SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2008, Seite 17

Kommentar

Überlebt der neoliberale Konsens die Bankenkrise?

von Ingo Schmidt

Die Bank gewinnt immer. So will es das Sprichwort und so sah es jahrzehntelang in den kapitalistischen Zentren auch aus. Wohl gab es vereinzelt Bankpleiten, Zusammenschlüsse und Übernahmen, aber Krisen des gesamten Bankensektors fanden nur in den fremden Welten des öffentlichen bzw. genossenschaftlichen Sektors oder in aufstiegsorientierten Schwellenländern statt.
In den späten 80er Jahren gerieten amerikanische Genossenschaftsbanken, deren Kunden zumeist Haushalte der Arbeiter- und Mittelklasse waren, in eine schwere Krise, weil sie sich, durch staatliche Einlagengarantien zu riskanten Geschäften ermutigt, in die private Geschäftswelt des im Aufstieg begriffenen Finanzmarktkapitalismus begeben hatten. Ähnlich erging es in den 90er Jahren vielen Schwellenländern, die, oftmals auf Anraten von OECD und IWF, Kapitalverkehrskontrollen aufhoben, eine kurze Zeit der Investitionseuphorie erlebten und kurz darauf die Lasten von Währungs- und Finanzkrisen zu tragen hatten.
Des einen Freud, des anderen Leid. So sagt ein anderes Sprichwort, an das sich die privaten Banken in den Metropolen gern gehalten haben. Krisen anderswo haben unliebsame Konkurrenten — oftmals auch nur solche, die es hätten werden wollen — aus dem Weg geräumt und so das Operationsfeld westlicher Großbanken erweitert.
Die jüngsten Entwicklungen im deutschen Bankensektor passen in dieses Bild. Massive Verluste in der Immobilienspekulation haben die Sächsische Landesbank in die Arme der LB Baden-Württemberg getrieben. Die Staatsknete, mit der die WestLB noch vor kurzem zu einem privaten Spieler aufgemotzt werden sollte, reicht kaum noch, um die Pleite zu verhindern.
Eine erfreuliche Marktbereinigung für die Privaten. Immer neue Abschreibungen und Liquiditätsengpässe der IKB-Bank werden von deren privaten Anteilseignern genutzt, um der Bankengruppe der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau, die mit 38% größter IKB-Aktionär ist, Gelder zur Minimierung ihres eigenen Verlustanteils aus dem Kreuz zu leiern. Die Deutsche Bank meldet Rekordgewinne.
Gott lässt keine Bäume in den Himmel wachsen, orakelt das von der unsichtbaren, aber starken Hand des Finanzmarkts eingeschüchterte Volk und fragt sich, wie lange der Abbau von Löhnen, Sozialleistungen und Arbeitsplätzen noch zu steigenden Bank- und anderen Profiten führen wird. Die gleiche Frage stellen sich gegenwärtig auch jene, die solche Maßnahmen in Unternehmen und Politik durchsetzen.
Dass sich das Wirtschaftswachstum — und damit bei gleich bleibender Verteilung zwischen Arbeits- und Vermögenseinkommen auch die zu erzielenden Gewinne — abschwächt, wird von Unternehmen und ihren Ideologieproduzenten nicht mehr bestritten. Es wird sogar für wahrscheinlich gehalten, dass diese Abschwächung zu einer Rezession führt. Pessimistische Stimmen aus dem Bürgertum vermuten gar, die Rezession sei bereits da. Sie sei in den Unternehmens- und Wirtschaftsstatistiken allerdings noch nicht sichtbar, weil die Datensammlungen nur über bereits Gewesenes, nicht aber über Gegenwart und Zukunft Auskunft geben.
Rezessionen gehören zum kapitalistischen Geschäftsgang. Sie sind zwar lästig, weil kein Unternehmen weiß, ob es ausreichend Lohnsenkungen, Arbeitszeitverlängerung und Arbeitsintensivierung durchsetzen kann, um die Profitrate zu erhöhen. Andererseits sind sie aber nützlich, weil diejenigen, die sich bei der verschärften Auspressung von Mehrarbeit aus der von ihnen beschäftigten Arbeitskraft besonders hervortun, gute Chancen haben, allzu arbeiterfreundliche Konkurrenten aus dem Feld schlagen zu können.
Unternehmen, die infolge unmäßiger Zugeständnisse an die renitenten Träger der Arbeitskraft entweder hohe Preise verlangen oder sich dem Marktpreis anpassen müssen und dann infolge geringerer Gewinne die neuesten, Arbeitskraft einsparenden und disziplinierenden Technologien nicht beschaffen können, scheiden aus dem kapitalistischen Spiel aus.
Rezessionen gibt es immer wieder. Gegenwärtig gibt es aber noch etwas, das es lange nicht gegeben hat: eine Krise des Bankensektors in den kapitalistischen Metropolen. Zwar steht die Deutsche Bank augenblicklich gut da, auch bzw. weil ein Teil ihrer ehemaligen Beschäftigten nun auf der Straße steht. Nicht auszuschließen allerdings, dass sie es bislang nur besser verstanden hat, anstehende Abschreibungen eher als andere zu verschleiern.
