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Die chauvinistische Lega Nord macht in Norditalien einen Quantensprung, die
nicht-sozialliberale Linke schafft die 4%-Hürde nicht mehr und fliegt aus beiden Kammern. Das ist das
Ergebnis der Parlamentswahlen vom 13./14.April in Italien.
Der Wahlsieger Silvio Berlusconi ist
diesmal mit einem Parteienbündnis (das PdL) angetreten, unter dessen Dach sich Forza Italia und die
rechtsextreme Alleanza Nazionale sammeln. Das „Volk der Freiheit” (Popolo della libertà
PdL) erzielte 4 Prozentpunkte Vorsprung vor dem sozialliberalen Parteienbündnis unter der
Führung Walter Veltronis, die Demokratische Partei (PD). Die PD versammelt die ehemalige DS (die
Mehrheit der früheren KP), sowie verschiedene linksbürgerliche Parteien. Erst im Wahlbündnis
mit Antonio Di Pietros Partei Italia dei Valori (Italien der Werte) konnte das sozialliberale Bündnis
mit der Rechten gleichziehen. Dabei hat das PdL sogar Stimmen verloren.
Was Berlusconi den Wahlsieg verschafft hat
war, dass die Lega Nord ihre Stimmenzahl gegenüber 2006 verdoppelt hat. Sie kandidierte fast
ausschließlich im Norden. In Regionen wie Lombardei und Venetien erhielt sie zwischen 20 und 30% der
Stimmen, vor allem bei den Arbeitern konnte sie punkten. Mehr noch als beim letzten Mal ist die Regierung
Berlusconi deshalb diesmal auf die Lega Nord angewiesen.
Erstmals in der Geschichte der
italienischen Republik ist die nicht-sozialliberale Linke weder in der Kammer noch im Senat vertreten. Die
PD hatte diesmal Wahlabsprachen mit der Regenbogenlinken um die Partei der kommunistischen Neugründung
(Rifondazione Comunista PRC) abgelehnt. Ihr Ziel war, die Regenbogenlinke unter die 4%-Marke zu
drücken; das ist ihr gelungen. Die DP konnte ihr Wahlergebnis gegenüber 2006 halten, jedoch nur,
weil sie der Regenbogenlinken die Stimmen abgejagt hat. Ihr Hauptargument dabei war „nützlich
wählen” Die Hälfte der Stammwähler von Rifondazione ist zur PD übergelaufen. Ein
Einbruch in rechte Wählerschichten ist ihr nicht gelungen. Die Regenbogenlinke (ein Bündnis aus
Rifondazione, Grünen und PdCI [Partei der italienischen Kommunisten]) hat 2,8 Millionen Stimmen
verloren und kommt nur noch auf 3%.
Diese Parlamentswahl, die nur zwei Jahren
nach der Bildung der Regierung Prodi stattfand, hat das politische Spektrum klar nach rechts verschoben.
Zum rechten Lager muss man noch die 2 Millionen Stimmen für die katholische UDC und die fast 900000
Stimmen für die faschistische Partei La Destra (Die Rechte) hinzuzählen; die UDC gehört der
Koalition Berlusconis nicht an, hat den Sprung ins Parlament jedoch geschafft. Das rechte Lager erzielte
also fast 20 Millionen Stimmen, während das „linke Lager” lediglich 15 Millionen Stimmen
auf sich vereinigen konnte. Die dritte Regierung Berlusconi kann sich auf eine breite Wählerbasis und
eine große Mehrheit im Parlament stützen, während die nicht-sozialliberale Linke in einer
Existenzkrise steckt.
Rossana Rossanda schreibt in Il Manifesto,
auf das politische Erdbeben werde bald ein Systemwandel folgen. Denn die Rechte wie die sozialliberale
Linke sind sich einig, dass das Wahlgesetz weiter in Richtung eines Mehrheitswahlrechts geändert
werden soll, um die „kleinen”, „extremistischen” Parteien definitiv aus dem
Parlament auszuschließen und ein rein bürgerliches Zweiparteiensystem nach US-amerikanischem
Muster durchzusetzen. Auch eine Verfassungsänderung im Sinne eines Präsidialsystems ist in der
Debatte.
Je nach Parteienstandpunkt fallen die Antworten unterschiedlich aus. Aber die Stellungnahmen aus den
sozialen Bewegungen, die in den letzten Jahren die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen im Land
geprägt haben (siehe nebenstehend), sind eindeutig: Rifondazione war in der Regierung Prodi von der
sozialliberalen Linken nicht mehr zu unterscheiden. Die Partei ist in drei zentralen Fragen umgefallen: die
Kriegseinsätze, die Hochgeschwindigkeitstrasse durch die Alpen sowie die soziale Sicherheit und die
Steuererleichterungen für die Reichen. Sie wollte zugleich eine Oppositions- und Regierungspartei
sein. Die PRC klebte an der Regierung Prodi wie Sméagol in Der Herr der Ringe am Ring der Macht
und war deshalb nur noch ein Schatten ihrer selbst.
