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Seit langem
hatten die Massenmedien hierzulande nicht mehr so viel Politisches in ihren Topthemen:
„Glaubwürdigkeit”, „neue Beweglichkeit” und „Verlässlichkeit”
sind die aktuellen Schlüsselbegriffe.
Die hessische SPD-Landtagsabgeordnete
Dagmar Metzger wurde von Bild zur „ehrlichsten Politikerin” der Gegenwart gekürt, die
Vorsitzende derselben Landespartei als „Frau Lügilanti” abgestraft; etwas weniger
emphatisch folgten viele Zeitungen und TV-Stationen dieser Sprachregelung. Unglaubwürdig geworden ist
demnach, wer sein „Wahlversprechen”, eine andere Partei in die Schmuddelecke zu verbannen, nach
dem Urnengang nicht hält.
Praktisch kommt für eine solche
Außenseiterrolle nur noch die Linkspartei in Betracht (und auch die nur im Westen der Republik), denn
gleichzeitig wird koalitionäre Flexibilität zum neuen Demokratieprinzip erhoben: Die Union darf
sich nun auch oberhalb der Kommunalpolitik mit den Grünen verbünden, und die FDP macht auch der
SPD wieder schöne Augen. Die parteienpolitische Partnerwahl wird liberalisiert, allerdings unter der
Voraussetzung, dass alle Spielteilnehmer sich an die Regeln des Neoliberalismus halten und an die Vorgaben
der herrschenden deutschen Militärpolitik.
"Verlässlichkeit” wird dies
genannt, und auch die Linkspartei hat möglicherweise die Chance, dieses Zertifikat zu erlangen. In der
Berliner Stadtregierung hat sie schon einiges an Vorleistungen dafür erbracht; fürs Mitregieren
im Bund müsste sie freilich noch viel Läuterungsarbeit leisten.
Die Linkspartei dahin zu locken, dass sie,
um am Spiel mit Regierungskoalitionen beteiligt zu werden, in den Grundzügen der Wirtschafts-, Sozial-
und Außenpolitik „Verlässlichkeit” zeigt, ist von der Systematik des ganzen
Unternehmens her notwendig, auch wenn dies Zeit braucht. Eine öffentlich präsente Partei, die der
Frage Ausdruck gibt, ob Politik denn so funktionieren muss und Demokratie vielleicht etwas ganz anderes
bedeuten könnte, würde allen das Spiel verderben.
Eben deshalb wird über die
veröffentlichte Meinung in großer Übereinstimmung ein bestimmtes
„Qualitätsmerkmal” für das politische Agieren unters Volk gebracht: Politikeignung
von Parteien müsse durch „Regierungsfähigkeit” und damit durch den Drang zum
Mitregieren ausgewiesen sein; parlamentarische Opposition dürfe nur als Wartestand begriffen werden,
den eine Partei bei nächster Gelegenheit wieder zu verlassen und an eine andere zeitweilig abzugeben
hat. Politisch effektvoll sei einzig und allein die regierende „Teilhabe”, auch
„Mitverantwortung” genannt.
Einer historisch-empirischen
Überprüfung hält diese Abwertung von Opposition nicht stand aber das zu erkennen
setzt voraus, in gesellschaftspolitischen Alternativen zu denken, den Umbruch der
Kräfteverhältnisse in einer Gesellschaft zum Ziel zu nehmen...
Unter den herrschenden Bedingungen
enthält das Partnerspiel um Regierungsteilhabe für die etablierten Parteien immerhin ein Risiko:
Wenn jede Partei im Grundsatz mit jeder anderen koalieren kann, sind die inhaltlichen Differenzen offenbar
nicht sonderlich gravierend, was beim wahlberechtigten Publikum das Gefühl erwecken kann, dass unter
verschiedenen Kappen gleiche Brüder sitzen und man insofern gar keine Wahl hat.
Die Wahlbeteiligung sinkt dann weiter ab,
und nach der Wahl präsentieren die Parteien ihre prozentualen Erfolge, während sie über die
absoluten Zahlen tunlichst schweigen.
Allzu drastisch darf aber der Kreditverlust
des Parteienbetriebs nicht werden, und deshalb wird, um das Interesse beim Wahlvolk wach zu halten, die
spielerische Inszenierung verschärft: Gladiatorenkämpfe zwischen Spitzenkandidaten oder
innerhalb der Parteien zwischen solchen, die es werden wollen; Verfolgungsjagden auf angebliche
Regelbrecher; Fahndungen nach feindlichen Elementen, die sich in die Politikarena einschleichen wollen (da
bieten sich Kommunisten an). Und: Abwechslung im Spiel muss sein, Langeweile ist schlecht für die
Show.
Von einer Herrschaftsmethode, die den
Proleten „panem et circenses” verabreichte, hat altrömisch der Satiriker Juvenal
berichtet. Jetzt haben wir es mit einer Variation zu tun: Mehr Spiele, damit es nicht so auffällt,
wenn es weniger Brot gibt. In anderen Worten: Um von dem sozialen Niedergang abzulenken, der immer
größere Bevölkerungsschichten in der Bundesrepublik betrifft und den im Partnerspiel die
Parteien administrativ begleiten, werden Politikspektakel vorgeführt.
Manche Bürgerinnen und Bürger
finden diese unterhaltsam, andere eher abstoßend so oder so stellt sich der Eindruck her, das
sei eben „Demokratie”, unvermeidlich mit An- und Abführungsstrich, ein Schaustück,
mit einer gar nicht so kleinen Truppe von Profiakteuren, aber der Mehrheit im Zuschauerraum.
Anders kann es auch nicht sein? Da gibt es
Gegenbeispiele. Auf eines in der Geschichte verweist die Chiffre „1968” Dass vor, um und nach
1968 Bewegung in unsere Republik kam, war einem Grundimpuls zu verdanken: sich nicht zum Publikum
degradieren lassen. Sich einmischen, sich selbst organisieren. Opposition riskieren,
außerparlamentarisch. Volkssouveränität beim Wort nehmen.
Selbstverständlich, die politischen
Umstände heute sind andere als vor vierzig Jahren. Aber nicht anders als damals gilt: Wer sich als
Demokrat auf Parteien und Parlamente verlässt, ist schon verlassen.
Keineswegs enthält dieser Satz die
Empfehlung, sich um parteipolitisch-parlamentarischen „Kram” nicht weiter zu kümmern. Wohl
aber eine Prognose: Wenn die Linkspartei ohne den Druck außerparlamentarischer Aktivitäten und
Initiativen ihre Wege geht, oder wenn sie sich in ihrer Praxis (verbalen Sympathien zuwider) von diesen
nicht berühren lässt, wird sie ähnlich wie die Grünen in der Partnerwahlgemeinschaft
„ankommen” und nicht einmal mehr Bild wird dann Gruseliges über sie schreiben.
Der wohlklingende Spruch, in einer
Demokratie müsse jede Partei mit jeder anderen koalitionsfähig sein, wäre dann
präzisiert: Auf dem Markt neoliberaler Politprodukte muss jede Firma mit jeder anderen
Geschäftsbeziehungen unterhalten dürfen.
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