SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2008, Seite 11

DIE LINKE: Eine Zwischenbilanz

Sie verspricht mehr, als sie hält

von THIES GLEISS

Am 24. und 25.Mai findet in Cottbus der erste reguläre Bundesparteitag der Partei DIE LINKE statt. Erstmals werden hier die Parteiämter nicht mehr nach dem Proporz der Ursprungsparteien, sondern nach der Stärke der Landesverbände gewählt. Kontroverse politische Debatten etwa um den Leitantrag wurden im Vorfeld peinlich vermieden, umso größeren Raum nimmt die Personalpolitik ein. Für THIES GLEISS, Mitglied im Bundesvorstand, ist dies angelegt in der Struktur dieser Partei.
XEin Jahr nach der Gründung der Partei DIE LINKE ist das politische Koordinatensystem in Deutschland verändert, darin sind sich rechte wie linke Beobachter einig. Nach den drei Landtagswahlen vom Frühjahr 2008 hat sich die Partei nachhaltig in der politischen Landschaft verankert. Gemessen an Mitgliederzahlen, Abgeordneten- und sonstigen politischen Ämtern auf allen staatlichen Ebenen sowie an der Finanzkraft ist sie nominell die drittstärkste Partei Deutschlands.
DIE LINKE hat 72000 Mitglieder. Im Bundestag stellt sie mit 53 Abgeordneten die größte Fraktion einer explizit linken Partei in allen großen kapitalistischen Ländern, gut 4 Millionen Menschen haben sie gewählt. In den Ostbundesländern ist sie breit verankert und auf kommunaler Ebene in zahlreichen Orten die prägende und Verantwortung tragende Kraft, die alle anderen Parteien an Stärke und Verankerung in den Schatten stellt.
Im Bundesland Berlin ist sie mit vier Senatoren an der Landesregierung beteiligt. In den Westländern ist sie bei allen Wahlen erfolgreich, erreichte aber lediglich bei der Landtagswahl in Niedersachsen mehr Stimmen als bei der Bundestagswahl 2005. Insgesamt verfügt sie über 185 Landtagsabgeordnete, 5561 kommunale Mandatsträger, 179 Bürgermeister, drei Landräte und 59 Beigeordnete, Dezernenten und kommunale Wahlbeamte.
Die gesamte Linke außerhalb der LINKEN, die sozialen Bewegungen, allen voran die Gewerkschaftsbewegung, und auch eine wachsende Zahl von Intellektuellen und Wissenschaftlern schauen heute auf die neue Partei und sind gezwungen, sie in ihren politischen Ansätzen und Ansprüchen — egal ob wohlmeinend oder kritisch — einzubeziehen.
Politisch ideologisch füllt DIE LINKE ein lange Jahre brachliegendes Gelände. Sie hat einen Diskurs eröffnet, der Kritik am Kapitalismus und sogar ein Bekenntnis zum Sozialismus langsam wieder gesellschaftsfähig macht. In diesem Sinne ist DIE LINKE ein politischer Reflex auf die Polarisierung der Gesellschaft zwischen Gewinnern und Verlierern, der Offensive des Kapitals zur Sanierung der Profitrate, den aggressiven „Klassenkampf von oben” und die zunehmende Gewalttätigkeit, Militarisierung und materielle Unsicherheit auf allen gesellschaftlichen Ebenen.
Soziologisch ist die Partei DIE LINKE die partielle Rückkehr des angeblich historisch überholten Modells der Klassenpartei: In kürzester Zeit konnte sie unter den Opfern der herrschenden Politik und bei den Trägern des gesellschaftlichen Widerstands gegen diese Politik eine respektable Stammwählerschaft gewinnen.
DIE LINKE ist somit deutlich mehr als eine Protestpartei, im Gegenteil: Sie erzielt ihre Wahlerfolge ausdrücklich nicht durch kurzzeitige Gewinne im wachsenden Milieu der Nichtwähler, sondern mobilisiert in erster Linie Teile der proletarischen Stammwähler der Sozialdemokratie, weshalb es vor allem die SPD ist, die in Bezug auf Mitglieder und Wähler von der neuen Partei herausgefordert wird.
All diese Faktoren machen DIE LINKE aus Sicht einer antikapitalistischen und sozialistischen Perspektive zu einem fortschrittlichen Ereignis. Aber wie immer will es die Dialektik, dass mit dem Fortschritt auch die Kräfte wachsen, die bremsen, die sich mit dem schon Erreichten zufrieden geben.
Gleichermaßen gibt es viele Anhänger und Mitglieder der LINKEN, die sich dieses Fortschritts zu wenig bewusst und daher unfähig sind, eine weitere Linksentwicklung und Radikalisierung der LINKEN als einzigen Weg zum politischen Erfolg zu begreifen.

