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Die ersten Barrikaden wurden schon in der Antike, im Dritten Punischen Krieg, errichtet, der
Krieg, der das große Karthago zerstörte.
Barrikaden waren immer ein Verteidigungswerk, schnell errichtet
mit dem nächst besten Material Steine, Bäume, Balken, Ketten, Wagen, Hausgeräte usw., um Tore,
Gebäude, Straßen gegen Angriff zu sichern und den Verteidigern wirksamen Schutz und Deckung zu gewähren. So steht
es in Schems Deutsch-amerikanischem Conversations-Lexicon von 1869.
Die Verfassungsschützer sollten sich diese sehr brauchbare
Definition gut merken: Nie haben die Angreifer die Barrikaden errichtet, sondern immer die Verteidiger. Deshalb gab es in den
großen siegreichen Revolutionen Europas keine Barrikadenkämpfe nicht in der englischen von 1640, nicht in der
Französischen von 1789, auch nicht in der Oktoberrevolution von 1917. Und deshalb kann die Erinnerung an frühere
Barrikadenkämpfe auch nie ungetrübt sein, sie waren meist kein erfolgreicher Angriff auf die alte Ordnung, sondern
eine verzweifelte Verteidigung dessen, was die Aufständischen zuvor errungen hatten.
Der Geburtsort der modernen Barrikade ist Paris aber
nicht das der Februarrevolution von 1848 und auch nicht das der Julirevolution von 1830, die Barrikade wurde 1588 erfunden. In
dem reaktionären Staats- und Gesellschafts-Lexikon des Königlich-Preußischen Justizrats Hermann Wagener
heißt es: „In den Kämpfen der katholischen Ligue unter dem Herzog von Guise gegen König Heinrich III. im
Jahre 1588 kommen zum ersten Male Barrikaden, und zwar mit Erfolg, zur Anwendung; von diesem Zeitpunkt ab scheint den unteren
Schichten der unruhigen Bevölkerung dieser Hauptstadt ... eine zeitweise Auflehnung gegen die Staatsgewalt, gleichviel ob
dieselbe absolut, konstitutionell oder republikanisch war, gewissermaßen zum Bedürfnis geworden zu sein. Daraus
entwickelte sich eine gewisse Virtuosität in der Erbauung der Barrikaden als des geeignetsten Widerstandsmittels, und von
Paris aus haben dieselben, als Aggregat der von dort durch Europa gehenden revolutionären Bewegung von 1848 den Weg durch
fast alle bedeutenden Städte Deutschlands, Frankreichs und Italiens gemacht."
Dieser 12.Mai 1588 ging als der erste Barrikadentag in die
französische Geschichte ein. Der sog. zweite Barrikadentag fand erst sechzig Jahre später statt, am 27.August 1648.
Diesmal waren die Katholiken am Ruder, die Hugenotten errichteten die Barrikaden.
Welch weitreichende Wirkung von diesem zweiten Tage ausgegangen
ist, ersehen wir daraus, dass noch über 200 Jahre später der deutsch-nationale Antisemit und Historiker Heinrich von
Treitschke darauf hingewiesen hat, wie „das alte Kampfmittel aus den Straßenschlachten der Hugenotten und der
Fronde” seit 1830 von Frankreichs Nachbarvölkern gelehrig aufgenommen worden sei. Bei seiner Anklage hatte Treitschke
allerdings übersehen, dass sich schon zuvor einige Städte Europas durch Barrikaden verteidigt haben in Spanien
beispielsweise Saragossa gegen Napoleon 1808, in Deutschland 1813 Dresden und Kassel usw. Die erste Geschichte der Barrikade,
Ludovic Vitets Les barricades, scènes historiques, erschien bereits 1826 in Paris.
Zweifelsohne hatten die Barrikadenkämpfe der Julirevolution eine enorme Wirkung. Der Liberale Carl Welcker schilderte
sie 1835 so: „Die berühmtesten aller Barrikaden aber sind bekanntlich diejenigen, welche 1830 in der Nacht vom 27.
auf den 28.Juli in Paris in allen Straßen und Querstraßen von 100 zu 100 Schritten errichtet wurden, ein Beispiel,
welches bald darauf Brüssel in seiner Septemberrevolution nachahmte. Wenn die Bürger einer großen Stadt
entschlossen und mutig zusammenhalten, so wie in der Julirevolution die Pariser und besser als neuerlichst die Bürger von
Madrid, und wenn vollends selbst Frauen und Kinder so wie in der Septemberrevolution in Brüssel aus den Fenstern der
Häuser mit Pflastersteinen, mit siedendem Öl und Wasser gegen die andringenden Soldaten kämpfen, so kann eine
solche Barrikadenverteidigung fast unüberwindlich werden, wenn die angreifende Kriegsmacht so, wie wohl allermeist die
eigne Landesregierung, Bedenken trägt, die Stadt von außen in Brand zu schießen."
