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Der Staat
hilft wo er kann. Er gewährt Mobilitätsbeihilfen, wo immer privater Reichtum seine
Akkumulationskraft von Gewerkschaften, unorganisierten Arbeiterkämpfen oder übereifrigen
Steuereintreibern bedroht sieht. Sind Unternehmensteuer oder Löhne zu hoch, finden sich Subventionen,
die den kostenträchtigen Umzug ins Niedrigsteuer- bzw. Niedriglohnland erleichtern helfen. Ist die zu
veranlagende Einkommensteuer trotz wiederholter Senkungen der nominellen Steuersätze immer noch zu
hoch, weisen wohlmeinende Gesetzgeber den Weg zum dringend gesuchten Steuerschlupfloch.
Wer des steuergesetzlichen Geländes
unkundig ist, kann Orientierungshilfe von Vermögens- und Steuerberatern in Anspruch nehmen, muss an
diese jedoch, Leistung hat ihren Preis, einen Teil der gesparten Lohn- bzw. Steuerzahlungen abtreten.
Allerdings ist unklar, was unter „zu
hoch” zu verstehen ist. Angesichts seit Jahren eingeübter Lohnzurückhaltung und
regelmäßiger Steuergeschenke an Unternehmen und private Vermögensbesitzer möchte man
meinen, fortgesetzte Klagen über unzumutbare Belastungen richten sich mehr gegen die
„gefühlte” als die tatsächliche Steuerbelastung. Andererseits kommt der Appetit
bekanntlich beim Essen. Wer sich an sinkende Steuern und Lohnstückkosten erst einmal gewöhnt hat,
möchte sie auch in Zukunft nicht missen.
Gemäß dem „Gesetz des
natürlichen Null-Steuersatzes” schmilzt ihre Investitionsneigung bei Steuersätzen oberhalb
von Null ebenso dahin wie Eis bei Temperaturen über Null Grad Celsius.
Der wachsende Unmut über
Steuerzurückhaltung, Lohndruck und Arbeitshetze der oberen Zehntausend, der sich unter
Lohnabhängigen und ihren Familien breit macht, wird von Angehörigen der politischen Klasse
argwöhnisch wahrgenommen und als Gerechtigkeitslücke in den Medien breitgetreten. Jüngst
waren sie wohl der Meinung, sich als Schiedsrichter zwischen den Wenigen oben und den Vielen unten
präsentieren zu müssen, um der als lästig empfundenen Mischung aus streikbereiten
Belegschaften, breiter Sympathie für Streiks und Mindestlöhne sowie steigenden Wählerstimmen
für Die Linke Einhalt zu gebieten.
Von Kanzlerin und Finanzminister an
Unternehmenseigentümer und
-lenker gerichtete Ermahnungen, über
der Gewinnmaximierung die soziale Gerechtigkeit nicht aus dem Auge zu verlieren, hätten allerdings
hohl gewirkt, hätte die Steuerfahndung nicht zur gleichen Zeit den scheidenden Post-Chef Zumwinkel als
Steuerflüchtling medienwirksam bloßgestellt und zum Verhör abgeführt.
Die Ankündigung, trotz des sofort
einsetzenden Wehklagens in der Wirtschaftspresse weiterer Steuersünder habhaft zu werden und dabei
sogar auf geheimdienstliche Informationen zurückzugreifen, demonstrierte staatliche Entschlossenheit
im Kampf für Recht und Gerechtigkeit, wie sie sonst nur noch im öffentlich-rechtlichen Tatort zu
finden ist.
Allerdings kann es auch in Zeiten der
Mediendemokratie nicht schaden, zwischen sonntagabendlicher Unterhaltung und werktäglich betriebener
Umverteilung zu unterscheiden.
Auch wenn die Fernsehbilder des zwischen
Steuerfahndern eingekeilten Post-Chefs anderes suggerieren sollen; die eine Million, die Zumwinkel
hinterzogen haben soll, sind, in der Fachsprache der Finanzwelt, Peanuts im Vergleich zu den Milliarden,
die jährlich legal von unten nach oben umverteilt werden.
Seien wir also nicht knickerig und werfen einen Blick aufs große Geld. Um dessen Vermehrung zu
fördern, verabschiedete die rot-grüne Bundesregierung 2001 massive Steuersenkungen für
Unternehmen und private, insbesondere einkommensstarke, Haushalte.
Anstatt ihr Geld zu verschleudern, bevor es
dem Fiskus in die Hände fällt, würden Letztere nun kräftig sparen und dadurch den
Unternehmen die dringend benötigten Finanzmittel zur Verfügung stellen. Von der Drohung befreit,
Gewinne ins Steuersäckel abführen zu müssen, käme es zu einem Investitionsboom,
allgemeiner Prosperität und schließlich sogar steigenden Steuereinnahmen.
Tatsächlich kam es zu einer
Konjunkturkrise. Entgegen den Erwartungen der neoklassischen Theorie und entsprechender Appelle der
Regierung verwendeten die von den Steuersenkungen begünstigten Unternehmen und Haushalte ihr
gestiegenes verfügbares Einkommen nicht zum Kauf zusätzlicher Investitionsmittel, sondern als
Einsatz im internationalen Finanzkasino.
Mit der Steuerbefreiung von
Veräußerungsgewinnen, die bei zeitgerechtem Verkauf von Wertpapieren anfallen, heizte die
Regierung Finanzinvestitionen zusätzlich an.
