SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2008, Seite 14

Schwangerschaftsabbruch in Polen

Die Frauen kennen ihre Rechte nicht

von Teresa Jakubowska

Polen, Irland und Malta sind die letzten Länder Europas, in denen ein Schwangerschaftsabbruch noch verboten ist — mit verheerenden Folgen für die Frauen und ohne erkennbar positive Auswirkungen auf das Bevölkerungswachstum. Dass es hauptsächlich darum geht, Frauen zu knechten, zeigt der nachstehende Bericht.
Zu der Vielzahl von Gesetzen, die tagtäglich in Polen von den Institutionen, die eigentlich dafür da wären, ihre Beachtung zu überprüfen, nicht eingehalten werden, gehört vor allen Dingen das Gesetz über den Schwangerschaftsabbruch von 1993. Über viele Jahre hat die katholische Kirche in unzähligen Regierungen alles dafür getan dass diejenigen, die für die Einhaltung dieses Gesetzes sorgen müssten, es nicht kennen, damit die Frauen in Unwissenheit über ihre Rechte gehalten werden und nicht darauf pochen können.
Wie sieht das Gesetz aus? Es trifft nur Frauen und Mädchen, die kein Geld haben. Eine Frau, die ihre Garage mit einer Fernbedienung öffnet, wird natürlich nicht vergewaltigt aber dafür eine, die nachts zu Fuß von der Arbeit zurückkehrt. Wenn sie bei der Polizei oder im Krankenhaus eine Vergewaltigung anzeigt, bekommt sie keine „Pille danach” Für einen Schwangerschaftsabbruch hat sie kein Geld, und sie bekommt auch vom Staatsanwalt innerhalb der für einen Abbruch vorgesehenen Frist keine Bescheinigung über die Vergewaltigung.
Im Allgemeinen wissen die Polen, dass das bestehende Gesetz einen Schwangerschaftsabbruch in drei Fällen gestattet:
wenn die Schwangerschaft Leben und Gesundheit der Mutter gefährdet;
wenn schwere und irreversible Schäden an der Frucht sehr wahrscheinlich sind bzw. eine unheilbare Krankheit ihr Leben bedroht;
wenn die Schwangerschaft die Folge eines Verbrechens ist (Vergewaltigung, Inzest, Minderjährigkeit).
Andererseits herrscht in Polen aber die irrige Auffassung, dass ein Schwangerschaftsabbruch nur bis zur 12.Schwangerschaftswoche erlaubt sei. Das gilt allerdings nur für Schwangerschaften infolge eines Verbrechens. Eben diese Bedingung ist ein Skandal. Nehmen wir zum Beispiel eine 14-Jährige, die womöglich in den ersten zwölf Wochen gar nicht auf die Idee kommt, sie könnte schwanger sein. Jahr für Jahr gibt es in Polen 12-jährige Mädchen, die gezwungen sind, Kinder zu gebären. Dabei gilt laut Gesetz jede Schwangerschaft einer unter 15- Jährigen als Verbrechen, sogar dann wenn der Geschlechtsakt ohne Gewalt vollzogen wurde.
In der Praxis weigern sich Staatsanwälte auch dann, Frauen eine Bescheinigung für den Arzt auszustellen, wenn ein begründeter Verdacht vorliegt, dass die Schwangerschaft durch eine verbrecherische Handlung entstanden ist. Das Gesetz sieht aber vor, dass eine Schwangerschaft, die durch ein Verbrechen verursacht wurde, in einer Privatpraxis unterbrochen werden darf — welch ein Hohn! Schließlich sind es zumeist Frauen ohne Geld, die den Verbrechern zu Opfer fallen.

