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In seinem Roman Der Bandoneonspieler beschreibt Vincenzo Todisco, wie wenig
der Tango in die Schweiz passt, und der „Held” des Romans flüchtet in die Welt seines
Großvaters nach Argentinien, wo dieser sich als Bandoneonspieler Che Guevara angeschlossen hatte. Der
Weg von der Begeisterung für den Tango führt im Roman aus der Konsumwelt der Eidgenossen, mit
ihrer seelischen Leere und ihrer gespielten Sinnlichkeit, zu den Wurzeln des Tangos, in ein Argentinien,
das so gar nichts mit der Wirklichkeit im Grandhotel am See in der Schweiz gemein hat. Genau daran muss ich
denken, wenn sich Maldito Tango von Melingo sich zum wiederholten Male in meinem CD-Player dreht. Vor
meinen Augen bewegen sich Mittelstandspärchen zu den Klängen von Bandeon, Gesang und Gitarre im
Kreise, bevor sie sich an der Bar niederlassen, um ein Gläschen trockenen Wein oder Prosecco zu
trinken, zu einem Preis, für den man an einer Tankstelle ein bis zwei Flaschen in gleicher
Qualität bekommen würde.
Die Begeisterung dieser Menschen, für
„diese starke Komponente des bajofondo [des Tiefunten, der Unterwelt], der Dunkelheit, der Sehnsucht,
der Traurigkeit, des Elends” des Tangos hat etwas Beschämendes, das mich immer schnellstens von
solchen Veranstaltungen verschwinden lässt. Exotismus, womit die Begeisterung für eine Kultur,
des sog. Wilden oder auch des verrucht Fremden bezeichnet wird, hat zu oft eine Nähe zu einem sehr
subtilen Rassismus.
Aber wie soll man mit der Faszination
umgehen, die von einer Produktion wie Melingos Maldito Tango ausgeht? Vielleicht ist es dazu ratsam in der
musikalischen Biografie von Melingo zurückzugehen. 2000030000 Menschen, die man Desaparecidos
nennt, verschwanden in der Zeit der Militärdiktatur in Argentinien spurlos. In den 80er Jahren, mit
dem Ende dieser Terrorherrschaft, waren es Rockbands wie Los Abuelos de la Nada und Los Twist, in denen
Melingo mitspielte, die eine kulturelle Reaktion auf die Militärdiktatur und deren Ende
repräsentierten. Das rebellische Element dieser Zeit verbindet sich auf Maldito Tango mit Themen des
bajofondo in Melingos Tangointerpretationen, die sich in der Welt der Verlierer des städtischen Lebens
Südamerikas oft kreuzen.
Es geht in den Liedern Melingos um die
Leute, die man hierzulande neudeutsch Prekariat nennt, die es aber auf eine Art und Weise schaffen, das
Leben mit einer Lebensfreude zu füllen, wie es sich einer sozialwissenschaftlichen Rationalität
weitgehend entzieht. Sie sind es, die den Stoff für diese CD-Produktion liefern. Das geschieht in
einer Form, die sich nicht auf das trotzig Freche des Punks reduziert. Auch die machistische Attitüde
der Rockmusik taucht eigentlich nur als ironisch verarbeitet auf. Die so entstehende Vermischung von
traditioneller Musik verrauchter Kneipen und jugendkulturellem Aufbegehren des späten 20.Jahrhunderts
wird mit einem Gesang versehen, der Melingo schon einmal die Bezeichnung „Tom Waits des Tango”
einbrachte. Eine solche Musik hat es nicht verdient, lediglich auf dem Abschlussballs des örtlichen
Tango-Volkshochschulkurses eingeschränkt zu werden. Diese Musik gehört genau so auf die
Bühnen autonomer Jugendzentren und in Eckkneipen, von denen es auch in deutschen Städten einige
zwielichtige gibt. Ich bin sicher, das Verständnis dieser Musik wäre in solch einem Ambiente sehr
nah an den Realitäten, die sie beschreibt. Ich bin genau so sicher, dass diese Musik dort auf die
gleiche Faszination stoßen würde, die sie bei denjenigen auslöst, für die sie eine Art
Sehnsucht nach exotischer Unterfütterung ihres spießigen Lebens ist.
Da sind wir dann auch wieder bei Pablo, dem
Antihelden in Der Bandoneonspieler. Er empfindet nichts als Verachtung für den wohlhabenden
Architekten, zu dem seine Frau Nadja, die Mutter seines Sohnes, übergelaufen ist. Sicherlich wird
diese CD wohl in erster Linie von eben solchen Architekten gekauft werden und man kann für
Label und Künstler hoffen, dass es möglichst viele davon gibt. Aber richtig erfreulich wäre
es, wenn diese CD auch den Zugang zu genau denjenigen findet, die hier viel viel näher am Milieu des
besungenen argentinischen bajofondo ihren kulturellen Weg bestreiten.
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