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"Die
Zweite Offene Arbeitskonferenz ist ein Experiment, die Weiterentwicklung unserer politischen Programmatik
und unserer organisatorischen Konstituierung nicht (nur) als internen Prozess anzugehen..."
Vom 25. bis 27.April fand in Marburg eine
Konferenz der Interventionistischen Linken statt. Über ein Dutzend linksradikaler lokaler und
überregionaler Gruppen mit sehr unterschiedlichen Politikverständnissen und Arbeitsschwerpunkten
diskutierten über ihre bundesweite Zusammenarbeit.
Die SoZ sprach mit Susanne von der Gruppe
Avanti, Lübeck, und Katharina von der Gruppe Soziale Kämpfe, Berlin.
Avanti ist ein seit 19 Jahren existierendes
Organisierungsprojekt in Norddeutschland, das seine Wurzeln in der autonomen Bewegung hat und aus der Kritik
an der Unverbindlichkeit, der mangelnden Kontinuität und gesellschaftlichen Verankerung der damaligen
Autonomen entstanden ist (www.avanti-projekt.de).
Die Gruppe Soziale Kämpfe ist
über mehrere Zwischenetappen aus der Antifaschistischen Aktion Berlin hervorgegangen. Im Zentrum
ihrer Arbeit steht die Frage, wie die Kämpfe im neoliberalen Kapitalismus über die üblichen
Teilbereichsgrenzen (Antira, Gewerkschaften, Antifa...) hinaus konzeptionell und praktisch zu verbinden
sind.
Zur Interventionistischen Linken (IL)
zählen sich: Antifaschistische Linke Berlin (ALB), FeLS Berlin, Antifaschistische Linke International
(ALI) Göttingen, Organisierte Autonomie Nürnberg (OA), Radikale Linke Nürnberg (RL), Projekt
Interventionistische Linke Köln (PILK), Redaktion Analyse & Kritik, Redaktion Fantômas, Kampagne
Libertad!, Gruppe Dissident Marburg, Avanti Projekt undogmatische Linke (Norddeutschland), Antifa KOK
Düsseldorf, Institut für Theologie und Politik Münster, Rote Aktion Kornstraße Hannover
u.a. sowie Einzelpersonen.
Die Organisationen, die sich dem bundesweiten Zusammenhang Interventionistische Linke zugehörig
fühlen, haben sich Ende April in Marburg getroffen, um nach dem gemeinsamen Auftritt beim G8-Gipfel in
Heiligendamm über weitere Schritte zu beraten. Im Mittelpunkt standen dabei Begriffe wie Organisierung,
strategische Bündnisse, bundesweite Handlungsfähigkeit. Du, Susanne, bist von der Gruppe Avanti
aus Lübeck. Was verbindet ihr mit diesen Begriffen?
Susanne: Wir halten Organisierung für notwendig, weil revolutionäre Gegenmacht eben
nicht nur aus spontaner Revolte und Basisbewegungen entstehen kann. Die Widersprüche in der
Gesellschaft führen zwar immer wieder zu Auseinandersetzungen auf ganz verschiedenen Ebenen. Aber aus
spontanen Ausbrüchen und Aneignungen von Gegenmacht allein entsteht noch keine revolutionäre
Perspektive, dafür brauchen wir langfristige kollektive Strukturen, in denen wir uns und unsere Praxis
weiterentwickeln und reflektieren. Eben Organisationen, und die sollten perspektivisch besser noch
europaweit als nur bundesweit handlungsfähig sein.
Die Montagsdemonstrationen gegen die
Einführung Hartz IV im Jahr 2004 sind ein gutes Bespiel dafür, wie schnell und spontan sich die
Dynamik von Bewegungen entfalten kann und worin der eigenständige und unersetzbare Wert von
Bewegungsprozessen besteht. Aber eben auch, wie sehr der radikalen Linken eine bundesweite
revolutionäre Organisation oder zumindest ein überregionaler Organisierungsprozess fehlt. An
vielen Orten waren Gruppen und Personen aus unserem Spektrum aktiv an der Bewegung beteiligt. Im weiteren
Verlauf aber zeigte sich, wie wenig vorbereitet die radikale Linke war, in solchen spontanen Massenprotesten
eine vorantreibende, orientierende und radikalisierende Rolle zu übernehmen. Unterm Strich blieben wir
marginal obwohl da eindeutig was gegangen wäre.
