SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2008, Seite 12

"Solidarität mit Israel"

DIE LINKE auf Pro-Kriegs-Kurs?

von KNUT MELLENTHIN

Es geschieht selten, dass sich Mainstreammedien an herausragender Stelle mit Geschehnissen in der Linkspartei beschäftigen. Meist beschränkt sich ihre Berichterstattung auf Gelegenheiten, wo der LINKEN geschadet werden kann, wie im Fall der niedersächsischen Landtagsabgeordneten Christel Wegner und ihrer ungeschickten Äußerungen zur DDR-Stasi. Noch seltener finden Veranstaltungen der parteieigenen Rosa-Luxemburg-Stiftung den Weg in die Medien. Hätte sich Gregor Gysi am 14.April in seinem Vortrag im Wesentlichen darauf beschränkt, für einen „in jeder Hinsicht lebensfähigen Staat Palästina” und für „die Auflösung der meisten Siedlungen” in den seit 1967 besetzten Gebieten zu plädieren — kein Hahn hätte danach gekräht.
Tatsächlich hat der Ko-Vorsitzende in seiner 15 Seiten langen Rede über „Die Haltung der deutschen Linken zum Staat Israel” auch davon gesprochen, dass Israel „Unrecht begangen” und „des öfteren das Völkerrecht verletzt” habe. In genau drei Absätzen. Vor allem aber hat Gysi, und das sicherte ihm die Aufmerksamkeit und den Beifall der Medien, zur „Solidarität mit Israel” aufgerufen und nebenbei den Antiimperialismus als veraltete Ideologie auf den Abfallhaufen der Geschichte geworfen.
Es war eine sehr ausgedehnte, ausschweifende Ansprache: 52000 Zeichen, mehr als zehnmal so lang wie dieser Kommentar hier. Aber nur ganz selten, an wenigen verstreuten Stellen, kam der Redner zur Sache. Wovon war stattdessen die Rede? Ein umfangreicher Exkurs beschäftigte sich mit dem preußischen Militärtheoretiker Carl von Clausewitz (1780—1831). Seine Feststellung, Krieg sei „eine bloße Fortsetzung der Politik unter Einbeziehung anderer Mittel” gehört zur deutschen Allgemeinbildung. Viel mehr aber auch nicht. Gysi äußerte sich „erstaunt”, „dass Clausewitz‘ Philosophie des Krieges ... bei bestimmten Konfliktbeurteilungen für die Linke keine Rolle zu spielen scheint”, unternahm aber in der gesamten Rede keinen Versuch, die Theorien des preußischen Napoleon-Gegners zur Interpretation des Israel-Palästina-Konflikts und der israelischen Kriegspolitik im weiteren Sinn zu nutzen. Wie andere „philosophische” Exkurse in Gysis Rede diente auch der Clausewitz-Abschnitt vornehmlich der Ablenkung von den realen Fragen.
Ein weiterer Exkurs beschäftigte sich mit der Legitimierung des Zionismus: Der deutsche Völkermord an den Juden habe die „Grundannahme” des Zionismus als richtig erwiesen und somit die Gründung Israels „zwingend erforderlich” und „alternativlos” gemacht. Das ist jedoch falsch: Die „Grundannahme” von Theodor Herzl und seinen Nachfolgern, dass ein Zusammenleben zwischen Juden und Nichtjuden in einem Staat unmöglich sei, ist durch die Entwicklung seit 1945 widerlegt. Dagegen spricht auch der Holocaust nicht. So wenig wie zwei Weltkriege mit Dutzenden Millionen Toten und zahlreiche Kriege seit 1945 die These beweisen, dass friedliche Koexistenz zwischen Staaten unmöglich sei.
Die Gründung Israels hatte die Vertreibung von über 700000 arabischen Landesbewohnern zur Voraussetzung. Sie hat darüber hinaus eine offene Wunde in der Region hinterlassen, ohne dass dauerhafte politische Lösungen in Sicht wären. Insbesondere haben alle israelischen Regierungen seit 1967 die Gründung eines lebensfähigen Palästinenserstaats planmäßig verbaut, sodass sie heute bereits nahezu unmöglich ist. Gysi, der sonst gern als Realpolitiker antritt, verlor darüber kein einziges Wort.
Ebenso wenig füllte er das Zentralthema seiner Rede, die „Solidarität mit Israel”, mit Inhalten. Ihm schien nicht einmal bewusst zu sein, dass Solidarität mit jemandem immer auch Solidarität gegen jemanden impliziert. Anderenfalls bezeichnete sie nur eine folgenlose Emotion. Was aber bedeutet die plakative Parole „Solidarität mit Israel” kurz vor einer seit Monaten vorbereiteten Großoffensive gegen die Bevölkerung des Gazastreifens? Was bedeutet „Solidarität mit Israel” angesichts der Drohungen, sich erneut militärisch im Libanon einzumischen? Was heißt „Solidarität mit Israel” am Vorabend eines US-amerikanischen Krieges gegen den Iran, der voraussichtlich unter dem verlogenen Motto geführt werden wird, es gelte „einen zweiten Holocaust zu verhindern"?
Man muss für die weitere Entwicklung der LINKEN Schlimmes befürchten. Denn noch verstörender als Gysis Rede ist der Umstand, dass sie in der Partei so gut wie überhaupt keine erkennbare Gegenwehr ausgelöst hat. Der LINKEN fehlt es an sozialistischer Streitkultur ebenso wie an innerparteilicher Demokratie. Gleichzeitig genießt der „Bundesarbeitskreis Shalom” der Parteijugend ungestörte Narrenfreiheit. Er steht „uneingeschränkt hinter dem Verteidigungsrecht des emanzipatorischen Staates Israel” — was immer das noch an Blutvergießen für den Nahen und Mittleren Osten bedeuten mag.


Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo

  Sozialistische Hefte 17   Sozialistische Hefte
für Theorie und Praxis

Sonderausgabe der SoZ
42 Seiten, 5 Euro,

Der Stand der Dinge
Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge   Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken   Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus   Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus   Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden   Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität





zum Anfang