Nur 5% bei den Jungen

Seit der formalen Gründung der Partei im Juni 2007 gibt es einen Zuwachs von rund 3000 Mitgliedern. Ungefähr ein Drittel der offiziell 12000 Mitglieder der WASG hat damals die Vereinigung mit der Linkspartei.PDS nicht mitvollzogen. Knapp drei Viertel der Mitglieder leben in den Ost-, ein Viertel in den Westländern.
Die LINKE organisiert in den Ostländern fast ausschließlich Opfer der kapitalistischen Reintegration der früheren DDR. Zwei Drittel von ihnen verfügen über ein abgeschlossenes Hochschulstudium, sind aber mittlerweile hoch im Rentenalter. Der Altersdurchschnitt in den Ostländern liegt bei über 65 Jahren. Im Osten verliert die Partei auf Grund der Überalterung mehr Mitglieder als sie hinzugewinnt.
Fast die Hälfte der Mitglieder im Osten ist weiblich, in den Westländern dominieren die Männer mehr als in anderen Parteien, im Gesamtdurchschnitt sind 41% der Mitglieder Frauen — das ist immer noch ganz gut. Unter den Neueintritten nach der Gründung sind die Männer im Westen fast unter sich, in Ost und West zusammen bilden sie 85% der neu Eingetretenen. Gerade 5% der Mitglieder sind unter 30 Jahren, nur 1% unter 20.
Im Westen teilt sich die Mitgliedschaft in zwei Blöcke: die neuen Opfer des Kapitalismus — prekär Beschäftigte und Erwerbslose einerseits, von denen nicht wenige bei der Gründung wieder abhanden kamen und deren Gewicht abnimmt — und abhängig Beschäftigte, unter denen Akademiker eine klare Minderheit darstellen. DIE LINKE ist eine Arbeiterpartei, so wie sie nur der moderne Kapitalismus hervorbringen kann, mit einer großen Sonderabteilung „Opfer der DDR-Abwicklung” Die Vereinigung der Selbstständigen in der LINKEN ist ein klitzekleines Kuriosum.
Die Partei organisiert sich in etwa 2000 Basisorganisationen im Osten und 260 im Westen, aufgeteilt nach Verwaltungskreisen und Wohngebieten. Es gibt nur eine einzige Betriebsgruppe.
Die von der Satzung vorgeschriebene hälftige Quotierung zwischen Männern und Frauen bei Vorständen und Kandidatenlisten wird auf lokaler Ebene kaum eingehalten, auf mittlerer und regionaler Ebene mit Sorgfalt aber auch großen Problemen umgesetzt, auf Spitzenebene — die beiden Herren ganz oben dürften bekannt sein — in Bund und Ländern wird sie auf Druck der Männerriege immer wieder durchbrochen. Die Kandidatenlisten zu den Parlamenten sind weitgehend quotiert, bei den Mitarbeitern der Fraktion und auch der Partei kann davon keine Rede sein.
Der Verwaltungsapparat der Partei besteht aus 77 Stellen in der Bundesgeschäftsstelle und knapp 160 Stellen in den Bundesländern, finanziert wird sie überwiegend durch Einnahmen aus der staatlichen Parteienfinanzierung und Abgeordnetenbeiträgen. Der durchschnittliche Mitgliedsbeitrag beträgt etwa 7 Euro im Monat.
Der größte Teil der Öffentlichkeitsarbeit für die Partei erfolgt über die staatlich finanzierten Parlamentsfraktionen und die Verbände der Rosa-Luxemburg-Stiftung. So ist es sicher nicht falsch anzunehmen, dass die LINKE zu gut 80% von Staatsknete lebt, wofür sie sich nicht schämen muss — im Gegensatz zu Spenden von großen Unternehmen und sonstigen schwarzen Kassen —, was aber im politischen Bewusstsein immer präsent sein muss.

