SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2008, Seite 03

Die unberührbare Schweiz

Für die Herstellung internationaler Steuergerechtigkeit ist die Rolle der Eidgenossenschaft essenziell

von Maurizio Coppola

Der überwiegende Teil des Geldes, das in Stiftungen in Liechtenstein angelegt wird, liegt auf ausländischen Banken, vor allem in der Schweiz. Die Eidgenossenschaft ist die größte Steueroase der Welt.
Der Fall Zumwinkel hat auch in der Schweiz die Titelseiten der wichtigsten Tages- und Wochenzeitungen gefüllt. Erstaunlicherweise wurde die Aufmerksamkeit dabei jedoch nicht auf die Rolle der Schweiz als Magnet fürs Kapital gelenkt. Eher wurde die Confœderatio Helvetica als ein Kind dargestellt, das von bösen Steuervögten bedroht wird und durch noch höhere Mauern beschützt werden muss.
Den kreativsten Titel in dieser Hinsicht gestaltete die der SVP nahe stehende Wochenzeitung Die Weltwoche: „Dschihad gegen die Reichen” Mit markigen Worten rechtfertigte der Artikel die Steuerflucht der Deutschen in Nachbarländer damit, Deutschland habe die höchste Steuerquote im OECD-Raum. Ein weiterer Artikel erklärte, Schweizer Finanzinstitute könnten beruhigt weiterhin deutsche Vermögen in Höhe von geschätzten 150 Milliarden Euro verwalten, weil die Schweiz den deutschen Kontrollorganen ja bereits mit dem EU- Zinsabkommen entgegengekommen sei.
Tatsächlich tun die Schweizer Behörden seit Mitte 2005 das, was sie schon seit Jahrzehnten hätten tun müssen: Sie melden ausbezahlte Zinsen ans Finanzamt des jeweiligen Anlegers. Dabei erheben sie eine Quellensteuer von derzeit 15%, ab 2011 von 35%, und überweisen die Summe ins Herkunftsland. Was bei dieser Argumentation jedoch übersehen wird: Die Zinsrichtlinie ist löchrig wie ein Schweizer Käse. Sie gilt nur für Privatpersonen, weder für Firmen noch für Stiftungen (auf Letzteren beruht Zumwinkels Liechtensteiner Steuerhinterziehungsmodell). Des Weiteren gilt sie ausschließlich für Zinseinkünfte; Dividenden und Kursgewinne werden nicht erfasst.
Das Abkommen besteht nur mit der EU und wenigen anderen steuergünstigen Ländern, nicht aber mit asiatischen Steueroasen wie Singapur oder Hongkong, und auch nicht mit den USA. Zudem erwiesen sich die ersten Überweisungen aus den Oasenländern als kläglich im Vergleich zu den Geldsummen, die dort angelegt sind.