Der Staat bricht sein Recht

In den beiden erstgenannten Fällen kann die Schwangerschaft kostenlos in einer Klinik abgebrochen werden.
Im Fall einer Gefährdung von Leben und Gesundheit der schwangeren Frau sieht das Gesetz keine Zeitbegrenzung für einen Schwangerschaftsabbruch vor. Das ist logisch, kann doch diese Gefahr zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft auftreten, ja sogar während der Geburt. Allerdings wird diese Vorschrift in Polen nicht eingehalten.
In der Öffentlichkeit wurde der Fall von Alicja Tysic bekannt. Für sie bestand die Gefahr blind zu werden, die Schwangerschaft hätte aus therapeutischen Gründen abgebrochen werden müssen. Viele Jahre kämpfte sie ergebnislos vor polnischen Gerichten; erst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg sprach ihr eine Entschädigung durch den polnischen Staat zu. Ich fragte Alicja, ob sie wusste, dass sie das Recht hatte, die Schwangerschaft zu jedem Zeitpunkt abzubrechen. Sie wusste es nicht. Sie war überzeugt davon, dass ihr nach dem 12.Schwangerschaftsmonat kein Arzt eine Bescheinigung ausstellen würde. Niemand hat sie über ihre Rechte aufgeklärt. Wer weiß, wie die Sache ausgegangen wäre, hätte Alicja um ihre Rechte gewusst? Der Europäische Gerichtshof hat dem polnischen Staat bescheinigt, das Gesetz zuungunsten von Alicja gebrochen zu haben. Vor allem, weil es keine Möglichkeiten gibt im Fall einer Verweigerung des Schwangerschaftsabbruchs Einspruch zu erheben.
Gesundheitsgefährdend können auch psychische Probleme sein. Es besteht kein Zweifel, dass eine tragische persönliche Situation — fehlendes Einkommen, fehlende Wohnung, Verlassen durch den Partner u.ä. — zu Depressionen und Verzweiflung führen kann. Dem Gesetz nach muss der Arzt in solchen Situationen entscheiden, ob eine Schwangerschaft abgebrochen wird. Leider kümmern sich die Ärzte in Polen nicht um den psychischen Zustand dieser Frauen. Wegen dem Druck der Kirche verweigern sie sogar vergewaltigten Frauen den Schwangerschaftsabbruch, obgleich diese dadurch immer in eine psychische Krise geraten. Im Allgemeinen berufen sie sich auf ihre Gewissensfreiheit. Jedoch ist dieses Gewissen offenbar recht elastisch, haben sie doch kein Problem, bei derselben Frau die Schwangerschaft in ihrer Privatpraxis abzubrechen — gegen Geld, versteht sich.

Nur ungeborenes Leben wird geschützt

Im Fall einer Schädigung der Frucht schreibt das Gesetz ebenfalls keine Frist für den Abbruch vor. Es beschreibt nur sehr ungenau, dass ein Abbruch bis zum Zeitpunkt der selbständigen Lebensfähigkeit außerhalb des Mutterleibes möglich ist. Man geht davon aus, dass dies in der 22.Schwangerschaftswoche der Fall ist. Wenn die Frucht Anzeichen aufweist, dass ein selbständiges Leben außerhalb des Mutterleibes nicht möglich ist, kann die Frau sich jederzeit für einen Abbruch entscheiden. Dabei reicht schon die große Wahrscheinlichkeit einer Entwicklungsstörung oder eines genetischen Defekts — es bedarf keiner absoluten Gewissheit.
Leider wird auch hier das Gesetz nicht eingehalten. Die geschätzte Zahl der pränatalen Untersuchungen — welche die Kirche missbilligt — ergibt, dass in Polen im Vergleich zu anderen Ländern relativ mehr Kinder mit physischen und psychischen Schäden geboren werden. EU-Untersuchungen zufolge sind es viermal so viele. Dabei werden in Polen 19 mal weniger pränatale Untersuchungen durchgeführt als im benachbarten Tschechien.
Trotz alledem sind polnische katholische Fundamentalisten der Auffassung, dass das Gesetz die Rechte oder gar die Würde des Ungeborenen nicht ausreichend schützt. Sie fordern, den Schutz des Lebens von der Zeugung an in die Verfassung, aufzunehmen. Proteste haben dies bisher verhindert. Vor kurzem ging auch der Beauftragte für Bürgerrechte mit einem ähnlichen Vorschlag an die Öffentlichkeit. Er möchte das Gesetz über den Schwangerschaftsabbruch vor dem Verfassungsgericht anfechten, weil es seiner Auffassung nach das ungeborene Leben nicht ausreichend schützt. Wir haben also einen Beauftragten für Bürgerrechte, der den Schutz des Lebens und der Gesundheit bei Ungeborenen, nicht aber bei Frauen für schützenswert hält. In allen zivilisierten Ländern ist es umgekehrt: Der Schutz von Leben und Gesundheit der Frau genießt Vorrang gegenüber dem Recht des Ungeborenen, und das bis zum Zeitpunkt der Geburt.
Es fehlt in Polen an sachlich kompetenter Sexualaufklärung, von Verhütungsmitteln wird unzureichend Gebrauch gemacht — die Kirche verbietet sie, und für Mädchen und Frauen aus ärmeren Familien sind sie teuer. Dies hat zur Folge, dass jährlich offiziell etwa 200000 Schwangerschaften illegal abgebrochen werden. Bei einer Bevölkerung von 38 Millionen ist das lachhaft. Es ist aber auch das beste Beispiel dafür, dass das Recht nicht eingehalten wird. Der Schwangerschaftsabbruch wird zumeist „pharmazeutisch” praktiziert, d.h. über das Internet werden die entsprechenden Medikamente besorgt und ohne ärztliche Aufsicht eingenommen. Das ist eine zusätzliche Gefahr, denn im Internet sind auch Betrüger am Werk. In den Arztpraxen verwendet man die veraltete Methode der Ausschabung, weil sich eine Vakuumpumpe bei einer Polizeikontrolle leichter identifizieren ließe. Auch das gefährdet die Gesundheit der Frauen.
Der Fall von Alicja Tysic hat zu einer Prozesswelle geführt. Frauen, denen ein Schwangerschaftsabbruch abgelehnt worden war, obwohl die Voraussetzungen gegeben waren, haben Klage auf Schadensersatz geführt. Vielleicht zwingt dies das medizinische Personal in staatlichen Kliniken zu einer Änderung seines Verhaltens.

