SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2008, Seite 11

Tarifrunde öffentlicher Dienst - Der BVG-Schock

Ein neuer Akt im Stück „Lohnverzicht war gestern"

von Jochen Gester

Wie durch einen Paukenschlag wurde die Berliner Bevölkerung am 31.Januar darauf gestoßen, dass der Öffentliche Dienst in Tarifauseinandersetzungen steht. Auf die Pauke gehauen hatten die Beschäftigten der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG).
Im gewohnten Tarifdrehbuch ist es üblich, dass einige Stunden oder ein Tag lang gestreikt wird und die betroffene Öffentlichkeit dies einige Tage vorher erfährt. Frei nach dem Motto, dass ungewöhnliche Situationen ungewöhnliche Maßnahmen erfordern, wehte diesmal ein anderer Wind. Die Message kam am Donnerstagabend übers Radio und die Abendschau: Ab Mitternacht steht der Bus- und U-Bahn-Verkehr in der Stadt lahm, und dies bis Samstag um 15 Uhr, also 39 Stunden lang. Springers BZ, das hauptstädtische Leitmedium beim Spiel mit der Angst, titelte: „BVG- Schock-Streik” Was war passiert?
Die große Tarifkommission von Ver.di hatte die Arbeitsniederlegung beschlossen, weil den Beschäftigten die Galle übergelaufen ist, nachdem sie über das „Angebot” der öffentlichen Arbeitgeber informiert wurden. Ver.di war mit einer Forderung von 12%, mindestens 250 Euro, in die Verhandlungen gegangen. Der Kommunale Arbeitgeberverband (KAV) ignorierte die Forderung völlig und legte ein Angebot auf den Tisch, das 95% der Beschäftigten von Lohnerhöhungen ausschloss.
Die Empörung der Beschäftigten erklärt sich nicht nur aus dieser Reaktion, sondern auch aus der Einkommensentwicklung der letzten Jahre. 2005 hat Ver.di einem Tarifvertrag bei der BVG zugestimmt, der — wie überall — zu einer Senkung der Löhne und Gehälter führen sollte, die angeblich im Vergleich zur privaten Konkurrenz mindestens 30% zu hoch wären. Im Fall einer Ablehnung sollte die Vergabe der öffentlichen Verkehrsdienstleistungen bundes- oder europaweit ausgeschrieben und die BVG so aus dem Rennen gestoßen werden. Ver.di hatte ein Tarifmodell unterschrieben (den TV-N), das für alle Neueingestellten 20% weniger Lohn vorsah. Die Altmitarbeiter mussten eine kürzere Arbeitszeit mit entsprechender Lohnkürzung sowie Einbußen beim Weihnachts- und Urlaubsgeld hinnehmen. Eine Absenkung ihrer tariflichen Einstufung wird bis jetzt noch durch eine Sicherungsreserve verhindert. Im Ergebnis ist eine neue Tarifstruktur von Beschäftigten erster und zweiter Klasse entstanden. Die ersteren gehen einschließlich Zulagen mit durchschnittlich 2979 Euro nach Hause. Die anderen müssen sich mit 1936 Euro begnügen.
Das jetzt vorliegende Angebot des KAV will den 1150 neu eingestellten Kollegen neben einer Einmalzahlung von 200 Euro 4% mehr Lohn ab dem 1.Juli 2008 und 2% mehr ab 2010 gewähren. Für 5% der Beschäftigten verringert sich damit die Gehaltsschere geringfügig. Damit wollen die Arbeitgeber das Thema Lohnerhöhung bis Anfang 2011 vom Tisch haben. Obendrein möchten sie gerne die Sicherungsreserve verringern.
Der Vorschlag wurde als Provokation aufgefasst. Nach Auskunft von Ver.di-Pressesprecher Andreas Splanemann diskutierten die Mitglieder der Großen Tarifkommission nicht darüber, ob, sondern nur wie lange gestreikt werden soll. Das Arbeitgeberangebot lehnte die alten wie die neuen BVG-Beschäftigten einstimmig ab.
Ver.di hat den KAV aufgefordert, bis zum 8.2. ein verhandlungsfähiges Angebot vorzulegen, das für alle Beschäftigten eine Einkommensverbesserung vorsieht. Die Arbeitgeber haben darauf die Suckale-Nummer (Personalchefin der Deutsche Bahn AG) abgezogen. Gegenüber den Medien bekundeten sie Verhandlungsbereitschaft, ein neues Angebot gibt es bis Redaktionsschluss nicht.
Bleibt die Frage, ob die BVG-Beschäftigten nun in die Fußstapfen ihrer GdL-Kollegen treten und wir einen neuen Akt im Stück „Lohnverzicht war gestern” sehen. Oder ob der Senat sich mit ein wenig zusätzlichem Kleingeld aus der Affäre ziehen kann — z.B. durch einen Inflationsausgleich für die bisher leer ausgehenden 95% der Beschäftigten. Auf den Abschluss haben natürlich auch die zentral geführten Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst einen nicht unwesentlichen Einfluss.


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