Die vier Säulen der Steueroase

Im Steuerstreit zwischen der Schweiz und der EU ist es wichtig zu verstehen, wie die Schweiz in den letzten hundert Jahren ihr Steuersystem entwickelt und was sie zum wichtigsten Finanzplatz der Welt gemacht hat.
Dazu zählt die immer wieder von lokalen Politikern in Schutz genommene kantonale Steuersouveränität, die den 26 Kantonen erlaubt, den Steuersatz für die Besteuerung sowohl natürlicher Personen (Individuen) wie auch juristischer Personen (Unternehmen) selbst zu bestimmen. Dieses föderalistische System hat in den letzten vier Jahrzehnten den Steuerwettbewerb beschleunigt. Heute belegen die Schweizer Kantone in der Rangliste der niedrigsten Steuersätze für Unternehmen die oberen Plätze.
Zudem ist die Schweiz ein Standort für zahllose Holdings. Während die direkte Bundessteuer auf Kapital bei 0,02‰ liegt, zahlen Holdings keine (!) Gewinnsteuer im Niederlassungsland, weil die Gewinne außerhalb erzielt werden. Nicht zu vergessen ist zudem die Pauschalbesteuerung reicher Ausländer, die seit mindestens zehn Jahren in der Schweiz nicht erwerbstätig sind, aber hier ihren Wohnsitz haben. Deren Steuern richten sich nicht nach ihrem Einkommen oder Vermögen, sondern nach ihren Lebenshaltungskosten.
Das eindrucksvollste Beispiel liefert Ingvar Kamprad, der Ikea-Gründer. Sein Vermögen wird auf 21—36 Milliarden Schweizer Franken geschätzt, Kamprad zahlt jedoch nur 200000 Franken Steuern pro Jahr, das sind 126536 Euro.
Das Bankgeheimnis bildet die dritte Säule des Schweizer Steuersystems. Das Bankgeheimnis gilt natürlich nicht nur für Privatpersonen, auch Regierungschefs profitieren davon. Ein Beispiel: Als in Nigeria in den späten 90er Jahren Sani Abacha das Land regierte, hatte die örtliche Zentralbank den Dauerauftrag, täglich 150 Millionen Dollar auf Schweizer Bankkonten des Diktators zu überweisen, ohne dass ausländischen Steuerbehörden Informationen darüber zugestellt wurden. Die Folge: Nigeria zählt heute zu den ärmsten Länder der Welt, obwohl es begehrte natürliche Ressourcen besitzt. Dieses Beispiel erhellt die Struktur des europäischen Kapitalismus.
Die vierte Säule des Standorts Schweiz unterstreicht diese Struktur noch: die juristische Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug. Werden Delikte wie Geldwäsche, Korruption, vermutete Terroristenkonten u.a. als Straftatbestände definiert, kann laut Schweizerischem Bankgesetz (Art.47) das Bankgeheimnis aufgehoben werden, und die Schweiz leistet Rechts- und Amtshilfe. Einfache Steuerhinterziehung ist in der Schweiz jedoch kein strafrechtlich relevantes Delikt. Steuerhinterziehung gilt als „Übertretung”, sie wird allenfalls von den Steuerbehörden verfolgt und mit Geldbußen bestraft, bleibt jedoch ohne strafrechtliche Folgen. Ein Steuerbetrug findet nur statt, wenn eine aktive Urkundenfälschung nachgewiesen werden kann.
Zudem gilt in der Schweiz für die Rechtshilfe der Grundsatz der doppelten Strafbarkeit. Die Schweiz unterstützt demnach andere Länder nur dann, wenn dasselbe Delikt auch in der Schweiz strafbar ist. Kurzum: In Steuersachen gewährt die Schweiz de facto keine Rechts- und Amtshilfe.
Wachsende Ungleichheiten
Die erwähnten steuerpolitischen Bestimmungen bleiben nicht ohne Folgen. Zunächst leiden darunter Nachbarländer wie Italien. Die Banca d‘Italia veranschlagt die unversteuert aus Italien ins Ausland geschaffte Summe auf 500 Milliarden Euro. Ein erheblicher Teil dieser Summen ist in der Schweiz platziert.
Doch auch in der Schweiz selbst sind die Folgen gravierend. So hat sich zwischen 1977 und 2001 die Steuerlast auf die Lohnarbeiter verschoben: hohe Einkommen erhielten die Steuerrabatte bis zu 3% des Jahrseinkommens aus, niedere Einkommen lediglich bis zu 1,66%. Die Steuergeschenke sind in Wirklichkeit Danaergeschenke, längst nicht alle profitieren davon, im Gegenteil. Das niedrige Steuerniveau fördert die sog. „Politik der leeren Staatskassen”, die dem öffentlichen Haushalt die finanzielle Grundlage entzieht. So gab es in den letzten dreißig Jahren Angriffe auf den öffentlichen Dienst, durch die eine breite Schicht der Gesellschaft von der sozialen Sicherheit ausgeschlossen wurde. Infolge jahrelanger Steuersenkungen mussten Leistungen in den Bereichen Krankenhäuser, Krippenplätze, Sozialversicherungen usw. abgebaut werden, sodass auch in der reichen Schweiz soziale Ungleichheit Realität ist.

