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Der
Lokführerstreik hat es sichtbar an die Öffentlichkeit gebracht: Die Lohnzurückhaltung der
letzten 15 Jahre, während sich Vorständler, Abgeordnete und Aktionäre die Taschen voll
gepackt haben, stößt in der breiten Bevölkerung auf kein Verständnis mehr.
Die Tarifrunde 2008 ist für die DGB-
Gewerkschaften in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung:
die Einkommen der abhängig
Beschäftigten sind in den Jahren 20032007 um ca. 5% gefallen;
die durchschnittlichen Arbeitszeiten
liegen wieder bei knapp 40 Stunden in der Woche;
die Gewerkschaft der
Lokomotivführer hat nach einer fast einjährigen Auseinandersetzung 11% mehr Lohn und eine
Arbeitszeitverkürzung ab 2009 von einer Stunde durchgesetzt;
die Gewinne der Unternehmen und die
Einkommen der Reichen sind fast explosionsartig in die Höhe geschnellt;
der von den Hartz-Gesetzen geformte
Niedriglohnsektor drückt das gesamte Lohnniveau nach unten.
Auch wenn es in den letzten Jahren durchaus
unterschiedliche Tarifabschlüsse gegeben hat, so bleibt doch festzuhalten, dass die Lohnentwicklung
insgesamt negativ ist. Das Erstaunliche daran ist, dass die einst so hoch gelobten deutschen Gewerkschaften
nicht in der Lage waren, an der Entwicklung in anderen EU Ländern teilzuhaben. In keinem anderen Land
der EU gibt es eine solch negative Entwicklung der Einkommen der Lohnabhängigen.
Das Statistische Bundesamt errechnete, dass
die Realeinkommen der Durchschnittsverdiener von 19912007 von monatlich 1149 auf 1079 Euro gefallen
sind.
Nun gibt es sicherlich auch Gründe
für diese Entwicklung, die nicht von den Gewerkschaften zu verantworten sind. Sie liegen z.B. in der
ausgeprägten Exportorientierung der deutschen Industrie, aus der sich heftige Kämpfe um
Weltmarktanteile ergeben. Hier findet sich eine wichtige Ursache für die aggressive
Lohnsenkungspolitik des deutschen Kapitals.
Dieser Kapitaloffensive hatten oder wollten
die Gewerkschaftsführungen nichts entgegensetzen. Mit den „Bündnissen für
Arbeit” haben sie ihr ideologisch sogar zum Durchbruch verholfen. Ganze Belegschaften wurden zu
Arbeitszeitverlängerung und Lohnkürzungen erpresst. Letztlich hat die SPD/Grünen-
Bundesregierung mit den Hartz-Gesetzen und der Agenda 2010 allem die Krone aufgesetzt.
Nun scheint dieser Zyklus zu Ende zu gehen.
Die IG-Metall-Führung hatte vor der Tarifrunde die Parole vom „Ende der Bescheidenheit”
ausgegeben, landete dann aber nur einen mittelmäßigen Abschluss, der auch noch eine Laufzeit von
20 Monate hatte.
Für Furore sorgte ein Bereich, der in
den letzten Jahren eher für schlechte Abschlüsse stand: die Bahn. Obwohl Transnet einen relativ
guten Abschluss erzielte, scherte die kleine GDL aus und forderte für die Lokomotivführer einen
eigenständigen Tarifvertrag und eine wesentlich bessere Vergütung, die der Vorstand der Bahn auf
31% bezifferte. Das war außergewöhnlich, auch wenn die GDL die Höhe immer bestritten hat.
Die GDL hatte nicht nur den Vorstand der Bahn gegen sich, sondern auch die Bundesregierung, alle Parteien
mit Ausnahme der Linkspartei, die Arbeitgeberverbände und die DGB-Gewerkschaften. Nur einen
mächtigen Verbündeten hatte sie: die Sympathie großer Teile der Bevölkerung.