Strategische Bündnisse ich
würde eher sagen strategische Bündnisorientierung als politische Haltung beziehen wir auf
die Art, wie wir mit anderen zusammenarbeiten: Bei einer Intervention in soziale Auseinandersetzungen denken
wir die Ziele der Bewegungen mit und versuchen nicht, sie zu dominieren, sondern konstruktiv gemeinsam
Protest und Widerstand zu entwickeln. Das ist oft eine Gratwanderung zwischen Dominanz und Opportunismus.
Man muss die eigene antagonistische Perspektive in der Kooperation mit anderen gesellschaftlichen
Kräften stark machen. Dafür muss das Spannungsfeld zwischen Anschlussfähigkeit und Zuspitzung
immer neu analysiert und austariert werden.
Strategische Bündnisorientierung
beziehen wir aber nicht nur auf das Verhältnis zu sozialen Bewegungen, sondern auch auf das
Verhältnis zu anderen linken Strömungen und Organisationen: Wir haben uns von der Vorstellung
verabschiedet, dass es darum geht, die revolutionäre Organisation aufzubauen, die immer das Richtige
weiß und bei der irgendwann alle mitmachen. Wir finden es wichtig, dass es verschiedene
revolutionäre Strömungen mit ihren jeweiligen Organisationen und Organisationsformen gibt. Aber
wenn man politisch das Gleiche will, soll man sich auch verbindlich und zusammen organisieren.
Was habt ihr euch von dem Marburger Treffen versprochen?
Auf der 2.offenen Arbeitskonferenz in Marburg wurde der IL-Prozess verbreitert. Zum einen nach
außen: Neue Leute, die zur interventionistischen Strömung, aber noch nicht zur IL gehören,
sollten dazukommen. Aber auch nach innen: Die IL ist in Heiligendamm viel organisierter aufgetreten, als sie
es eigentlich ist. Nach den Erfahrungen vom Doppelgipfel in Köln 1999 wollten wir uns der schlechten
Wahl verweigern, entweder einflusslos bei NGOs mitzutrotten, oder uns in separaten linksradikalen
Veranstaltungen zu isolieren. Dafür brauchten wir bundesweite Handlungsfähigkeit.
In Heiligendamm und vor allem in der
Vorbereitung darauf hat die IL nach außen so getan, als wären wir schon eine Organisation. Das
gilt im Übrigen auch für Dissent! wobei der Dissent!-Zusammenhang prinzipiell
Organisiertheit und vor allem Repräsentanz mehr als skeptisch gegenübersteht. Diese
Organisiertheit der beiden wichtigsten Kräfte der radikalen Linken, war ziemlich entscheidend
dafür, dass antagonistische Positionen so deutlich sichtbar waren. Sie hat dazu beigetragen, dass alle
Befürchtungen, NGOs oder Parteien würden die Proteste dominieren und domestizieren, letztlich
nicht wahr geworden sind.
Aber nach Heiligendamm stellte sich die
Frage: War die Simulation einer Organisation ein Vorgriff auf eine kommende Entwicklung oder nur ein Fake?
Hat euch der IL-Kongress in dieser Hinsicht einen Schritt vorwärts gebracht?
Die offene Arbeitskonferenz war ein Schritt weitergehende Strukturen aufzubauen, die IL zu öffnen
und zu verbreitern, personell und organisatorisch, aber auch inhaltlich und politisch. Der Kern der
Konferenz waren fünf Arbeitsgruppen: Klima, Krieg, soziale Kämpfe, Antifa und Globale Soziale
Rechte. Am Beispiel konkreter gesellschaftlicher Auseinandersetzungen haben wir diskutiert, wie eine
interventionistische Politik aussehen kann und wie sich aus diesen Kämpfe eine antagonistische
Perspektive entwickeln kann. Das Ziel war, Perspektiven für eine gemeinsame Praxis zu entwickeln, keine
umfassende Analyse eines Themas. Marburg war meiner Ansicht nach ein guter Start.
