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Die Bank gewinnt immer. So will es das Sprichwort
und so sah es jahrzehntelang in den kapitalistischen Zentren auch aus. Wohl gab es
vereinzelt Bankpleiten, Zusammenschlüsse und Übernahmen, aber Krisen des
gesamten Bankensektors fanden nur in den fremden Welten des öffentlichen bzw.
genossenschaftlichen Sektors oder in aufstiegsorientierten Schwellenländern
statt.
In den späten 80er
Jahren gerieten amerikanische Genossenschaftsbanken, deren Kunden zumeist Haushalte der Arbeiter- und Mittelklasse
waren, in eine schwere Krise, weil sie sich, durch staatliche Einlagengarantien zu riskanten Geschäften ermutigt, in die
private Geschäftswelt des im Aufstieg begriffenen Finanzmarktkapitalismus begeben hatten. Ähnlich erging es in
den 90er Jahren vielen Schwellenländern, die, oftmals auf Anraten von OECD und IWF, Kapitalverkehrskontrollen
aufhoben, eine kurze Zeit der Investitionseuphorie erlebten und kurz darauf die Lasten von Währungs- und
Finanzkrisen zu tragen hatten.
Des einen Freud, des anderen Leid. So
sagt ein anderes Sprichwort, an das sich die privaten Banken in den Metropolen gern
gehalten haben. Krisen anderswo haben unliebsame Konkurrenten oftmals auch
nur solche, die es hätten werden wollen aus dem Weg geräumt und so
das Operationsfeld westlicher Großbanken erweitert.
Die jüngsten
Entwicklungen im deutschen Bankensektor passen in dieses Bild. Massive Verluste in
der Immobilienspekulation haben die Sächsische Landesbank in die Arme der LB
Baden-Württemberg getrieben. Die Staatsknete, mit der die WestLB noch vor
kurzem zu einem privaten Spieler aufgemotzt werden sollte, reicht kaum noch, um die
Pleite zu verhindern.
Eine erfreuliche
Marktbereinigung für die Privaten. Immer neue Abschreibungen und
Liquiditätsengpässe der IKB-Bank werden von deren privaten Anteilseignern
genutzt, um der Bankengruppe der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau,
die mit 38% größter IKB-Aktionär ist, Gelder zur Minimierung ihres
eigenen Verlustanteils aus dem Kreuz zu leiern. Die Deutsche Bank meldet
Rekordgewinne.
Gott lässt
keine Bäume in den Himmel wachsen, orakelt das von der unsichtbaren, aber
starken Hand des Finanzmarkts eingeschüchterte Volk und fragt sich, wie lange
der Abbau von Löhnen, Sozialleistungen und Arbeitsplätzen noch zu
steigenden Bank- und anderen Profiten führen wird. Die gleiche Frage stellen
sich gegenwärtig auch jene, die solche Maßnahmen in Unternehmen und
Politik durchsetzen.
Dass sich das
Wirtschaftswachstum und damit bei gleich bleibender Verteilung zwischen
Arbeits- und Vermögenseinkommen auch die zu erzielenden Gewinne
abschwächt, wird von Unternehmen und ihren Ideologieproduzenten nicht mehr
bestritten. Es wird sogar für wahrscheinlich gehalten, dass diese
Abschwächung zu einer Rezession führt. Pessimistische Stimmen aus dem
Bürgertum vermuten gar, die Rezession sei bereits da. Sie sei in den
Unternehmens- und Wirtschaftsstatistiken allerdings noch nicht sichtbar, weil die
Datensammlungen nur über bereits Gewesenes, nicht aber über Gegenwart und
Zukunft Auskunft geben.
Rezessionen
gehören zum kapitalistischen Geschäftsgang. Sie sind zwar lästig,
weil kein Unternehmen weiß, ob es ausreichend Lohnsenkungen,
Arbeitszeitverlängerung und Arbeitsintensivierung durchsetzen kann, um die
Profitrate zu erhöhen. Andererseits sind sie aber nützlich, weil
diejenigen, die sich bei der verschärften Auspressung von Mehrarbeit aus der
von ihnen beschäftigten Arbeitskraft besonders hervortun, gute Chancen haben,
allzu arbeiterfreundliche Konkurrenten aus dem Feld schlagen zu können.
Unternehmen, die
infolge unmäßiger Zugeständnisse an die renitenten Träger der
Arbeitskraft entweder hohe Preise verlangen oder sich dem Marktpreis anpassen
müssen und dann infolge geringerer Gewinne die neuesten, Arbeitskraft
einsparenden und disziplinierenden Technologien nicht beschaffen können,
scheiden aus dem kapitalistischen Spiel aus.
Rezessionen gibt es
immer wieder. Gegenwärtig gibt es aber noch etwas, das es lange nicht gegeben
hat: eine Krise des Bankensektors in den kapitalistischen Metropolen. Zwar steht die
Deutsche Bank augenblicklich gut da, auch bzw. weil ein Teil ihrer ehemaligen
Beschäftigten nun auf der Straße steht. Nicht auszuschließen
allerdings, dass sie es bislang nur besser verstanden hat, anstehende Abschreibungen
eher als andere zu verschleiern.