Nicht nachgeben

Politik und Medien vertreten in allen Diskussionen über die Position der Schweiz im internationalen Steuersystem eine erstaunlich einhellige Meinung. Die SVP hat Anfang Februar auf einer Pressekonferenz mit der Weigerung gedroht, die Personenfreizügigkeit auf Rumänien und Bulgarien auszudehnen, sollte die EU im sog. Steuerstreit nicht nachgeben. Ironischerweise unterhalten auch Banken aus EU-Ländern Filialen in der Schweiz und profitieren somit von Schweizer Regelungen. Es ist vorhersehbar, dass diese Banken ihre Politiker bei der Kritik des Standorts Schweiz zurückpfeifen, sobald ihre Position gefährdet wird.
Die Absicht der SVP liegt auf der Hand: Das Bankgeheimnis soll gefestigt und die Kapital- und Gewinnbesteuerung für Unternehmen und Holdings reformiert werden; der Steuerstandort Schweiz soll dadurch attraktiver gestaltet werden. Gleichzeitig sollen die Grenzen gegenüber der Einwanderung der Roma aus Rumänien und Bulgarien dicht gemacht werden.
Banken und Economiesuisse, der Verband der Schweizer Unternehmen, üben ebenfalls Druck auf die helvetische Regierung aus. Sie verlangen, dass der Bundesrat dem internationalen Druck selbst dann nicht nachgibt, wenn dies der Schweiz Nachteile bringt. Schließlich toleriert sogar die Sozialdemokratische Partei (SP) solche Aussagen; sie fordert den Status quo in der internationalen Steuerpolitik. Steuerpolitische Gegenvorschläge der SP reduzieren sich auf die steuerliche Entlastung von Familien.
Das Argument, dass der Steuersenkungswettlauf eine gerechte Besteuerung von Kapitaleinkommen nicht möglich macht, findet in der ganzen Diskussion keinen Platz. Für die Herstellung internationaler Steuergerechtigkeit ist die Rolle der Schweiz jedoch essenziell.
Durch die vorherrschende protektionistische Steuerpolitik ist das in der Schweiz liegende Vermögen auf 5 Billionen Franken (3.161.264.800.000 Euro) angewachsen, davon stammen 59% von ausländischen Kunden.

Steuerpolitik neu und global denken

Die aktuelle Steuerdiskussion stellt linke Politikgestaltung vor neue Herausforderungen. Beschränkt sich eine linke Position auf die Kritik an der Tendenz der Politik, die Steuern auf Vermögenseinkommen zu senken, und auf die Forderung, die Steueroasen trockenzulegen, kann sie keine gerechte Steuerpolitik erreichen. Steuerpolitik muss neu und global gedacht werden.
Mindeststeuersätze für Kapital und Unternehmen weltweit würden den Wettlauf um die niedrigsten Steuersätze bremsen. Es muss eine internationale, unabhängige Steuerbehörde geschaffen werden, die von einem automatischen steuerlichen Informationsaustausch profitiert. Und solange Holdings nicht so hoch besteuert werden wie das Unternehmen im Mutterland, ist die Konzentration von Reichtum in Steueroasen wie der Schweiz unausweichlich. Nicht zuletzt sollten internationale Sanktionen ausgearbeitet werden, die im Fall von Steuerbetrug nicht nur auf Personen und Unternehmen angewendet werden — auch die Angebotsseite muss sanktioniert werden, namentlich Banken und (National-)Staaten.
Eine solche Politik würde noch nicht den internationalen Reichtum anders verteilen, aber sie wäre ein erster Schritt in eine andere Richtung. Schlussendlich bleibt dies eine Frage politischer Gegenmacht und erfordert eine breite gesellschaftliche wie politische Mobilisierung — in der Schweiz wie in der EU.

Maurizio Coppola ist aktiv bei Attac Schweiz und bei der Bewegung für den Sozialismus (MPS) in Fribourg.


Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo

  Sozialistische Hefte 17   Sozialistische Hefte
für Theorie und Praxis

Sonderausgabe der SoZ
42 Seiten, 5 Euro,

Der Stand der Dinge
Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge   Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken   Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus   Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus   Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden   Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität





zum Anfang