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Die Gründung des Staates Israel zu feiern ist in sich eine problematische
Sache, denn wenn es dabei für viele um die Schaffung einer Zuflucht für die dem Völkermord
Hitlers Entronnen ging, ist es doch auch der Sieg eines kolonialen Projekts, der hier gefeiert wird.
Dies Jubiläum zu feiern, ohne die
unmittelbaren Opfer der Gründung des Staates Israels auch nur zu nennen, ist regelrecht obszön:
Während die jungen Bürger des neuen jüdischen Staates im Zentrum von Tel Aviv tanzten, zogen
Hunderttausende Bewohner des Landes ins Exil. Daran zu erinnern ist wichtig, wenn man nicht der Leugnung von
Verbrechen schuldig werden will. Denn die Gründung Israels hat zwei Seiten, die nicht voneinander zu
trennen sind: die jüdische Souveränität und die Enteignung der Araber. Die
Unabhängigkeit der einen hat aus den anderen Flüchtlinge gemacht.
War es ein tragischer Unfall der Geschichte?
Nein, und das ist eine der vielen Legenden, die den Zionismus und die Gründung des jüdischen
Staates umranken. Tatsächlich kann man von zwei Serien von Legenden sprechen: solche, die sich um die
Gründung Israels ranken, und solche, die sich auf die Gegenwart beziehen.
Zur ersten Kategorie gehört die
Legende, die das Palästina der Frühzeit als „Land ohne Volk für ein Volk ohne
Land” beschreibt. Denn wenn es stimmt, dass das jüdische Volk (ein Begriff, der selber stark
umstritten ist) keineswegs souverän ist, ist es falsch, Palästina als leeres Land zu beschreiben:
Ein Volk lebt dort und hat, im Gegensatz zu den Vorstellungen der Orientalisten, eine Landwirtschaft und,
seit den 20er Jahren, auch den Ansatz einer Industrie entwickelt. Teil der Legenden um die Gründung von
Israel ist auch die „Flucht der Flüchtlinge” Die Neuen Historiker Israels haben dieser
kolossalen Lüge den Garaus gemacht: Die Palästinenser sind zu einem Volk von Flüchtlingen
geworden infolge eines sorgfältig geplanten ethnischen Säuberungskriegs, nicht durch den
schlagartigen Wunsch, ihr Land in Richtung Zelte des UN-Flüchtlingskommissars zu verlassen.
Die Legenden rund um die Realität des
jüdischen Staates dienen seit nun fünf Jahrzehnten als Hintergrund für eine
Propagandakampagne, deren Wirksamkeit nicht zu leugnen ist. Nennen wir drei davon:
„Israel ist die einzige Demokratie
im Nahen Osten.” Der Staat Israel definiert sich selbst nicht als Demokratie, sondern als
„jüdischer und demokratischer Staat” Die Nuance ist von Bedeutung: „Jüdischer
Staat” beinhaltet einen privilegierten Status, der in die Verfassung und Gesetzgebung des Staates
eingeschrieben ist, zugunsten einer Gemeinschaft und zum Schaden der anderen was dem demokratischen
Prinzip widerspricht. Der Zugang zu Land und zum Recht auf Niederlassung sowie die Gesetze, die die
Einwanderung regeln, sind nicht dieselben für jüdische und arabische Bürger selbst
wenn letztere über die gleichen Bürgerrechte verfügen. Es ist daher völlig unpassend,
von einer Demokratie zu sprechen.
„Israel ist eine egalitäre
Gesellschaft”, sogar ein Beispiel des „demokratischen Sozialismus” Das bestätigen
angeblich die Kibbutzim und die zentrale Rolle der Histadruth, eine in der Welt einzigartige Einrichtung, da
sie zugleich Gewerkschaftsverband, der größte Arbeitgeber der Schwerindustrie, die zweite Bank des
Landes, Sozialversicherung, der größte Sportverband und noch einiges mehr ist. Der Politologe Zeev
Sternhell hat diesem Mythos den Garaus gemacht, indem er zeigte, dass all diese Institutionen, auch der
ökonomische Kollektivismus, nur ein provisorisches Instrument waren, um einen modernen
Staat von oben durchzusetzen, da die Möglichkeit, ihn von unten organisch zu entwickeln, nun einmal
nicht gegeben war... Wie es auch in Dutzenden anderer Länder der Fall war, die neu aus der
Entkolonialisierung entstanden sind.
„Die Juden sind aus den arabischen
Ländern spontan eingewandert.” In ihrer Mehrzahl aber sind sie durch geheime Abkommen mit den
arabischen Regimen und durch Manipulationen gezwungen worden, ihr Vaterland zu verlassen darunter
auch durch Attentate des zionistischen Geheimdienstes.
Wenn die neuen israelischen Historiker heute
in aller Welt bekannt sind, gilt das nicht für die „neuen Soziologen” und andere Kritiker
der israelischen Gesellschaft und Staates, die es ermöglicht haben, dass die Legenden um diese
Realität radikal in Frage gestellt werden. Diese kritische Recherchearbeit hat stark dazu beigetragen,
dass sich soziale Bewegungen entwickelt haben, die in Israel ein „anderes Israel” fordern
ein egalitäreres und gegenüber anderen offeneres, seien sie nun Juden oder nicht.
Der Kampf für einen demokratischen und
laizistischen Staat ist heute, nach 60 Jahren Existenz Israels, wichtiger denn je. Es wird ein gemeinsamer
jüdisch-arabischer Kampf sein, ein Kampf, der die zionistischen Grundsätze in Frage stellt. Anders
wird es ihn nicht geben, andernfalls würde Israel immer mehr die Züge eines Apartheidstaats
annehmen.
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