Die G8 Kampagne war in vielen Aspekten halt
einfach viel einfacher als künftige Projekte. Es ist auch einfacher Organisation zu simulieren
als aufzubauen. Das hat die Konferenz manchmal zäh und anstrengend gemacht.
Du, Katharina, kommst von der Gruppe Soziale Kämpfe Berlin. Was verbindet ihr mit diesen
Begriffen und was habt ihr euch von dem Marburger Treffen versprochen?
Katharina: Wir hatten keine festen Erwartungen an das Marburger Treffen. Wir waren davon
ausgegangen, dass es sich um den Versuch handelt, Diskussionen um Politikkonzepte und -vorschläge
über Gruppen und Organisationsgrenzen hinweg zu führen und gleichzeitig gemeinsame
Aktionsmöglichkeiten auszuloten. Vor allem in unseren derzeitigen Arbeitsbereichen hatten wir uns
Verknüpfungen versprochen: einerseits bei der Frage, wie (gewerkschaftliche) Arbeitskämpfe mit
linksradikaler Politik zu verbinden wären, und da wir an der Demonstration anlässlich des
15.Jahrestags der Abschaffung des Asylrechts am 5.Juli in Berlin beteiligt sind die Verbindung von
(konkretem) Antikapitalismus und der Kritik der globalen Arbeitsteilung mit einer Kritik an Rassismus und
Migrationsregimen.
Wir waren von der starken Vorstrukturierung
der Diskussion etwas überrascht, die nicht viel Gelegenheit für konzeptionelle Diskussionen bot
und oft stark auf bereits vorliegende praktische Vorschläge konzentriert war. Wir hatten auch gehofft,
dass die Frage, was inhaltliche Eckpunkte der IL-Politik sein könnten, stärker Gegenstand der
Diskussion sein würde. Diese Diskussion wurde in der IL im Vorfeld der Heiligendamm-Mobilisierungen
abgebrochen, das haben wir bedauert. Unseres Erachtens war das auch für die Anti-G8-Aktivitäten
und die Präsentation der IL dort nicht von Vorteil.
Über die bekannten Definitionen der von
dir angesprochenen Begriffe hinaus wäre für uns etwa die Frage interessant, wie Organisierung mit
inhaltlicher Intervention verbunden werden kann, wie wir also verhindern, dass wir die Erfahrungen der
Organisierungsversuche der 90er Jahre wiederholen, erfolgreiche Organisierung oft verbunden war mit einem
kleinsten gemeinsamen Nenner an inhaltlichen Positionen. Das mag damals seine Berechtigung gehabt haben,
aber heute wo die Kritik von Neolibalismus und Globalisierung doch eine gewisse Verallgemeinerung
gefunden hat sollte sich die Radikalität unserer Intervention auch in unseren inhaltlichen
Positionen darstellen. Insofern plädieren wir für einen Begriff von politischer
Handlungsfähigkeit, der sich nicht auf Mobilisierungsfähigkeit beschränkt. In unserem
Sprachgebrauch ist „strategische Bündnisorientierung” nicht so wichtig wie die Orientierung
auf tatsächliche, also die linksradikalen Grenzen hinaus reichende Bündnisse. Hier bemühen
wir uns z.B. um die Entwicklung von Konzepten und Aktivitäten gemeinsam mit Leuten aus dem
linksgewerkschaftlichen Spektrum.
Tatsächlich hat auch mich irritiert, dass über den Begriff „strategisches
Bündnis” gesprochen wurde ohne vorab zu klären, wofür man selber steht und was man
damit erreichen will. Im Endeffekt läuft das auf eine Programmdiskussion hinaus. Meint ihr, dass alle
Gruppen, die sich der IL zugehörig fühlen, eine solche führen wollen? Nicht nur die Theorie,
auch die Praxis der Gruppen, die die IL bilden, sieht doch sehr unterschiedlich aus.
