SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2008, Seite 20

Joseph Weizenbaum (1923—2008)

Der Mensch ist unberechenbar

"Das Internet ist ein großer Misthaufen, in dem man auch kleine Schätze und Perlen finden kann"

Im Alter von 85 Jahren ist Joe Weizenbaum am 5.März in Berlin an den Folgen eines Schlaganfalls gestorben.
Nach einer Chemotherapie hoffte er noch an seinem Geburtstag im Januar, ein schönes Jahr verleben zu können. In einer seiner letzten Mails schrieb der große Kulturkritiker und Mitbegründer der Computer Science:
"Unser Tod ist der letzte Service, den wir der Welt leisten können: würden wir nicht aus dem Weg gehen, würden die uns folgenden Generationen die menschliche Kultur nicht wieder frisch erstellen müssen. Sie würde starr, unveränderlich werden, also sterben. Und mit dem Tod der Kultur würde alles Menschliche auch untergehen."
Joseph Weizenbaum wurde am 8.Januar 1923 in Berlin als zweiter Sohn des Kürschnermeisters Jechiel Weizenbaum geboren. Im Jahre 1936 emigrierte die Familie in die USA, wo Weizenbaum erst Mathematik studierte und sich frühzeitig an der Wayne University Detroit mit dem Bau von Computern beschäftigte. 1950 war Weizenbaum an der Konstruktion eines Computers beteiligt, der für den Test von Raketenwaffensystemen der US Navy bestimmt war. Danach programmierte er ein Betriebssystem für die Bendix Aviation Company, ehe er bei General Electric von 1955 bis 1963 das erste Computerbanksystem seiner Zeit entwickelte. 1963 begann die akademische Karriere von Joseph Weizenbaum am Massachusetts Institute of Technology (MIT). 1970 wurde er ordentlicher Professor für Computer Science.
In der Folgezeit entwickelte sich Joseph Weizenbaum vom Computerwissenschaftler zum Computerkritiker und zum Kritiker einer Gesellschaft, die Computer produziert und die Berechnungen der Maschinen kritiklos akzeptiert. Auf einen Schlag berühmt wurde er im Januar 1972, als die Zeit Weizenbaums großen Aufsatz „Albtraum Computer” veröffentlichte, eine Abrechnung mit der Computertechnik generell, der KI-Forschung und dem Mythos vom fehlerfreien Programmieren.
Weizenbaum schrieb damals: „Der meiste Schaden, den der Computer potenziell zur Folge haben könnte, hängt weniger davon ab, was der Computer tatsächlich kann oder nicht kann, als vielmehr von den Eigenschaften, die das Publikum dem Computer zuschreibt."
Aus diesem Ansatz entstand 1976 das Hauptwerk von Joseph Weizenbaum, Computer Power and Human Reason, das auf Deutsch unter dem kuriosen Titel Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft erschien. In diesem Buch finden sich viele Momente, die später Allgemeingut geworden sind, etwa die Beschreibung der Programmiererkultur, die für Außenstehende etwas leicht Irrsinniges hat, oder die Kritik an den Versprechungen der Künstlichen Intelligenz. Bis heute ist das Buch ein Standardwerk für jeden, der sich mit dem Problemfeld Computer und Gesellschaft beschäftigt.
Wie einflussreich seine Computerkritik gewesen ist, mag die Tatsache belegen, dass die deutsche Ausgabe zu den zwanzig wichtigsten Büchern der Wissenschaftsklassiker beim Suhrkamp Verlag gehört und darum im Jahre 2003 als gebundene Jubiläumsausgabe erschien.
In einem Interview mit Publik-Forum, einem der letzten, die Weizenbaum gegeben hat, antwortet er auf die Frage „Sie gelten als einer der Väter der Künstlichen Intelligenz. Sie sagen aber, dass wir einen künstlichen Menschen nicht bauen können...?":
"Ich erkenne Grenzen der Künstlichen Intelligenz. Ich glaube, dass es im Prinzip einen Unterschied zwischen Mensch und Maschine gibt. Ich halte den Satz, dass heute Computer, also Maschinen, das oder jenes noch nicht können, aber es bald können werden, für falsch. Ich habe Ehrfurcht vor dem Leben, ganz besonders vor dem menschlichen Leben. Und diese Ehrfurcht fehlt meinen Kollegen, sodass sie die arrogante Meinung haben, wir könnten künstlich bessere Menschen bauen, als es die Natur kann ... Ich will erzählen, dass ich vor 27 Jahren einen Selbstmordversuch unternommen habe. Er wäre fast gelungen. Aber jemand hat mich vermisst und hat nach mir geguckt ... Da sind konkrete Erfahrungen der Liebe: Manchmal ein Blick in den Augen eines anderen oder einer anderen oder eine Hand auf meiner Schulter. Das ist es auch, was mir so deutlich macht, dass wir keinen künstlichen Menschen bauen können. Der Mensch ist unberechenbar. Kein Computer kann fühlen, was mit uns passiert, wenn wir eine Hand auf unserer Schulter fühlen..."

Quellen: heise.online; Publik-Forum.


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