Autoritäre Grundhaltung

Diese Strukturmerkmale der LINKEN sind die objektive Basis für eine nur eingeschränkt systemkritische Haltung. Wollten Linke mit einer solchen Organisation die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse nachhaltig ändern, müssten sie diese strukturellen Beschränkungen regelmäßig problematisieren und in der Praxis zu überwinden versuchen. Das geschieht aber nicht.
Eine grundlegende Änderung der Strukturen durch außerparlamentarische Aktionen, Aufbau von Betriebsgruppen und eine größere Finanzierung durch Beiträge von Mitgliedern und Unterstützern findet auch nicht statt. So wundert es nicht, dass DIE LINKE sich mit rasanter Geschwindigkeit verparlamentarisiert. Ihre gesamte Aktivität dreht sich fast nur noch um Wahlkämpfe.
Die Mitgliedschaft zerfällt in einen großen Teil von Karteileichen, die höchstens zu Wahlkampfhighlights mobilisiert werden, und einen Teil von Aktiven, der sich um die Fraktionen schart.
Das wird durch drei politische Tugenden beschleunigt, die bei kaum einer anderen Partei so ausgeprägt sind wie bei der LINKEN: Erstens eine devote Grundhaltung vor allem bei der ehemaligen PDS, die immer noch vom kapitalistischen Gegner auf- und ernst genommen werden will. Der Wunsch Gregor Gysis, man möge auf seinen Grabstein schreiben, „Wir waren doch nett”, drückt dies mehr als anekdotisch aus.
Zweitens eine Medienängstlichkeit, die fast nur noch medizinisch zu therapieren ist. Eine der 77 Stellen der Parteizentrale ist regelmäßig damit beschäftigt aufzulisten, wie hoch der Prozentsatz „guter” und „schlechter” Presse ist.
Und drittens schließlich eine autoritäre Grundstruktur mit Vorsitzendenergebenheit, Gremienloyalität und einem Zentralisierungswahn auf Seiten des Apparats, die letztlich jede Kreativität und Fantasie und damit lebende Potenzen der Partei abtöten.
Diese Tugenden, das lässt sich auf fast allen Parteisitzungen spüren, werden von den alten PDS-Funktionären, vor allem den „jungen Alten”, und von der durch bürokratische Gewerkschafts- und SPD-Strukturen geprägten alten West-SPD-Garde in die Partei getragen. Deren Gewicht nimmt zu und nicht ab; die Mehrzahl der neu Eintretenden bringt diese Grundauffassung mit, die sich zudem mit den auch immer mehr werdenden Karrieristen und Pöstchensuchern gut arrangiert.
Was bleibt ist eine Partei, die konstant von gut 10% der Wählerinnen und Wähler unterstützt und von der im öffentlichen Diskurs viel oppositioneller Dampf erwartet wird. Diese Partei hat einerseits bisher in allen großen Fragen und Aktivitäten (Antikriegsbewegung, G8-Gipfel-Sturm, Aktionen gegen Neonazis und gegen den Abbau der demokratischen Rechte, Unterstützung betrieblicher und gewerkschaftlicher Kämpfe, sieht man vom Streik der GDL-Lokführer mal ab) die antikapitalistischen Kräfte im Land tatkräftig unterstützt.
Andererseits tut diese Partei alles, um genau diese fortschrittliche Rolle zu verlieren; sie gängelt ihre eigenen Kräfte unnötig und verkommt im parlamentarischen Sumpf als Juniorpartnerin einer bürgerlichen Regierung. Aufzuhalten ist dies nur durch ein äußerst waches Bewusstsein über die hier beschriebenen Strukturen und durch heftigen regelmäßigen Druck gesellschaftlicher Kämpfe und Mobilisierungen.


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