SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2008, Seite 11

"Freie Kräfte” und Polizei

Gemeinsam gegen die Antifa

von ANJA KÖHLER

In letzter Zeit nimmt die Zusammenarbeit von Polizei und Neo-Nazis zu. Die Anti-Antifa bedient sich aus polizeiliche Ermittlungsakten.
Dass polizeiliches Agieren in der Auseinandersetzung zwischen Antifaschisten und Naziszene vor allem den Nazis in die Hände spielt, ist seit langem bekannt. Die nunmehr aufgeflogene Zusammenarbeit von Polizei und militanten Neonazis bei der Verfolgung von Antifa-Aktiven stellt jedoch eine neue Qualität dar und überrascht in ihrer Direktheit.
Die Anti-Antifa-Aktivitäten der Neonaziszene wurden offenkundig von einigen Landeskriminalämtern (LKA) unterstützt. Dies geschah in Dresden und Berlin. Hier gehört es zur Taktik der Anti-Antifa, Antifas mit Anzeigen zu überziehen und sich dann die polizeilichen Ermittlungsunterlagen zusenden zu lassen.
In einem Büro der Dresdener Anti- Antifa fanden sich reihenweise Ordner mit Kopien polizeilicher Ermittlungsakten — mit den entsprechenden persönlichen Daten der Angeklagten.
Dass die Neonazis diese Informationen zum Aufbauen bzw. Aufrechterhalten einer Drohkulisse nutzen, und dass ihre politischen Gegner durch die Schützenhilfe der Polizei unmittelbar in ihrem Leben und ihrer Gesundheit bedroht sind, scheint die LKAs nicht weiter zu kümmern. Ebensowenig kümmern sie die Gegenstände der Ermittlungsverfahren: oftmals unhaltbare Anschuldigungen und Bagatelldelikte.
In Berlin weitete das LKA diese Praxis sogar noch aus. Es übersandte Rechtsextremen Fotos und Namen von Antifas und forderte sie auf, gegen die bezeichneten Personen Anzeige zu erstatten, damit man Ermittlungen aufnehmen könne. Staatliches Repressionsinteresse gegen Antifas und Anti-Antifa-Aktivitäten militanter Neonazis gingen also Hand in Hand.
Vor dem Hintergrund von Sozialabbau und aufkommenden sozialen Bewegungen verstärkte sich während der letzten Jahre die staatliche Repression der Antifas. Im Bereich des antifaschistischen Engagements kommen linksradikale Kräfte und „normale Bürger” zusammen. Antifaschismus ist in letzter Konsequenz stets antikapitalistisch. Aus diesen beiden Faktoren erwächst sein revolutionäres Potenzial.
Die Antifa-Szene mit ihren losen Zusammenschlüssen ist für den Staat jedoch schwer zu greifen. Durch polizeiliche Ermittlungen können Strukturen ausspioniert werden, man kann sich ein „aktuelles Lagebild” erstellen. Die Betroffenen werden eingeschüchtert und gezwungen, ihr politisches Engagement zumindest zeitweise einzuschränken. Die Anzeigenpraxis der Anti-Antifa kommt den Polizeibehörden daher sehr gelegen.

Das blinde rechte Auge

Wie gering das staatliche Verfolgungsinteresse im umgekehrten Fall ist, wird an einem Beispiel aus Berlin deutlich. Auf Aufklebern drohten Neonazis abgebildeten Jugendantifas mit der Anwendung körperlicher Gewalt. Ein betroffenes Mädchen wollte daraufhin Anzeige erstatten. Der diensthabende Polizist weigerte sich, die Anzeige aufzunehmen. Nach Einschaltung einer NGO und des LKAs kam er schließlich seiner Verpflichtung nach, allerdings beschuldigte er das Mädchen nun, es habe die Drohung vermutlich selbst zu verantworten. Obwohl die Jugendliche darum bat, anonym zu bleiben und kooperativ war, suchten sie Polizeibeamte in ihrer Schule auf und führten dort in der großen Pause eine Vernehmung durch.
Wenngleich es falsch ist, der Mehrheit der Exekutive rechtsextreme Einstellungen vorzuwerfen, kann man jedoch konstatieren, dass viele Rechtsextreme eine große Affinität zu Uniformen und staatlichen Sicherheitsbehörden hegen. Daraus resultieren personelle Überschneidungen: immer wieder sprachen Dresdener Anti-Antifa-Aktivisten von „unserem Mann beim LKA”, in Berlin wurde eine ganze Einheit der Bundespolizei wegen der Zugehörigkeit ihrer Beamten zur rechten Szene entlassen. Auch auf informellem Wege dürften folglich Informationen und Vorurteile ausgetauscht werden.
Dies bedeutet freilich nicht, dass der Staat kein Interesse an der Repression von Nazistrukturen hätte. Noch bedarf es des Faschismus nicht, um den Kapitalismus am Leben zu erhalten. Die Polizei agiert also im Spannungsverhältnis zwischen dem Schutz der bürgerlichen Demokratie vor rechtsradikalen Bestrebungen und der Duldung neofaschistischer Umtriebe mit Blick auf zukünftige „Notwendigkeiten” Die Widersprüche verlaufen quer durch die Behörden. Als der Vorsitzende des LKA Sachsen-Anhalt seine Beamten anwies, einmal mehr an der Statistik zu rechtsextremen Gewaltdelikten zu drehen, langte es drei Polizisten, sie spielten die Dienstanweisung der bürgerlichen Presse zu.


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