SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2008, Seite 10

"Wo bitte geht‘s zu Gott?"

Das kleine Ferkel sollte auf den Index

Michael Schmidt-Salomon/Helge Nyncke: Wo bitte geht‘s zu Gott? fragte das kleine Ferkel, Aschaffenburg: Alibri, 2007, 34 Seiten, 12 Euro

Gotthold Ephraim Lessings Parabel von den drei Ringen, die sich letztlich in nichts unterscheiden, hat sicher Pate gestanden, als Michael Schmidt-Salomon sich den Text für das religionskritische Kinderbuch Wo bitte geht‘s zu Gott? fragte das kleine Ferkel ausdachte. Höchste Zeit, einmal wieder die Gehalte aller drei großen monotheistischen Religionen — Judentum, Christentum und Islam — danach zu hinterfragen, welches die „wahre Religion” sei.Lessing tat das in seinem Stück Nathan der Weise, das 1783 in Berlin uraufgeführt wurde und zu seiner Zeit Teilpublikationsverbot erhielt. Familienministerin Ursula von der Leyen wollte das Anti- Gott-Buch Schmidt-Salomons verbieten und beantragte, es auf den Index zu setzen. Begründung: Das Buch mache die drei Weltreligionen lächerlich und schüre Feindseligkeiten gegenüber religiösen Gruppen, insbesondere gegen Juden.
Schmidt-Salomon lässt Schweinchen und Igel fragen, welches der richtige Gott sei. Das Buch ist mehr als ein Kinderbuch. Auch wenn es kindergerechte Texte und Illustrationen mit kindlichen Wesen (von Helge Nyncke) enthält, werden viele Erwachsene Freude an der Lektüre der Abenteuer des kleinen Ferkels haben.
Worum geht es bei der Geschichte? Das Ferkel und der kleine Igel — wobei offen bleibt, wer Mädchen und wer Junge oder beides ist — führen in ihrem kleinbürgerlichen Häuschen mit Garten drumherum ein unbekümmertes Leben. Eines Tages finden sie an ihrem Haus ein Schild: „Wer Gott nicht kennt, dem fehlt etwas” Da sie bislang nicht wussten, dass ihnen etwas fehlt, machen sie sich auf die Suche nach Gott. Nachdem ihnen die anderen Tiere keine Auskunft geben können, schickt man sie zu den drei großen Häusern der Weltreligionen. Dort treffen sie zunächst einen jüdischen Rabbi, einen christlichen Bischof und schließlich einen muslimischen Imam. Was die — als Stereotype dargestellten — Kirchenvertreter erzählen, macht dem Ferkel und dem Igel Angst. Der Rabbi spricht vom strafenden Gott und der Sintflut, der Bischof von Jesus und seinem Opfertod und der Imam von den Höllenstrafen, die Ungläubige erwarten.
Die drei Gottesvertreter geraten über die Frage nach der Richtigkeit ihrer Behauptungen und der adäquaten Behandlung der „Gotteslästerer” in ein Handgemenge. Die endgültige und eindeutige Botschaft, die das Ferkel und der Igel aus ihrem Ausflug ableiten, ist am Ende des Buches nicht: Wer Gott nicht kennt, dem fehlt etwas! Sondern: Wer Gott nicht kennt, der braucht ihn nicht! Ihre Erlebnisse haben sie überzeugt, „dass es den Herrn Gott überhaupt nicht gibt”
Das Buch kommt nicht auf den Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien. Das hat die Bonner Behörde am 6.März 2008 entschieden. Für jede andere Entscheidung fehlten überzeugende Argumente. Der Vorwurf des Antisemitismus trifft nicht zu, weil der Rabbi nicht „besonders menschenverachtend, grausam und mitleidslos” (wie das Bundesfamilienministerium behauptete) dargestellt ist, sondern nicht anders als die anderen beiden Kirchenvertreter. So sah das auch der Zentralrat der Juden in Deutschland. Die christlichen Kirchen und der Zentralrat der Muslime hingegen waren für die Indizierung. Vertreter der katholischen Kirche hatten schon früh Strafanzeige erstattet.
Einige Pädagogen wurden nicht müde, sich sofort hinter das Ministerium zu stellen. Allen voran Micha Brumlik, Pädagogikprofessor aus Frankfurt, und Michael Berger, Kinderbuchexperte aus Potsdam. Sie meinten schlicht: „Der Antrag hat eine Berechtigung” und: „Das Buch sollte nicht weiter vertrieben werden."
Die Bundesprüfstelle allerdings mochte solch überzeugendem Sachverstand nicht folgen. Der Vorwurf des Ministeriums, das Buch verletze religiöse Gefühle, stellt ihrer Meinung nach keinen „Tatbestand der Jugendgefährdung” dar. In diesem Land gilt Glaubensfreiheit, und damit auch die Freiheit, an keinen Gott zu glauben. Wollte man „das kleine Ferkel” verbieten, so müsste man auch die vielen Bücher verbieten, die Kinder in einem christlichen, muslimischen oder jüdischen Sinne beeinflussen — vor allem die Kinderbibeln.
Das Buch ist „für alle, die sich nichts vormachen lassen,” als Gegengift zu religiöser Indoktrination weiter erhältlich. Es steht in der Tradition der emanzipatorischen Religionskritik, indem es (nicht nur) Kinder dazu auffordert, kritisch zu hinterfragen, wenn Menschen ihnen anbieten, ihre eigenen Entscheidungen an Götter abzugeben. Ferkel und Igel lehnen solche Angebote ab und können ihre Entscheidung, keine der Religionen zu übernehmen, begründen.
Nach Aussagen des Autors ist das Buch bereits in etliche Sprachen übersetzt und kann Kindern verschiedener Kulturkreise (vor)gelesen werden. Die können sich nun selbst entscheiden, an welchen Gott sie glauben bzw. nicht glauben wollen und ob sie überhaupt einen solchen brauchen. Schließlich ist ein Drittel der deutschen Bevölkerung bereits konfessionslos und diese Gruppe wächst. Zurecht verweisen Autor, Zeichner und Verlag in ihrer Stellungnahme daraufhin, dass die einseitige Privilegierung religiöser Gemeinschaften von Seiten des Staates nicht mehr lange aufrecht zu erhalten sein wird. Auch dazu kann das Buch, dem ich viele große und kleine Leserinnen und Leser wünsche, einen Beitrag leisten.

Gisela Notz


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