SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2008, Seite 15

Kosova

Anerkennen oder nicht anerkennen?

von Angela Huemer

Europa hat einen zukünftigen neuen Mitgliedstaat, der nicht von der ganzen EU anerkannt wird.
Am besten brachte es die gute alte BBC auf den Punkt: To recognise or not to recognise? (Anerkennen oder nicht anerkennen?) gepaart mit dem spitzen Hinweis, dass die USA, die ja selbst im Jahr 1776 unilateral ihre Unabhängigkeit erklärten, „lead the way”, also zeigen, wo es lang geht.
Eine Weile wurde schon spekuliert, wann es denn so weit sein würde; am Sonntag, 17.Februar war es dann so weit. In einer knapp einstündigen Zeremonie deklarierte Hashim Thaci, nunmehr Premierminister, die Existenz eines neuen, friedliebenden, multikulturellen Staates — Kosova, wie er in der Landessprache heißt. Besonders bemüht war er zu betonen, dass Kosova ein Sonderfall ist und ein ganz besonders multikulturelles Land.
Nahezu postwendend kam die Antwort aus Belgrad, dass diese Deklaration null und nichtig ist und von Serbien nicht anerkannt wird. Gleichzeitig betonten sie, dass sie nicht mit Gewalt, sondern mit einem Paket von Sanktionen reagieren werden. Zu diesem Zeitpunkt und auch schon davor, wurde auf den Straßen Pristinas gefeiert. Da die neuen staatlichen Symbole nicht rechtzeitig zur Unabhängigkeit fertig geworden sind, begnügt man sich bislang mit der albanischen Fahne, ein schwarzer Doppeladler auf rotem Grund. Vereinzelt war diese Fahne sonntags auch in Deutschland zu sehen, als Exilkosovaren ihren neuen Staat feierten.
Die erste offizielle Anerkennung kam dann aus weiter Ferne, aus Afghanistan. Kurze Zeit später folgten die USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, nach ihnen die Mehrzahl der EU- Mitglieder, der letzte Stand war rund 17 Mitgliedstaaten dafür, der Rest dagegen. Der Rest ist u.a. Rumänien, Griechenland, Spanien und Zypern. Spanien sprach sich wohl am vehementesten dagegen aus. Sogar die Türkei ist unter den Befürwortern. Wie zu erwarten sprach sich Russland vehement dagegen aus, brachte aber in einem Atemzug auch die beiden georgischen Regionen Südossetien und Abchasien ins Spiel, die beiden Regionen Georgiens, die zurück nach Russland wollen. Die Bereitschaft, Kosova anzuerkennen, scheint weniger mit den Gegebenheiten am Balkan abgestimmt zu sein, als mit der jeweiligen Innenpolitik.

Was geschah bisher?

Das Kosovo war eine autonome Region der Föderation von Jugoslawien, eine, die die Serben stets als ihr „Herzland” bezeichneten, nicht zuletzt wegen der für die Serben mythischen Schlacht auf dem Amselfeld (in der Gegend des heutigen Pristina) gegen die Osmanen. Der genaue Ausgang der Schlacht ist unbekannt. Die 600- Jahr-Feier dieser Schlacht 1989 markiert den Anfang des Zerfalls Jugoslawiens. In diesem Jahr hob Milosevic die Autonomie der Region auf. Seither blieb kein Stein auf dem anderen in der ehemaligen jugoslawischen Föderation. Die Kämpfe der 90er Jahre fanden ihr Ende im Eingreifen der NATO-Truppen 1999. Viele Serben flohen aus Angst vor Racheakten, eine UN-Resolution beendete den Krieg und verfügte, dass Kosova noch Teil von Jugoslawien ist, das nunmehr nur mehr aus Serbien bestand. Seither gab es eine stete Präsenz von NATO-Truppen.
Schon seit etwa einem Jahr existiert ein Plan der UNO, in dem u.a. eine Denzentralisierung vorgesehen wird, d.h. es sollten neue Verwaltungseinheiten mit mehrheitlich serbischer Bevölkerung geschaffen werden. Diese sollten weitgehend selbstverwaltet sein und direkte Verbindung zu Serbien haben. In der Zentralregierung sollte es eine Quotenregelung für die Minderheiten geben, Kosova sollte multiethnisch werden. Als die Verhandlungen des UN-Vertreters Ahtisaari mit den Kosovaren und Serben auf der Basis dieses Plans zu keinerlei Resultaten führten und die UNO sich zu keiner neuen Deklaration zum Status von Kosova durchringen konnte, war es klar, dass eine unilaterale Unabhängigkeitserklärung imminent ist.

Was nun?

Bis dato gibt es nur wenige Dinge, die sich voraussagen lassen. Wie hoch die Anerkennungsquote sein wird ist vermutlich wesentlich weniger wichtig als andere Faktoren. Derzeit sind rund die Hälfte der Bewohner arbeitslos. Das Durchschnittseinkommen beträgt etwa 220 Euro. Noch sind 17000 NATO-Truppen im Land, darunter 2400 Deutsche. Auch wenn sich die EU uneinig ist, ob Kosova nun ein Staat ist oder nicht, hat sie doch einen Operationsplan beschlossen, „Eulex” 2200 Personen, unter ihnen Polizisten, Gefängnisaufseher, Richter, Zollbeamter sollen Aufbauhilfe leisten. Dass noch viel zu tun ist, war nach den Feierlichkeiten besonders sichtbar. Überall lag Müll herum, die Müllentsorgung ist einer der Bereiche — neben der Stromversorgung — die noch gar nicht gut funktionieren. Die Jahre der UN-Verwaltung haben wohl am ehesten das organisierte Verbrechen und die Korruption erblühen lassen.

Es wird einmal...

Unabhängigkeit hin oder her, alles nicht so wichtig. Der französische Außenminister Bernard Kouchner sieht frohgemut in die Zukunft: „Ich weiß zwar nicht an welchem Datum, in welchem Jahr, Kosova und Serbien werden irgendwann beide Mitglieder der EU werden.” Bleibt nur zu hoffen, dass das gleichzeitig passiert, denn sonst könnte ja der eine gegen die Mitgliedschaft des anderen ein Veto einlegen. Doch zunächst bleibt zu hoffen, dass keine nennenswerte Gewalt ausbricht — kleinere Zwischenfälle gab es bereits.


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