Unternehmensdaten
sind schließlich kein objektives Abbild der Unternehmensrealität, sondern
ein zum Zweck der Gewinnmaximierung konstruierter Fetisch. Bei Meryll Lynch in den
USA, Northern Rock in England, USB in der Schweiz und der Société
Générale in Frankreich hat der Fetisch seine Zauberkraft bereits verloren.
Wenn eine ganze
Reihe von Großbanken, die (oder deren Vorgänger) seit der
Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre stets auf der Seite der Krisengewinnler
gestanden haben, selbst von der Krise erfasst werden, steht der kapitalistischen
Produktionsweise und ihrer internationalen Staatenordnung möglicherweise mehr
ins Haus als ein zyklische Reaktion. Dies gilt umso mehr, als nicht ein einzelnes
Land von der Bankenkrise betroffen ist, wie Japan in den 90er Jahren, sondern alle
Finanzmetropolen von ungeplanten Abschreibungen, längere Zeit verschleierten
Verlusten und Liquiditätsengpässen betroffen sind.
Um den
Zirkulationsprozess des Gesamtkapitals zu schmieren, haben die Zentralbanken in
Washington, Frankfurt, Tokyo und London seit Herbst letzten Jahres mehrfach riesige
Geldsummen ins globale Finanzsystem gepumpt. Trotzdem fürchten internationale
Finanzinstitutionen, Wirtschafts- und Finanzminister und Ökonomen immer noch,
eine allgemeine Kreditknappheit könne zum Austrocknen der vom Westen
gesteuerten Kapitalflüsse führen.
Einige fragen sich
sogar, ob das in China, Indien und Russland in den vergangenen Jahren infolge des
Rohstoff- und Exportbooms reichlich akkumulierte, teilweise von den Regierungen
dieser Länder kontrollierte Kapital zur Sicherung der westlichen
Geschäftswelt angezapft werden kann, ohne sich in Abhängigkeit dieser
aufsteigenden Mächte zu begeben.
Schwere Zeiten
für den neoliberalen Konsens, dessen Botschaft weltweit freier
Kapitalflüsse drei Jahrzehnte hindurch von den herrschenden Klassen in den
imperialistischen Metropolen aufgezwungen wurde.
Die US-Zentralbank
versucht, den Niedergang des Dollar-Wall-Street-Kapitalismus durch massive
Zinssenkungen zu stoppen. Niedrige Zinsen, so das Kalkül, verhindern, dass
verfügbares Kapital langjährig in Staatsschuldtiteln oder Gold geparkt
oder gar aus Angst vor platzenden Spekulationsblasen unter der sprichwörtlichen
Matratze versteckt wird. Kurz, niedrige Zinsen sollen die Zockermentalität
wiederherstellen, die den Akkumulationsprozess des Kapitals in den vergangenen
Jahrzehnten ein bisschen, die Schuldenakkumulation aber dramatisch angetrieben und
westlichen Großbanken traumhafte Umsätze und Gewinne beschert hat.
In den Krisen
1990/91 und 2001 konnten sich die USA und das Dollar-Wall-Street-Regime nicht
zuletzt durch eine locker-aggressive Geldpolitik als weltweite Führungsmacht
behaupten. Die Anhäufung von Kapitalüberschüssen in Indien und China
hatte zu jener Zeit allerdings erst begonnen, der Euro war Fantasie bzw. gerade erst
aus der Taufe gehoben, die Sowjetunion stand vor dem Zusammenbruch bzw. das
neokapitalistische Russland vor einer Finanzkrise.
Tektonische
Verschiebungen des kapitalistischen Weltsystems wurden längere Zeit kaum
wahrgenommen, weil Anhänger wie Kritiker des neoliberalen Kapitalismus
gleichermaßen in der Vorstellung befangen waren, der Weltmarkt schleife die
Hierarchien des internationalen Staatensystems ab.
In der
gegenwärtigen Krise müssen politische und wirtschaftliche
Entscheidungsträger feststellen, dass ihre lieb gewonnen Vorstellungen von
einem neoliberalen Krisenmanagement der veränderten Realität nicht mehr
angemessen sind. Weder der Aufstieg neuer politischer Mächte noch eine Krise im
ökonomischen Steuerungszentrum des Weltkapitalismus sind in den
Handbüchern über die Abwälzung der Krisenlasten auf die
kapitalistische Peripherie und die Arbeiterklasse aller Länder vorgesehen.
Letztere könnte die Verunsicherung und die Ansätze zur politischen
Neuorientierung innerhalb der neoliberalen Internationale nutzen, um sich
Bewegungsspielräume zu erkämpfen, die lange Zeit unter den
Enttäuschungen über untergegangene Sozialismusvorstellungen
verschüttet waren.
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