Steigende Umsätze und
Gewinnerwartungen an den Finanzmärkten führen jedoch nicht automatisch zu einer Beschleunigung
der Akkumulation produktiven Kapitals. Nachdem kurzzeitige Exportrückgänge die Krise 2001
ausgelöst hatten, dümpelte das Bruttoinlandsprodukt zwischen 2000 und 2005 bei jährlichen
Wachstumsraten zwischen 0,2% und +1,2% vor sich hin.
Stagnation plus Steuersenkung ergibt
rückläufige Steuereinnahmen. Die Steuerquote, d.h. der Anteil der gesamten Steuereinnahmen am
Bruttoinlandsprodukt, sank von 22,8% im Jahr 2000 auf 20,1% 2005. Schnell wurde aus der Not eine Tugend
gemacht: Ebbe in öffentlichen Kassen plus steigende Arbeitslosigkeit ergibt Hartz IV.
Erst seit 2006 kam es zu einem Aufschwung,
in dessen Folge mehr Geld in die öffentlichen Kassen gespült wurde. 2007 kletterte die
Steuerquote knapp über 22%. 2008 dürfte es mit der Aufwärtsbewegung von Konjunktur und
Steuereinnahmen freilich schon wieder vorbei sein.
Die Entwicklung des gesamten
Steueraufkommens sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Kampf gegen den
Steuerstaat je nach Einkommenshöhe und Vermögensverhältnissen sehr unterschiedlich
geführt wird. Im Laufe der vergangenen drei Jahrzehnte hat sich die Steuerbelastung in kleinen
Schritten von den Gewinn- und Vermögenseinkommen immer weiter zu Arbeitseinkommen und Konsumausgaben
verschoben.
Die Verbrauchsbesteuerung trifft die
Einkommen armer Haushalte vollständig, weil diese ihr ganzes Geld konsumtiv verbrauchen, während
die Bezieher höherer Einkommen einen Teil ihres Geldes in die Vermögensbildung stecken.
Letztere wurde im Laufe der Jahre jedoch
zunehmend von der Besteuerung freigestellt. 1997 wurde sogar die Vermögensteuer ausgesetzt.
Infolge der Verschiebung der Steuerlast von oben nach unten erbringt die Mehrwertsteuer mittlerweile
31,5% des gesamten Steueraufkommens, während die Lohnsteuer 24,5% beiträgt. Gewerbe- und
Körperschaftsteuer bringen es zusammen gerade mal auf 11,5%.
Dieser Wert dürfte im laufenden Jahr
noch weiter sinken, weil die zu Jahresbeginn in Kraft getretene Unternehmensteuerreform den effektiven
Durchschnittssteuersatz für Unternehmen von 36% auf 29% absenkt. Nur am Rande sei erwähnt, dass
der entsprechende Satz in den USA über 48% beträgt.
Einen noch geringeren Anteil am
Steueraufkommen als die Unternehmensbesteuerung erbringt mit 4,7% die veranlagte Einkommensteuer. Dieser
niedrige Wert erklärt sich einerseits mit der 1998 erfolgten Senkung des Spitzensteuersatzes von 53%
auf 42%, andererseits mit der laxen Steuereintreibungsmoral der Finanzverwaltung. Diese überprüft
nur 15% aller Steuererklärungen, weshalb es keines besonderen Mutes bedarf, großzügig die
eine oder andere Einnahme zu verschweigen.
Über Geld spricht man bekanntlich
nicht, vor allem nicht gegenüber dem Finanzamt.
Einer Mehrheit der Bevölkerung ist
sehr wohl bewusst, dass Umverteilung nicht nur von Unternehmen aggressiv eingefordert, sondern von der
Finanzpolitik auch massiv unterstützt wird. Viele sind inzwischen vom neoliberalen Glauben abgefallen,
die Umverteilung von unten nach oben sei ein ökonomisches Naturgesetz.
Zur Empörung über die
hemmungslose und politisch unterstützte Bereicherung der Vermögen besitzenden Klassen gesellt
sich zudem zunehmend die Einsicht, dass Profitgier und Rücksichtslosigkeit keine charakterliche
Verfehlung einzelner Großkotze sind, sondern allgemeine Moral des neoliberalen Kapitalismus.
Wer das verstanden hat, mag sich
darüber Gedanken machen, ob die Durchsetzung einer menschenfreundlicheren Moral und einer ihr
entsprechenden Wirtschaftsform im Rahmen eines sozialstaatlich gezähmten Kapitalismus möglich ist
oder nicht vielleicht doch einer nichtkapitalistischen Produktionsweise bedarf von der medialen
Aufregung über Liechtensteiner Steuerschlupflöcher wird er sich kaum ablenken lassen.
Seit ein paar Monaten wird das zunehmende
Unbehagen am Neoliberalismus noch zusätzlich dadurch genährt, dass viele Menschen spüren,
ihnen wird ein als gerecht empfundener Anteil am Aufschwung vorenthalten entsprechend schlecht sind
sie auf die kommende Krise und die damit verbundenen Entlassungen, Lohnsenkungen und Sozialkürzungen
vorbereitet.
Das Ende des gerade auslaufenden
Konjunkturaufschwungs könnte das Nachdenken über Gerechtigkeitslücken noch beschleunigen.
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