SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2008, Seite 12

Kolumbien:

Paramilitärs als neue Form von „Contra"

von Anja Köhler

Über den Drogenhandel breiten kolumbianische Paramilitärs ihren Wirkungsbereich in Nachbarländer wie Venezuela aus und werden dort zu einer stetig wachsenden Gefahr für Gewerkschafter, Arbeiter und engagierte Bauern.
Am 1.März ortete das kolumbianische Militär mit Hilfe modernster Satellitentechnik ein Lager der FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) in Ecuador, bombardierte es und tötete den politischen Kontaktmann der Guerilla, Raúl Reyes. Anschließend rückten kolumbianische Truppen in Ecuador ein, um die Leichen der Guerilleros zu holen.
Die gesamte Militäroperation fand augenscheinlich mit der Unterstützung der US-Armee statt. Aus Protest gegen die Verletzung der Souveränität Ecuadors verlagerten Ecuador und Venezuela Truppen an die kolumbianische Grenze und brachen die diplomatischen Beziehungen zu Bogotá ab. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) verurteilte das Verhalten Kolumbiens und zwang Präsident Uribe sich zu entschuldigen. Hinter dem Konflikt steckt jedoch mehr als eine Grenzverletzung und der Tod eines Comandante.
Seit 1999 sind die USA massiv in Kolumbien aktiv. Ihr vorgeschobenes Ziel ist die Bekämpfung des Drogenanbaus. Tatsächlich geht es um die Zerschlagung der beiden Guerilla-Bewegungen FARC und ELN (Nationale Befreiungsarmee) und um die Unterdrückung der gesellschaftlichen Opposition. Dazu wird die Militarisierung der kolumbianischen Gesellschaft massiv vorangetrieben. Für die USA ist Kolumbien sowohl geostrategisch wie politisch von großer Bedeutung: Das Land bildet einen wichtigen Handelsknotenpunkt zwischen Pazifik und Atlantik, zwischen Nord- und Südamerika. Zum anderen besitzt es umfangreiche Bodenschätze — Erdöl, Kohle, Gold. Und schließlich wollen US-Konzerne wie Coca Cola oder Chiquita unbehelligt von Gewerkschaftskämpfen Arbeiterinnen und Arbeiter zu Hungerlöhnen ausbeuten. Unbequeme Arbeiter, Gewerkschaftsvertreter und ihre Familien bezahlen ihre Aktivitäten mitunter mit dem Leben, die Tötung übernehmen Paramilitärs.
Während in einigen Landesteilen Friedhofsruhe herrscht, gibt es in anderen Teilen Bürgerkrieg und Chaos. 2004 erhöhten die USA ihre Ausgaben ein weiteres Mal und beschlossen eine personelle Aufstockung der ihrer Truppen in Kolumbien. Letztere erfolgt jedoch nur zum kleineren Teil durch die Verlagerung von US-Soldaten in die Region. Eher werden private Sicherheitsdienste angeheuert, die ehemalige Soldaten und Menschen ohne US-Pass anstellen. Trotzdem unterstehen diese Sicherheitsdienste der direkten Kontrolle der USA. Die Aufgabe dieser Privatarmeen ist die Bekämpfung von Aufständen auch über die Grenzen Kolumbiens hinaus in anderen Staaten der Region. Allerdings beginnen neuerdings auch kolumbianische Paramilitärs, deren Funktion zu übernehmen.

