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In Kosova feierte die Bevölkerung ausgelassen die Unabhängigkeit,
in Belgrad und anderswo gab es Proteste: Ist die Unabhängigkeit Kosovas eine neue Lunte am Pulverfass
Balkan?
Wie wichtig ist diese
Unabhängigkeitserklärung wirklich?
Symbolisch und politisch ist sie für die Albaner in Kosova sehr wichtig. Ihr Bestreben, entweder
zu Albanien zu gehören oder einen souveränen Staat Kosova zu bilden geht weit zurück und hat
tiefe Wurzeln dabei wird immer wieder auf die Forderung verwiesen, die ab 1968 im ehemaligen
Jugoslawien erhoben wurde, dem Kosovo den Status einer Republik zu verleihen wie den anderen
südslawischen Regionen auch. Die Freude der albanischen Bevölkerung bringt auch ihren Stolz
darüber zum Ausdruck, dass sie von den großen Westmächten gegen die Allianz Serbien/Russland
unterstützt wird...
In Belgrad wird die
Unabhängigkeitserklärung ganz gegenteilig wahrgenommen: als Bruch des Völkerrechts, als
symbolischer Verlust der „Wiege” des ersten serbischen Staates, und als Quelle der Unsicherheit
für die rund 120000 Serben in Kosova, von denen die Hälfte in Enklaven lebt.
Ist der neue Staat selbstständig lebensfähig, oder wird er nichts weiter sein als ein
Instrument europäischer Vorherrschaft, ähnlich dem, was in Bosnien geschieht?
So wie Bosnien-Herzegowina wird auch Kosova formal unabhängig sein, jedoch unter der
Schirmherrschaft eines sog. „Internationalen Zivilen Repräsentanten” der Europäischen
Union stehen. Dieser wird „insbesondere das Recht haben, Entscheidungen oder Gesetze, die die
Behörden von Kosova verabschieden, außer Kraft zu setzen sowie öffentliche
Würdenträger zur Ordnung zu rufen oder abzuberufen”, die der Durchsetzung des für
Kosova geltenden Grundgesetzes schaden. Ich zitiere hier den Entwurf des Ahtisaari-Plans. Die Präsenz
der NATO wird aufrechterhalten und flankiert von einer Rechtsstaatlichkeitsmission der Europäischen
Union in Kosova (EULex Kosovo), die die weitere Entwicklung nach der Unabhängigkeitserklärung
überwachen soll. Schließlich vergisst man gern, dass in Kosova der Euro in Umlauf ist; es war die
Deutsche Bundesbank, die den Umtausch von der seit 1999 geltenden D-Mark in Euro organisiert hat.
In Bosnien-Herzegowina gibt es keinen Euro,
sondern eine „umtauschbare Mark” (!), die außerhalb des Landes nicht umgetauscht werden
kann. Ein bosnischer Bürger kann nicht Leiter der Bundesbank werden. Bosnien ist zu einem
Quasiprotektorat herabgesunken; die Befugnisse des Hohen Repräsentanten der Vereinten Nationen
der gewählte Vertreter absetzt u.ä. werden von der Bevölkerung zunehmend abgelehnt.
Die sozioökonomische Bilanz ist ernüchternd. Leider läuft Kosova Gefahr, dieselben
„Abhängigkeitssyndrome” und dieselben gefährlichen Spannungen zu erleiden.
Von Westeuropa aus betrachtet erscheint die Wirtschaft Kosovas schwach mit ihrer hohen
Arbeitslosenrate, ihrer Abhängigkeit von ausländischen Geldern und den ausgedehnten Grauzonen,
ganz zu schweigen von dem, was der örtlichen Mafia alles unterstellt wird. Wird da im Westen eine
Karikatur gezeichnet oder gibt dies düstere Bild eine Realität wieder?
Den Schwarzhandel und die Mafiastrukturen gibt es wirklich; anfänglich wurden sie begünstigt
vom sozialen und politischen Zerfall des alten Regimes, dem „kriegerischen Übergang” und
den Sanktionen gegen Serbien. Der „Friede” nährt sie aber weiter durch Armut, den
nicht erfolgten Wiederaufbau eines rechtlich und sozial stabilen Rahmens und die internationale
Präsenz. Was hingegen nicht genügend erwähnt wird ist, dass die Konflikte mit Belgrad
über die Privatisierungen der Bodenschätze (die die Unabhängigkeit nicht so schnell beilegen
wird), der Mangel an Staatsfinanzen und der Euro die Produktivität dramatisch gesenkt haben. Kosova
ist eine große „Handels"zone geworden darunter der Schwarzhandel , die von
Westprodukten dominiert wird, die vor allem an das ausländische Personal fließen. Tausende Hektar
fruchtbares Land, für die es keine Subventionen und keine öffentlichen Kredite gab
(schließlich herrscht „Sparzwang"), um sie zu bewirtschaften, wurden mit Warenhäusern
übersät. Es gibt regelmäßig Stromausfall, obwohl es genügend Wasserkraft für
den gesamten Balkan gäbe. Nach fast neun Jahren UN-Protektorat hat Kosova bei 50% Arbeitslosigkeit ein
Bruttoinlandsprodukt von gerade Mal 1000 Euro pro Einwohner, von denen ein Großteil auch noch aus
ausländischen Gehältern stammt.
Einige EU-Länder haben die Unabhängigkeit Kosovas nicht anerkannt, aus Angst, die
nationalen Minderheiten in ihren eigenen Ländern könnten sich Kosova zum Vorbild nehmen.
Könnte der „Domino-Effekt” der Unabhängigkeit wirklich Regionen destabilisieren?
Diesen Trumpf werden alle sezessionistisch gesinnten Gemeinschaft ausspielen, und auch Russland, das
international eine größere Rolle spielen will. Die größten Spannungen wird es jedoch
unmittelbar an der Balkanperipherie der EU geben. Ein kann einen Volksentscheid über die
Selbstbestimmung im serbischen Teil Bosnien-Herzegowinas geben, und dasselbe in den albanisch dominierten
Grenzorten Serbiens. Zweifel kann man auch hegen über die Stabilität Mazedoniens, obwohl der dort
lebenden albanischen Bevölkerung, die 25% der Gesamtbevölkerung ausmacht, mehr Rechte zuerkannt
wurden. Die Versprechungen einer europäischen Integration, von der man annimmt, dass sie die
Spannungen verringern hilft, sind leider wenig glaubwürdig und zu arrogant.
Instabil wird jedoch vor allem Kosova
selbst sein, vor allem sein Grenzgebiet zu Serbien rund um Mitrovica, bedingt durch die innere Entwicklung
in Serbien. Die Drohreden aus Belgrad und Moskau waren zweifellos Teil des Pokerspiels. Die Häufung
serbischer Niederlagen und der Krieg der NATO haben jedoch einen großen Frust hinterlassen, der sich
durch neoliberale Wirtschaftsmaßnahmen sicher nicht beschwichtigen lässt.
Die Balkanfragen sind sehr stark ineinander
verschachtelt; eine örtlich begrenzte Stabilisierung gibt es nicht; anerkannte nationale Rechte
müssen kohärent sein und einhergehen mit Maßnahmen, die Gleichheit und sozialen Zusammenhalt
fördern. Aber ist das ein „Balkan"-Problem? Eigentlich bedarf es eines anderen
europäischen Aufbaus.
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