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Für einen Selbstständigen müssen sie weder Steuern noch Sozialabgaben abführen — der Kollege aus Osteuropa aber, der hierher arbeiten kommt, weiß nicht, dass er als Selbstständiger arbeitet. Er weiß nicht, was er unterschrieben hat.

Proteste

Drei Fälle sind in den letzten Monaten in NRW aufgeflogen, wo solche Methoden auf dem Bau praktiziert wurden. Limbeckerplatz in Essen: Hier entsteht für 300 Millionen Euro einer der größten Konsumtempel Europas. Über Monate wurden polnische und rumänische Bauarbeiter mit einem Sklavenlohn von 1,48 Euro die Stunde abgefunden. Dann hatten sie die Schnauze voll, legten die Arbeit nieder und demonstrierten vor dem Rohbau.
Marienkrankenhaus in Ratingen: Auf dem Krankenhausgrundstück wird ein Ärztehaus gebaut. Die Bauarbeiter aus Rumänien sahen wochenlang keinen roten Heller. Sie protestierten, besetzten und marschierten durch das Krankenhaus.
Rheinauehafen in Köln: Gut betuchten Bürgern werden hier 68 exklusive Wohnungen gebaut. Trotz eiskalter Witterung kletterten fünf hungrige Bauarbeiter, denen selbst das Geld für Lebensmittel fehlte, auf einen 52 Meter hohen Kran. Einer kletterte in seiner Verzweiflung bis auf die äußerste Spitze des Kranauslegers, eine lebensgefährliche Aktion. Erst als ihm versprochen wurde, den ausstehenden Lohn zu zahlen, ließ er sich von Helfern bergen.
Solche Protestaktionen, die von der IG BAU und der Europäischen Wanderarbeitergewerkschaft unterstützt werden, mobilisieren die Presse. Mit Aufmachern wie „Moderne Sklaverei”, Ausbeutung statt Arbeit”, „Nichts zu beißen” wurde die Öffentlichkeit informiert. Bilfinger & Berger, der Generalunternehmer der Großbaustelle in Essen, kam in die Schlagzeilen. Das haben die großen Firmen und ihre Aktionäre nicht so gern, dass die Öffentlichkeit erfährt, wer der Gewinner im Konkurrenzkampf unter den Arbeitern um Lohn und Brot ist.
Holger Vermeer, Sekretär der IG BAU, konnte nach dieser Aktion mit Hilfe der FKS 65000 Euro unterschlagenen Lohn kassieren und an die Kollegen auszahlen. Diese Summer ging dem Menschenhändler aus Berlin durch die Lappen, er drohte den Arbeitern mit Gewalt. Die trauten sich nach der Lohnauszahlung nicht mehr in ihre Unterkünfte und wurden auf ihrer Heimreise im Bus bis zur Stadtgrenze von der Polizei eskortiert.
Der Generalunternehmer auf der Baustelle in Ratingen, ein Herr Schmitz vom linken Niederrhein, ist ein paar Nummern kleiner. Mit ihm dauerte das Gespräch länger, aber auch er musste 35000 Euro rausrücken; die restlichen Lohnforderungen der 19 rumänischen Kollegen werden derzeit noch vor dem Arbeitsgericht Siegburg eingeklagt.
Alle Anträge der Maurer, Betonbauer und Eisenflechter aus Osteuropa auf selbstständige Beschäftigung wurden in Siegburg ausgestellt. Ein Zufall? In Lohmar, einem Nachbarort, ist der Subunternehmer Exacta-Bau zu Hause. Er arbeitet für Wolf & Müller, den Generalunternehmer der Kölner Baustellen. Die unterschlagenen Löhne konnten die Kölner Gewerkschaftskollegen auch hier eintreiben. Herr Weinert, der Geschäftsführer von Exacta-Bau, wurde im Januar 2008 von der Zollbehörde verhaftet — nicht wegen Menschenhandel, sondern wegen Steuerhinterziehung. Wenn es läuft wie bisher — und wie der Bundesrechnungshof moniert hat, siehe oben —, kommt er nach einem Einspruch mit einem Ordnungsgeld davon. Daraus schließt der Rechnungshof, dass die Kontrollen abgeschafft gehören!

Sklaverei darf es nicht mehr geben

Widerstand zahlt sich aus, das haben die Aktionen der Kollegen aus Polen und Rumänien bewiesen. Kolleginnen und Kollegen der IG BAU und der Wanderarbeitergewerkschaft haben solidarische Hilfe geleistet, Nahrungsmittel und Geld gespendet. Die Kontrollen der FKS waren nötig, um das kriminelle Treiben der Unternehmer auf den drei Baustellen zu beenden.
In der Bundesrepublik darf es — zumal vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte — Sklavenlöhne nicht mehr geben. Es liegen zu viele Zwangsarbeiter auf den Friedhöfen dieses Landes. Sklavenhandel und Sklavenlöhne im 21.Jahrhundert sind eine Schande. Der Sklavenhandel wurde vor 200 Jahren in England abgeschafft, in Amerika am Ende des Sezessionskriegs 1865 formell beendet. Weltweit ist Sklaverei geächtet — doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Auf 27 Millionen wird die Zahl der in Sklaverei gehaltenen Menschen auf der Welt heute geschätzt — es soll nur die Spitze des Eisbergs sein. Kinderarbeiter zählen dazu, Zwangsprostituierte, Sklavenarbeiter auf den großen Plantagen, Dienstmädchen in wohlhabenden Haushalten — und irreguläre Arbeiter auf dem Bau in Deutschland.
Wir müssen das umgekehrte Fazit vom Bundesrechnungshof ziehen: Die Kontrollen müssen ausgeweitet, die bestehenden Gesetze besser genutzt, und die verantwortlichen Unternehmen korrekt bestraft werden. Sie dürfen nicht mit kleinen Bußgeldern davon kommen können. Man kann die Sache auch nicht den staatlichen Behörden überlassen, die damit überfordert sind. Auf den Baustellen müssen auch gewerkschaftliche Vertrauensleute als Kontrolleure eingesetzt werden; und die Informationen über Tarifrecht und Arbeitsrecht müssen in die Landessprache der Beschäftigten übersetzt werden. So kann man verhindern, dass Gesetze mit faulen Tricks ausgehebelt werden.


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