In dem oben genannten Lexikon von Wagener, 25 Jahre später
in Berlin erschienen, klingt das alles ganz anders: „Befangen in dem lange herrschend gewesenen, jetzt hoffentlich
für immer beseitigten Vorurteil, die Barrikadierung einer Stadt sei selbst durch die überlegensten Mittel nicht zu
verwehren, wodurch die bewaffnete Macht an der selbständigen rechtzeitigen Entfaltung der nötigen Kräfte
verhindert und der Kampf überall erst möglich wurde, wichen die Regierungen wie vor Gespenstern bei dem bloßen
Erscheinen der gefürchteten Barrikaden, und halfen die Idee von der Unbezwinglichkeit jener Revolutions-Waffe befestigen,
oft ohne nur Miene zu machen, die ihnen zu Gebote stehenden Gewaltmittel dagegen in Anwendung zu bringen. Da, wo die Leitung des
Kampfes noch rechtzeitig energischen Händen anvertraut wurde, wie in Paris im Juni 1848, in Prag, Frankfurt und Wien, waren
die Truppen fast immer Sieger, und in den wenigen Fällen, wo sie weichen mußten, trugen entweder Umstände, an
denen die Kämpfenden selbst keinen [An-]Teil hatten, wie in Berlin, oder aber die Anwendung zu schwacher oder
unzuverlässiger Streitkräfte und deren Zersplitterung sowie schlechte Verpflegung, wie in Brüssel 1830 und
Mailand 1848, die Schuld."
In aller nur wünschenswerten Offenheit stellen die Herren
Verfasser klar, wie in diesem System, in diesem Land, in dieser Stadt gegen Barrikadenkämpfer vorzugehen ist, und zwar bis
zum heutigen Tage: „Dass bei allen Barrikadenkämpfen, wenn sie möglichst wenig verlustvoll für die Truppen
und das ist Pflicht der Führer abgehen sollen, es an Beschädigung von Privateigentum und Verletzung oder
Tötung manches Unschuldigen nicht fehlen kann, ist klar die Schuld fällt auf das Haupt derer, welche die von
Gott verordnete Obrigkeit zur Erzwingung des schuldigen Gehorsams, die mit dem Schwert auch die Pflicht, es nötigenfalls zu
brauchen, übernommen hat, herausgefordert haben; den mit Niederwerfung des Aufstands beauftragten Truppenführer
können und dürfen solche Rücksichten von keiner Maßregel zurückhalten, die er zur Erreichung seines
Zweckes nehmen zu müssen glaubt; jede Konzession an den bewaffneten Aufruhr kann von unermeßlichem Nachteil für
das Ganze, für ihn selbst mit Verlust der militärischen Ehre verbunden sein; für ihn gilt nur das schlagende Wort
des Fürsten Windischgrätz, das er [1848] unberufenen Humanitäts-Rücksichten bei der Erstürmung von Wien
entgegensetzte: Eine Stadt ist leichter wieder aufzubauen als ein Staat."
Diese Gegenwirkung der Barrikade, diese Rücksichtslosigkeit und Brutalität derer auf der anderen Seite der
Barrikade, war und ist es, was seit dem Juni-Aufstand von 1848 in Paris selbst Erzrevolutionäre immer wieder schwankend
werden ließ in ihrem Verhältnis zum Barrikadenkampf. Ich möchte das am Beispiel von Friedrich Engels zeigen, der
etwas von diesen Dingen verstand. Manches hat er übrigens genauso und früher gesehen wie die hier schon zitierte
Gegenseite, jedoch anders gewertet.
Am 1.Juli 1848, sogleich nach dem gescheiterten Aufstand,
schrieb er über den Revolutionär Kersausie (irrtümlicherweise davon ausgehend, daß dieser schon erschossen
sei): „Erschießen können ihn die Bourgeois, aber ihm nicht den Ruhm nehmen, dass er zuerst den Straßenkampf
organisiert hat. Erschießen können sie ihn, aber keine Macht der Erde wird verhindern, dass seine Erfindungen in
Zukunft bei allen Straßenkämpfen benutzt werden. Erschießen können sie ihn, aber nicht verhindern, dass sein
Name als der des ersten Barrikadenfeldherrn in der Geschichte fortdauert."