Unternehmensdaten sind schließlich kein objektives Abbild der Unternehmensrealität, sondern ein zum Zweck der Gewinnmaximierung konstruierter Fetisch. Bei Meryll Lynch in den USA, Northern Rock in England, USB in der Schweiz und der Société Générale in Frankreich hat der Fetisch seine Zauberkraft bereits verloren.
Wenn eine ganze Reihe von Großbanken, die (oder deren Vorgänger) seit der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre stets auf der Seite der Krisengewinnler gestanden haben, selbst von der Krise erfasst werden, steht der kapitalistischen Produktionsweise und ihrer internationalen Staatenordnung möglicherweise mehr ins Haus als ein zyklische Reaktion. Dies gilt umso mehr, als nicht ein einzelnes Land von der Bankenkrise betroffen ist, wie Japan in den 90er Jahren, sondern alle Finanzmetropolen von ungeplanten Abschreibungen, längere Zeit verschleierten Verlusten und Liquiditätsengpässen betroffen sind.
Um den Zirkulationsprozess des Gesamtkapitals zu schmieren, haben die Zentralbanken in Washington, Frankfurt, Tokyo und London seit Herbst letzten Jahres mehrfach riesige Geldsummen ins globale Finanzsystem gepumpt. Trotzdem fürchten internationale Finanzinstitutionen, Wirtschafts- und Finanzminister und Ökonomen immer noch, eine allgemeine Kreditknappheit könne zum Austrocknen der vom Westen gesteuerten Kapitalflüsse führen.
Einige fragen sich sogar, ob das in China, Indien und Russland in den vergangenen Jahren infolge des Rohstoff- und Exportbooms reichlich akkumulierte, teilweise von den Regierungen dieser Länder kontrollierte Kapital zur Sicherung der westlichen Geschäftswelt angezapft werden kann, ohne sich in Abhängigkeit dieser aufsteigenden Mächte zu begeben.
Schwere Zeiten für den neoliberalen Konsens, dessen Botschaft weltweit freier Kapitalflüsse drei Jahrzehnte hindurch von den herrschenden Klassen in den imperialistischen Metropolen aufgezwungen wurde.
Die US-Zentralbank versucht, den Niedergang des Dollar-Wall-Street-Kapitalismus durch massive Zinssenkungen zu stoppen. Niedrige Zinsen, so das Kalkül, verhindern, dass verfügbares Kapital langjährig in Staatsschuldtiteln oder Gold geparkt oder gar aus Angst vor platzenden Spekulationsblasen unter der sprichwörtlichen Matratze versteckt wird. Kurz, niedrige Zinsen sollen die Zockermentalität wiederherstellen, die den Akkumulationsprozess des Kapitals in den vergangenen Jahrzehnten ein bisschen, die Schuldenakkumulation aber dramatisch angetrieben und westlichen Großbanken traumhafte Umsätze und Gewinne beschert hat.
In den Krisen 1990/91 und 2001 konnten sich die USA und das Dollar-Wall-Street-Regime nicht zuletzt durch eine locker-aggressive Geldpolitik als weltweite Führungsmacht behaupten. Die Anhäufung von Kapitalüberschüssen in Indien und China hatte zu jener Zeit allerdings erst begonnen, der Euro war Fantasie bzw. gerade erst aus der Taufe gehoben, die Sowjetunion stand vor dem Zusammenbruch bzw. das neokapitalistische Russland vor einer Finanzkrise.
Tektonische Verschiebungen des kapitalistischen Weltsystems wurden längere Zeit kaum wahrgenommen, weil Anhänger wie Kritiker des neoliberalen Kapitalismus gleichermaßen in der Vorstellung befangen waren, der Weltmarkt schleife die Hierarchien des internationalen Staatensystems ab.
In der gegenwärtigen Krise müssen politische und wirtschaftliche Entscheidungsträger feststellen, dass ihre lieb gewonnen Vorstellungen von einem neoliberalen Krisenmanagement der veränderten Realität nicht mehr angemessen sind. Weder der Aufstieg neuer politischer Mächte noch eine Krise im ökonomischen Steuerungszentrum des Weltkapitalismus sind in den Handbüchern über die Abwälzung der Krisenlasten auf die kapitalistische Peripherie und die Arbeiterklasse aller Länder vorgesehen. Letztere könnte die Verunsicherung und die Ansätze zur politischen Neuorientierung innerhalb der neoliberalen Internationale nutzen, um sich Bewegungsspielräume zu erkämpfen, die lange Zeit unter den Enttäuschungen über untergegangene Sozialismusvorstellungen verschüttet waren.


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