Niedrigste Geburtenrate der EU

Das Gesetz sollte sich gegen einen Rückgang des Bevölkerungswachstums richten. Dieses Ziel hat es verfehlt, Polinnen bringen EU-weit die wenigsten Kinder zur Welt. Zu Anfang dieses Jahrtausends gab es sogar vier Jahre hintereinander mehr Todesfälle als Geburten; erst 2006 gab es wieder ein Plus von 6000 Personen. Die Tendenz hielt auch 2007 an.
Dies haben wir dem Bevölkerungswachstum der 80er Jahre zu verdanken. Aber hier spielte wohl auch das Geburtengeld von 2000 Zloty (etwa 570 Euro) eine Rolle — seine Auswirkungen sind allerdings abschreckend. Zwar hören wir nichts mehr von Babys, die im Müll landen, dafür werden Neugeborene oft in den Kliniken zurückgelassen. Es gibt die 2000 Zloty nämlich nur für die Geburt. So gibt es einen Geburtenanstieg unter den Randschichten der Gesellschaft. Dort wird die Geburtenbeihilfe als „Schnapsgeld” bezeichnet. Bei einem Neugeborenen wurde schon einmal ein Alkoholpegel von 2‰ gemessen — also an der Grenze von Leben und Tod. Wenn diese Neugeborenen überleben, tragen sie einen lebenslangen Gehirnschaden davon. Darauf wurde schon vor der Verabschiedung des Gesetzes hingewiesen, aber die Abgeordneten stellten sich taub. Sie interessierten sich nicht für die tragischen Folgen des Geburtengelds der Kaczynski-Regierung. Die Verantwortungslosigkeit für das Schicksal des Landes ist grenzenlos.
Die Öffentlichkeit ist über diese Dinge nicht informiert, Statistiken werden nicht geführt. Bekannt ist nur, dass trotz einer geringen Geburtenrate die Anzahl der Kinder in staatlichen Kinderheimen nicht geringer wird und auf einem Niveau von 25000 verharrt. Diese Kinder haben alle Eltern! Und die Kirche? Je mehr Unwissenheit, Armut und menschliches Leid, umso mehr Menschen strömen in die Kirche.

Teresa Jakubowska ist stellvertretende Vorsitzende und Sprecherin der Partei Racja Polnische Linke. Es ist eine außerparlamentarische Partei, die in ihrem Programm stärker als jede andere Partei in Polen sowohl linke als auch vor allem feministische Ziele verfolgt (www.racja.org.pl; Übersetzung aus dem Polnischen: Norbert Kollenda).


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