Vier Jahre später, im März 1852, meint er dagegen:
„Die Proletarier von Paris wurden geschlagen, dezimiert, zerschmettert, dermaßen, dass sie sich von dem Schlag bis
heute noch nicht wieder erholt haben. Und sofort erhoben in ganz Europa die neuen und alten Konservativen und
Konterrevolutionäre das Haupt mit einer Frechheit, die zeigte, wie gut sie die Bedeutung der Ereignisse verstanden ...
Zudem war zum erstenmal seit dem Februar bewiesen worden, dass es ein Irrtum war, eine Volkserhebung in einer großen Stadt
für unbesiegbar zu halten; die Ehre der Armee war wiederhergestellt; die Truppen, die bisher in jedem Straßenkampf von
Bedeutung den kürzeren gezogen, gewannen wieder die Zuversicht, auch dieser Art Kampf gewachsen zu sein."
Weitere zwei Jahre später, im August 1854, schreibt er
angesichts der spanischen Revolution und dem „Schauspiel einer erfolgreichen Barrikadenschlacht” wieder anders:
„Wo seit dem Juni 1848 auch Barrikaden errichtet worden waren, hatten sie sich bisher als unwirksam erwiesen. Barrikaden
... schienen ganz ohne Wirkung zu sein. Dieses Vorurteil ist beseitigt. Wir haben wieder siegreiche, unangreifbare Barrikaden
gesehen. Der Bann ist gebrochen. Eine neue revolutionäre Ära ist wieder möglich geworden..."
Vierzig Jahre später schwankt er immer noch.
Am 3.November 1892 teilt er Paul Lafargue mit: „Die
Zeitungsberichte über die entsetzliche Wirkung der neuen Sprenggeschosse [beim französischen Kolonialkrieg] in Dahomey
werden Sie gelesen haben. Ein junger Wiener Arzt ... hat die Verwundungen gesehen, die die österreichischen Sprenggeschosse
bei dem Streik von Nürmitz angerichtet haben, er sagt uns dasselbe. Natürlich wollen die Menschen, die sich der Gefahr
aussetzen, auf diese Weise in Stücke gerissen zu werden, wissen, warum. Das ist ausgezeichnet, um den Frieden zu erhalten
und auch um die sogenannten revolutionären Anwandlungen im Zaum zu halten, auf deren Explodieren unsere Regierenden nur
warten. Die Ära der Barrikaden und Straßenschlachten ist für immer vorüber; wenn die Truppe sich
schlägt, wird der Widerstand Wahnsinn. Also ist man verpflichtet, eine neue revolutionäre Taktik zu finden. Ich habe
seit einiger Zeit darüber nachgedacht, bin aber noch zu keinem Ergebnis gekommen."
Genau ein Jahr später, am 3.November 1893, dagegen schreibt
er Karl Kautsky: „Du sagst selbst, Barrikaden seien veraltet (sie können aber wieder nützlich werden, sobald die
Armee zu 1/32/5 sozialistisch ist und es drauf ankommt, ihr Gelegenheit zum Umfallen zu geben), aber der politische Strike
muss entweder sofort siegen bloß durch Drohung (wie in Belgien, wo die Armee sehr wacklig war) oder aber in
einer kolossalen Blamage endigen oder schließlich direkt auf die Barrikaden führen."
Und im März 1895, anderthalb Jahre später, in der
Einleitung zu Karl Marx Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850, äußert er sich sehr vorsichtig, als ob
er geahnt hätte, dass dies sein letztes Wort zum Thema sein würde. Und mit diesem Zitat möchte ich denn auch
schließen, jenen Schlusssatz unterstreichend, den er bei der Erstveröffentlichung, wie er Kautsky mitteilte, in
Rücksicht auf die „umsturzvorlagenfurchtsamlichen Bedenken” des Berliner Parteivorstands der SPD gestrichen
hatte: „Selbst in der klassischen Zeit der Straßenkämpfe wirkte ... die Barrikade mehr moralisch als materiell.
Sie war ein Mittel, die Festigkeit des Militärs zu erschüttern. Hielt sie vor, bis dies gelang, so war der Sieg
erreicht; wo nicht, war man geschlagen. Es ist dies der Hauptpunkt, der im Auge zu halten ist, auch wenn man die Chancen
etwaiger künftiger Straßenkämpfe untersucht."
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