Der jetzt gefundene Abschluss liegt zwar
weit unterhalb der ursprünglich gestellten Forderung. Trotzdem hat sich die GDL in wesentlichen
Punkten durchgesetzt: Die Lokomotivführer erhalten einen eigenen Tarifvertrag und eine zweistufige
Lohnerhöhung von insgesamt 11% in einem Jahr. Das hat es zumindest seit den 70er Jahren nicht mehr
gegeben. Und als besonderes Bonbon wird im nächsten Jahr die Arbeitszeit von 41 auf 40 Stunden
verkürzt.
Das ist etwas ganz anderes, als was die
DGB-Gewerkschaften in den letzten Jahren vorzuweisen hatten. Deshalb hatte die GDL die Sympathien auch auf
ihrer Seite. Aber statt dass die DGB-Gewerkschaften dieses Ergebnis zum Maßstab für ihre
Forderungen machen, üben sie sich weiter in staatstragender Bescheidenheit. Sowohl die IG Metall als
auch Ver.di sind mit Forderungen nach 8% mehr Einkommen unter dem Ergebnis bei der Bahn geblieben. Es zeigt
sich aber bei den Mobilisierungen, dass die Beschäftigten endlich wieder mehr Geld haben wollen. Bei
einer „offiziellen” Preissteigerung von 2,8% und einem Lohnabbau von etwa 5% in den letzten
drei Jahren bedeuten 8% Lohnerhöhung selbst wenn sie voll durchgesetzt würden nicht
mehr als einen Ausgleich für erlittene Verluste. Eine Lohnerhöhung gäbe es erst bei
1012%. Es ist also angebracht, kräftig zuzulangen.
Nun hat die IG Metall ihren ersten
Abschluss in diesem Jahr im Stahlbereich getätigt: 5,2%. Wenn man bedenkt, dass die Stahlindustrie ein
absoluter Boombereich, beim Umsatz wie bei den Profiten ist, ist das eher ein mageres Ergebnis. Die
Forderung nach Verkürzung der Arbeitszeit für ältere Beschäftigte wurde überhaupt
nicht umgesetzt. Dafür hätte die IG Metall allerdings sicher auch streiken müssen.
Im öffentlichen Dienst liegt nach drei
Jahren faktischem Lohnstillstand die Forderung nach 8% mehr Gehalt eher am unteren Rand der Erwartungen.
Auf vielen regionalen Versammlungen gab es Forderungen nach 10%. Die Warnstreiks wurden bisher massiv
befolgt. Die öffentlichen Arbeitgeber haben zur Aufheizung der Stimmung ihren Teil beigetragen, indem
sie im Gegenzug Arbeitszeitverlängerung gefordert haben. Die Warnstreiks stellen nur einen
Vorgeschmack auf die Streiks dar, die nach dem Scheitern der Schlichtungsrunde anstehen.
Damit die Beschäftigten im
öffentlichen Dienst aber nicht, wie in der Stahlindustrie und bei der BVG, mit einem dürftigen
Ergebnis nach Hause gehen, müssen sie im Streik ein anderes Kräfteverhältnis aufbauen.
Anders als die Stahlkocher werden sie nicht von einem Boom getragen, und anders als die Lokführer
stehen sie auch nicht an einer gesellschaftlich hochsensiblen Stelle. Sie können Gewicht nur
entfalten, indem sie die öffentliche Meinung kräftig mitmobilisieren. Tarifrunden drehen sich um
Umverteilung, und Umverteilung ist ein politischer Kampf! Die Streiktaktik von gestern taugt heute nicht
mehr.
Der Ausgang dieser Auseinandersetzung wird
wesentlich über das künftige gesellschaftspolitische Klima in der BRD entscheiden. Das politische
Klima ist derzeit günstig. Es muss genutzt werden, um nach Jahren der Niederlagen das
Kräfteverhältnis wieder zu verschieben.
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