SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2008, Seite 08

Entlassungen bei Ford-Visteon Berlin

IG Metaller wollen Verhandlungskommission wählen

von JOCHEN GESTER

Die Geschäftsleitung des Berliner Werks von Visteon, eine 100%ige Fordtochter mit weltweit 43000 Beschäftigten in 24 Ländern, hat der Belegschaft erklärt, dass 300 Mitarbeiter, etwa die Hälfte der Beschäftigten, zu viel an Bord sind. Obwohl mit der Ausgründung des ehemaligen Fordwerks das Gehaltsniveau gedrückt wurde, ist es Ford angesichts der neuen lockenden Niedriglohnstandorte vor der Haustür immer noch zu hoch. Die Berliner Standortleitung hat deshalb in stiller Diplomatie versucht, Belegschaftsabbau und unbezahlte Mehrarbeit (39,5 Stundenwoche ohne Lohnausgleich) mit einem recht billigen Sozialplan schnell in trockene Tücher zu wickeln.
Ende Januar kam es zu einer Vereinbarung zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat über einen Sozialtarifvertrag, der spätestens bis zum 30.April von der IG Metall und dem Verband der Metall- und Elektroindustrie unterschrieben werden sollte. Auch die IG Metall war unterschriftsbereit. Doch als die Sache betriebsöffentlich wurde, kam der Zeitplan kräftig durcheinander. Zum einen waren viele dagegen, so schnell jeden zweiten Kollegen abzuschreiben, zum anderen gab es Misstrauen gegenüber der betrieblichen Tarifkommission, die von der IG Metall aus Mitgliedern der fünf im Betrieb bestehenden Betriebsratslisten zusammengesetzt wurde. Der Betriebsrat hatte sich selbst in einer Abstimmung mit 5:4 für die Annahme der Vereinbarung ausgesprochen.
Viele IG-Metall-Mitglieder sahen sich jedoch durch Kommission nicht vertreten und forderten eine Mitgliederversammlung. Dort sprach sich die große Mehrheit dafür aus, die Kommission direkt von den Mitgliedern wählen zu lassen. Der zuständige IGM-Sekretär für Tarifpolitik, Klaus Helmerichs, lehnte dies ab und begründete das gegenüber den Kollegen mit den schlechten Erfahrungen, die die IG Metall im BSH- Konflikt erlebt habe. Bei BSH hatten zwei Drittel der Mitglieder in der 2.Urabstimmung das Verhandlungsergebnis abgelehnt.
Bei einem Sozialtarifvertrag schließen die Gewerkschaft für ihre Mitglieder und der zuständige Unternehmensverband für seine Mitgliedsfirmen eine Vereinbarung. Es ist schon sehr merkwürdig, wenn eine Gewerkschaft ihre direkt betroffenen Mitglieder dann daran hindern will, die Vertreter ihres Vertrauens zu wählen. Die Bevormundeten sind entsprechend sauer und wollen sich damit nicht abfinden. Zweimal haben etwa 80 Kollegen das Gewerkschaftshaus besucht und die Einsetzung einer neuen Kommission gefordert. Über deren Zusammensetzung haben sie vor Ort direkt abgestimmt. Auch haben sie beim nächsten Verhandlungstermin die Arbeitgeber davon in Kenntnis gesetzt, wer ihr Vertrauen besitzt und wer nicht.
Die Aktionen der Kollegen waren nicht vergebens. Die Verhandlungen wurden bis Ende Mai unterbrochen. Das Konsenspapier liegt auf Eis. Vieles deutet darauf hin, dass die Entlassungen nur der erste Schritt zur Schließung sind. Jetzt ist der Fordkonzern noch auf die produzierten Teile angewiesen, weil sie nur in Berlin gefertigt werden. Das soll sich in Zukunft ändern. Dann wird eine auf eine kaum mehr produktionstaugliche Größe reduzierte Belegschaft ihr Druckmittel verloren haben. Die Kollegen wollen deshalb jetzt versuchen, den Betriebsrat zur Ablehnung aller weiteren Überstunden zu bewegen und die Gewerkschaft auf die Verpflichtung festzunageln, dass nur ein Ergebnis unterschrieben wird, für das die Gewerkschaftsmitglieder mit Mehrheit gestimmt haben.


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