SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2008, Seite 22

Filmvorstellung

Les LIP oder die Macht der Phantasie, Frankreich 2007, Regie: Christian Rouaud

von Andreas Bodden

"Es ist möglich: Wir produzieren, wir verkaufen, wir werden bezahlt!” Unter diesem Motto nahmen die Arbeiterinnen und Arbeiter im Juni 1973 die Produktion in der Uhrenfabrik LIP in Besançon im Nordosten Frankreichs in die eigenen Hände. Sie besetzten den Betrieb, wählten eine Leitung, die von regelmäßig tagenden Vollversammlungen kontrolliert wurde und produzierten in eigener Regie.
Seit der Bewegung in Argentinien 2001 hat die Idee der Arbeiterselbstverwaltung wieder etwas mehr an Aktualität gewonnen. Dadurch haben sich vielleicht auch die Macher des Films Les LIP oder die Macht der Phantasie inspirieren lassen. Hinzu kommt, dass sich das Experiment LIP in diesem Jahr zum 35.Mal jährt.
Ursprünglich ein Familienunternehmen fiel LIP 1973 an das Schweizer Unternehmen Ebauches. Die entließen zunächst 1300 Arbeiterinnen und Arbeiter und wollten die Fabrik dann ganz schließen. Dagegen wehrten sich die Arbeiter, besetzten die Fabrik und nahmen einige leitende Angestellte als Geiseln. Als die nach kurzer Zeit von der Polizei befreit wurden, nahmen die Beschäftigten die Uhren als „Geiseln”, die an einem geheim gehaltenen Ort versteckt wurden. Nach mehreren Monaten wurde die Fabrik dann sogar vom Militär besetzt, was zu Solidaritätsstreiks und Demonstrationen führte.
Als das Militär im April 1974 abzog, hatten die Gewerkschaften CGT und CFDT ausgehandelt, dass die Selbstverwaltung in der Fabrik unter dem Dach des Konzerns BSN weiter bestehen sollte. Claude Neuschwander, ein Mitglied der linkssozialistischen PSU (Parti Socialiste Unifié), wurde als Manager eingesetzt. 1976 wurde das Experiment durch eine politische Entscheidung der rechtsliberalen Regierung Giscard d‘Estaing/Chirac beendet, die u.a. alle Staatsaufträge an LIP zurückzog. Nach weiteren Konflikten existierten kleinere Kooperativen bis 1990, die Uhrenproduktion von LIP wird heute wieder privat betrieben.
Führende politische Kräfte bei LIP waren die Gewerkschaft CFDT (Confédération Française Démocratique du Travail) und die bereits erwähnte linkssozialistische PSU. Charles Piaget, die führende Persönlichkeit des Streiks, gehörte beiden Organisationen an. Daneben spielten „linkskatholische” von der Arbeiterpriesterbewegung und der Befreiungstheologie beeinflusste Strömungen in der Action Catholique Ouvrière eine größere Rolle. Radikal linke Gruppen versuchten einzugreifen, blieben aber eher am Rande.
Dass die heute relativ rechte CFDT damals diese Rolle spielte, wird mach einen wundern. Aber die 1964 als säkularisierte Version der christlichen Gewerkschaft CFTC gegründete CFDT stand in den 70er Jahren in vielen Fragen links von der CGT. Unter anderem propagierte sie sehr vehement die Idee der Selbstverwaltung.
Die „zentristische”, also politisch zwischen Sozialdemokratie und Kommunistischer Partei stehende PSU, war Anfang der 60er Jahre aus der Opposition gegen den Algerienkrieg und gegen den gaullistischen Staatsstreich von 1958 hervorgegangen. Auch in ihrer Propaganda spielte die Selbstverwaltung eine große Rolle.
Der Film lässt alle Protagonisten der damaligen Bewegung und auch der Gegenseite zu Wort kommen. Dadurch wird der Film sehr informativ und authentisch. Filmisch hat das den Nachteil, dass der größte Teil des Films aus redenden Köpfen besteht. Man fühlt sich wie in einem bebilderten Hörspiel. Nur wenige Originalaufnahmen von damals vermitteln einen Eindruck von der Stimmung und der Atmosphäre in der besetzten Fabrik. Die Möglichkeiten des Mediums Film werden so nicht optimal ausgenutzt. Trotzdem ist der Film aufgrund der ausführlichen Erzählungen der Zeitzeugen ein sehr wertvolles Dokument.
Andreas Bodden

Der Film wird in der Filmreihe „übermorgen” gezeigt, die derzeit durch mehrere Städte tourt. Siehe: http://diegesellschafter.de . In Köln wird der Film außerdem am 26.Februar 2008 um 21 Uhr in der Sozialistischen Selbsthilfe Köln auf der Liebigstr.25 in Köln-Ehrenfeld gezeigt.


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