Susanne: Na klar sind in der IL ganz verschiedene Gruppen und Einzelpersonen, aber meiner
Überzeugung nach gibt es tatsächlich eine interventionistische Strömung, die sich von anderen
Strömungen der radikalen Linken unterscheidet, also ein Wir aus dem sich eine Binnenperspektive
entwickeln kann, ohne die strategische Bündnisorientierung nach Außen zu verlieren. Von dieser
interventionistischen Strömung ist in der IL auch nach Marburg immer noch nur ein Teil versammelt. Es
gilt, unsere Gemeinsamkeiten zu erkennen und gemeinsam weiter zu entwickeln.
Von anderen Strömungen der radikalen
Linken unterscheidet uns weder die Kritik an den herrschenden Verhältnissen, noch das Ziel. Deshalb
gibt es da auch jede Menge Anknüpfungspunkte für eine enge, langfristige und vertrauensvolle
Bündnisarbeit. Wir unterscheiden uns aber durch eine spezifische Haltung und strategische Orientierung
in unserer Politik: tatsächlich radikalisierend in relevante gesellschaftliche Auseinandersetzungen
eingreifen und nicht nur die eigene Radikalität ausdrücken. Das verstehe ich auch unter dem etwas
sperrigen Begriff der Intervention. Neben der Haltung, die ich mit dem Begriff strategische
Bündnisorientierung kennzeichnen würde, wäre das auch ein undogmatisches und taktisches
Verhältnis zu Aktionsformen. Schließlich finden sich in der IL auch viele Gruppen zusammen, die
tatsächlich arbeitsfähige und aktionsfähige Strukturen vor Ort haben. Lokale Verankerung ist
die Grundlage für alle weiteren Entwicklungen.
Natürlich muss man in politischen
Prozessen auch mal Dinge gemeinsam formulieren und aufschreiben. Wie z.B. in der Einladung zur Konferenz.
Das kann man dann auch Programmdiskussion nennen Hauptsache es kommt was dabei raus: die Punkte, die
für eine gemeinsame Politik wichtig sind. Das bedeutet keineswegs den kleinsten gemeinsamen Nenner zu
finden, sondern mit der Theorie einen Schritt vor der Praxis zu sein und sich in einem kollektiven Prozess
weiterzuentwickeln: Die Debatte über soziale Kämpfe mit dem Ziel, eine interventionistische
Perspektive und ein neues Klassen(kampf)verständnis zu entwickeln, finde ich gut und wichtig
auch wenn die AG auf dem Kongress nicht so erfreulich war.
Katharina: Ich würde es nicht so einschätzen, dass alle Gruppen eine solche Debatte
wollen. Einige befürchten m.E., sich in Diskussionen zu verlieren und damit
„Interventionsfähigkeit” im Sinne von Mobilisierungsfähigkeit einzubüßen.
Für einige scheint das auch die Konsequenz aus den Erfahrungen früherer Versuche linksradikaler
Zusammenarbeit zu sein, die oft an inhaltlichen Grundsatzfragen gescheitert sind, deren „historische
Tragweite” nicht weit über die internen Grabenkämpfe hinaus gereicht hat.
Andererseits würde ich denken, dass
ohne inhaltliche Klärungen das eigene Projekt für Bündnispartner nicht attraktiv sein kann
und die Gefahr besteht, in identitätspolitische Politikformen zurückzufallen.
Bündnisfähigkeit bedeutet m.E. auch, dass die inhaltlichen Berührungspunkte herausgearbeitet
werden müssen, sonst gelangt man nur wenig über instrumentelle Bündnisse hinaus und
kann damit auch kaum in gesellschaftliche Kräfteverhältnissen intervenieren.
Genau das war aber am Anfang der IL das
Ziel: nicht nur punktuelle Kooperationen, sondern Kräfte sammeln für eine Verschiebung der
Kräfteverhältnisse nach links.
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