Wozu war Rifondazione in den letzten beiden
Jahren gut? Ihr Spitzenkandidat, Fausto Bertinotti, hat wiederholt erklärt, Rifondazione müsse
Teil der Regierungslinken werden, „damit Berlusconi nicht dran kommt” Die Ironie will es, dass
die PRC nicht nur Berlusconi die Tür weit auf gemacht hat, sondern sich selber die Tür zum
Parlament auf lange Zeit vor der Nase zugeschlagen hat. Mit der schieren institutionellen Präsenz
lässt sich eine Rechte, zumal in einer Zeit der tiefen gesellschaftlichen Krise, nicht verhindern.
Hätte Bertinotti den Kurs auf das Bündnis mit den außerparlamentarischen Bewegungen, den er
in Genua 2001 eingeschlagen hatte, weiter verfolgt, wäre Berlusconi jetzt vielleicht auch Premier,
aber Rifondazione mit Sicherheit noch im Parlament.
Der Kurswechsel erfolgte im Jahr 2003, als
Rifondazione trotz massiver Mobilisierung eine Volksabstimmung zur Wiedereinführung des
Kündigungsschutzes verlor. Sie verlor sie, weil die Wahlbeteiligung zu gering war. Danach
verkündete Bertinotti, nun sei es erwiesen, dass soziale Bewegungen nicht zum Erfolg führen. Das
Volk wolle Berlusconi aber loswerden; deshalb müsse Rifondazione Teil der Bündniskonstellation
werden, die Berlusconi ablösen wolle. Die PRC verlor ihre Eigenständigkeit, ihre Beziehung zu den
Bewegungen und somit ihre Rolle. Parlamentarische Fixierung führt eine linksoppositionelle Partei erst
recht nicht zum Erfolg.
Nach der Wahl geht das Hauen und Stechen
los, jeder gibt jedem die Schuld, und die jetzt bestehenden Organisationen werden sich nochmal zerlegen
(siehe dazu die Stellungnahmen auf dieser Seite). Ein Teil der Partei- und Fraktionsapparate wird
arbeitslos werden und damit ein willfähriges Opfer für die PD (es hat bereits Angebote an
die Grünen gegeben). Die PdCI hat die Losung von der „Einheit der Kommunisten” ausgegeben
das Projekt Regenbogenlinke ist schon in der Krise.
Die italienische Linke hat das Jahr Null erreicht. Die kommunistische Erneuerung, die nach dem Fall der
Mauer dem Projekt der Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft neue Glaubwürdigkeit
verleihen sollte, ist gescheitert.
Die Stimmen für die Lega Nord zeigen,
wieviel soziale Wut sich vor allem unter prekär Beschäftigten aufstaut. Sie kann in eine
reaktionäre und fremdenfeindliche Richtung gelenkt werden, sie kann aber auch Schmelztiegel für
eine soziale Revolte sein. Entscheidend bleibt der subjektive Faktor die Präsenz und die
Glaubwürdigkeit einer antikapitalistischen Linken, die konsequent und sozial verankert ist.
Es gibt aber auch Raum für die
Rekonstruktion einer kohärenten antikapitalistischen Linken. Das lässt sich ablesen am Interesse,
mit dem die Entstehung von Sinistra critica (SC) verfolgt wurde. SC hat kandidiert, weil sie der sich
ausbreitenden Demoralisierung etwas entgegensetzen und frühzeitig eine Debatte über das
abzusehende Debakel eröffnen wollte. Die 160000 (0,5%) Stimmen, die sie erreicht hat, haben nur einen
symbolischen Wert. Die Kritik von links hätte konsistenter ausfallen können, wenn die PCL
(Partito Comunista dei Lavoratori), die 0,6% bekommen hat, ebenso wie andere Kräfte der radikalen
Linken bereit gewesen wären, eine gemeinsame antikapitalistische Liste zu bilden.
Zwei Fragen müssen grundlegend
angegangen und programmatisch geklärt werden:
die Unabhängigkeit der
antikapitalistischen Linken gegenüber der PD, die nun im Parlament allein die linke Seite einnimmt und
deshalb die Tendenz haben wird, den ganzen Raum der sozialen und politischen Opposition einzunehmen, auch
über den Umweg ihrer Bindung an die Gewerkschaft CGIL;
und die Frage der Krise der Gesellschaft
und der sozialen und gewerkschaftlichen Verankerung der Linken d.h. die Rekonstruktion einer
antikapitalistischen Klassenpolitik.
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