SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2008, Seite 02

Kapitalismus am Ende

— was nun?

von ANGELA KLEIN

Drei Nachrichten der vergangenen Woche:
Der Internationale Währungsfonds (IWF) warnt auf seiner Frühjahrstagung 2008 vor dem Zusammenbruch des globalen Finanzsystems. Die Belastung durch die Hypothekenkrise in den USA wird viel höher als erwartet, prophezeit er. Nicht nur 2 Millionen Häuser stehen dort zum Verkauf, sondern möglicherweise bald 15 Millionen. Die Krise könnte die Kreditinstitute nicht bis zu 800 Mrd. US-Dollar kosten, sondern bis zu zwei Billionen.
Derselbe IWF warnt zusammen mit der Weltbank vor Hungerkatastrophen. 36 Länder sind akut von einer Hungerkrise bedroht, 21 davon liegen in Afrika. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen benötigt allein in diesem Jahr 1,4 Mrd. US-Dollar mehr. Bye, bye Millenniumsziel, Hunger und Armut bis 2015 zu halbieren.
Und der Weltagrarrat — ein UN- Projekt ähnlich dem Weltklimarat, das 2002 in Johannesburg in Leben gerufen wurde — fordert die Rückkehr zu traditionellen Anbaumethoden, mit herkömmlichen Produktionsweisen, angestammtem Saatgut und natürlichem Dünger. Dem Rat gehören 400 Regierungs- und Industrievertreter und Agrarexperten an.

Fangen wir mit Letzterem an.
Die Rückkehr zu traditionellen Anbaumethoden — eine zentrale Forderung der Kleinbauern in der 3.Welt — wäre nicht mehr und nicht weniger als eine Agrarrevolution für das 21.Jahrhundert. Sie würde nämlich die Landwirtschaft aus dem Diktat des Produktivitätsfortschritts befreien, unter das sie die Nahrungsmittel- und Pharmakonzerne gestellt haben. Sie würde eine Entschleunigung und damit eine neue Entwicklungslogik einleiten. Das ist alles sehr wünschenswert und würde nicht nur großen Teilen der Bevölkerung im Süden die Existenz sichern, es würde uns auch hier im Norden zwingen darüber nachzudenken, ob ein Land wie Deutschland es sich auf die Dauer leisten kann, in der Landwirtschaft nur 3% der Bevölkerung zu beschäftigen.
Die Wahrheit aber ist: Was der Weltagrarrat da ausgebrütet hat, ist mit den Gewinnmaximierungszielen der Industrie nicht vereinbar. Deshalb haben die Regierungen von Kanada, USA und Australien sowie die gesamte Riege der Agro- und Biotechmultis den Bericht umgehend abgelehnt; Deutschland ist im Rat nicht vertreten — und hätte keine rühmlichere Rolle gespielt. Eine neue, bäuerliche, Agrarordnung stellt den Freihandelskapitalismus in Frage.
Die Hungerrevolten sind nicht das einzige Indiz dafür, dass es „Weiter so!” nicht geht. Auch Bankiers und Finanzexperten haben angefangen, nach dem Staat zu rufen. Josef Ackermann glaubt nicht mehr an die Selbstheilungskräfte des Marktes — zumindest wenn es um die Gewinne der Deutschen Bank geht, und selbst der IWF appelliert an die Verantwortung der Staaten. Hat der Kapitalismus was gelernt? Kann man Milton Friedman jetzt einmotten?
Das wäre ein großes Missverständnis. Was da auf Seiten der „Wirtschaftsführer” diskutiert wird, ist kein Kurswechsel, keine Abkehr vom globalen Freihandel mit allem und jedem. In der Praxis dominiert weiterhin das „Weiter so!” Die Weltbank hat angekündigt, ihre Investitionen in die Landwirtschaft bis 2011 auf 1 Mrd. Dollar aufstocken zu wollen. Damit soll „die Landwirtschaft in den Entwicklungsländern modernisiert und in die globalen Wertschöpfungsketten integriert werden” Das soll sie lieber sein lassen. Da wird der Teufel mit Beelzebub ausgetrieben!
Und in den „Zusammenbruch des globalen Finanzsystems” gehen die G7, die sich in Washington Mitte April trafen, sehenden Auges. Es passiert nämlich — nichts. Es gibt neue nationale (!) Aufsichtsgremien für die global tätigen Banken (aber keine internationalen), es gibt kurze Drähte zwischen diesen Aufsichtsgremien und den Zentralbanken für den Fall der Fälle, die Banken sollen „Notfallpläne” erarbeiten und die Zentralbanken einen „ausreichenden Instrumentenkasten” — soll wohl heißen: ausreichend Geld — bereit halten; die Ratingagenturen werden ermahnt, sorgfältiger zu arbeiten, und Bonuszahlungen an Banker werden erst dann getätigt, wenn die gesamten Auswirkungen ihrer Spekulationstätigkeit absehbar sind. Auf gut deutsch heißt das: Es läuft alles weiter wie gehabt, und wenn der große Krach dann da ist, rennen die Banken zum Staat, auf dass er ihnen helfe — auf Kosten des Steuerzahlers natürlich.
Der notwendige Gang zum Staat hat eine Debatte darüber entfacht, wofür der Staat, sprich: der Steuerzahler, denn gerade stehen soll. Bislang pumpen die Zentralbanken zweistellige Milliardensummen zur Rettung großer Banken wie Bear Stearns oder Northern Rock, ohne dass dafür eine Gegenleistung in Form erhöhter staatlicher Aufsicht verlangt würde. Heiner Flassbeck hat in der Süddeutschen Zeitung gefordert, der Staat solle sich Gedanken machen, „wie man solche verrückten Spiele, die die ganze Weltwirtschaft in Gefahr bringen, in Zukunft verhindern kann. Der Staat muss in vielen Bereichen für Regulierung sorgen” Er fordert Banken, deren Zusammenbruch die Weltwirtschaft gefährden kann, zu verstaatlichen.
Warum eigentlich nur die? Warum soll die öffentliche Hand nur zur Kasse gebeten werden, um die Löcher zu stopfen, die private Spekulationslust gerissen hat? Und wer garantiert, dass Verstaatlichung auch mehr Regulierung bedeutet? Schließlich waren in die Bankenpleiten der letzten 30 Jahre überwiegend (staatliche) Landesbanken involviert.
Flassbeck argumentiert: „Banken sind keine normalen Unternehmen, die Menschen haben dort ihr Erspartes hingetragen und dort für ihr Alter vorgesorgt. Da kann sich der Staat nicht einfach heraushalten.” Das ist richtig, heißt aber nichts anderes, als dass Banken durch ihre Spar- und ihre Kreditfunktion eine öffentliche Aufgabe wahrnehmen. Öffentliche Aufgaben aber gehören unter öffentliche Kontrolle. Das Kreditwesen als solches gehört in staatliche Hand — und unter eine öffentliche Aufsicht, die Verfilzungen wie bei den Landesbanken verhindern. Privater Reichtum darf nicht die Möglichkeit haben, eine Volkswirtschaft zu dominieren.
Vor 160 Jahren forderten Karl Marx und Friedrich Engels: „Expropriation des Grundeigentums; starke Progressivsteuer; Zentralisation des Kredits und des Transportwesens in den Händen des Staates; gleicher Arbeitszwang für alle; öffentliche und unentgeltliche Erziehung der Kinder.” Das 10-Punkte-Programm des Kommunistischen Manifests hat offenkundig von seiner Aktualität nichts eingebüßt.


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