Gefahr für die Revolution

Diese Tatsache ist für den Prozess der bolivarianischen Revolution in Venezuela gefährlich. Der dort lebende Politikwissenschaftler Dario Azzellini schreibt, kolumbianische Paramilitärs hätten in Venezuela mit dem „Aufbau einer Contra wie der in Nikaragua” begonnen. Schwerpunkt dieser Bestrebungen sei Táchira, eine Grenzregion, von der aus das Land bis vor die Tore von Caracas kontrolliert werden kann. Paramilitärs hätten sich dort in der lokalen Wirtschaftsstruktur fest verankert. Ihr Augenmerk gelte vor allem dem Transportgewerbe. Azzellini zitiert den Bürgermeister einer Gemeinde der Grenzregion Táchira, der berichtete, allein in seiner Ortschaft seien 10 Taxifahrer und weitere 58 Personen, die sich der Kollaboration verweigerten, von Kolumbianern ermordet worden. Die Kontrolle über das Transportwesen verschaffe den Paramilitärs die Möglichkeit, zum gegebenem Zeitpunkt die gesamte Versorgung des Landes lahmzulegen.
Ihre Nähe zum Drogenhandel öffnet ihnen ein Einfallstor nach Caracas. Die bolivarianischen Gemeinderäte haben in den vergangenen Jahren gute Fortschritte im Kampf gegen Drogen und Kriminalität erzielt. In letzter Zeit jedoch, so Azzellini, habe sich dieser Trend wieder umgekehrt, Drogenhandel und Kriminalität träten in einer viel organisierteren und planvolleren Form auf. Mit ihrer Hilfe soll in Caracas eine personelle Basis aufgebaut und die innenpolitische Situation destabilisiert werden. Kriminellen Strukturen gegenüber gilt der Staat als zunehmend handlungsunfähig.
In dieselbe Richtung zielen die von Paramilitärs betriebenen groß angelegten Schmuggelaktivitäten und organisierte Morde. Nahrungsmittel und Benzin werden über die Grenze nach Kolumbien geschafft; sie führen in Venezuela zu partiellen Versorgungsengpässen und schüren Unmut in der Bevölkerung. Die Grundvoraussetzung dafür, die Verfügung über Transportmittel, haben sich die Paramilitärs in Táchira geschaffen.
Bei ihren Morden agieren die Paramilitärs offen als Aufstandsbekämpfungstruppen im Auftrag örtlicher Eliten. Auf diese Weise wurden in den vergangenen Jahren mehrere hundert Bauernaktivisten ermordet, die sich um eine Umsetzung der Landreform bemühten. Ihre Mörder sprachen mit kolumbianischem Akzent, Auftraggeber waren die jeweiligen Großgrundbesitzer.

Export des Konflikts

Was hat die FARC in Ecuador verloren? Vermutlich verhandelte die Gruppe um Raúl Reyes über die Freilassung einiger Geiseln. Fakt ist, dass Reyes bei diesen aktuellen Gesprächen Unterhändler der FARC war und in dieser Rolle mehrfach ein Satellitentelefon benutzen musste, ein Umstand, der seine Ortung und Tötung erlaubte. Federführender Vermittler der Gespräche war bis vor kurzem Venezuelas Präsident Hugo Chávez. Als die Verhandlungen erste Erfolge brachten, entzog Uribe Chávez jedoch das Mandat. In beiden Fällen wollte Uribe verhindern, dass die Gespräche erfolgreich verlaufen, weil dies eine politische Anerkennung und Aufwertung der Guerilla mit sich gebracht hätte. Den USA und Kolumbien ist mehr daran gelegen, die FARC als unpolitische Terroristen zu stigmatisieren.
Der Militärschlag hat deutlich gemacht, was für ein immenses Sicherheitsrisiko Kolumbien für linke Gesellschaften in Lateinamerika darstellt. Die US-geleiteten Regierungen setzen ihre Interessen ohne zu zögern auch in Anrainerstaaten durch. Konkret bedeutet dies, dass die linken Regierungen in Kolumbiens Nachbarländern damit rechnen müssen, einer kolumbianischen Contra gegenüberzustehen. Wie kann man sich dagegen wehren? Azzellini meint: mit der Demokratisierung der Polizei, dem Aufbau von Bürgerwehren und der Schaffung eines Gefahrenbewusstseins in der Bevölkerung.


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