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Marc Falcoff, der Ideologe des militärischen Interventionismus unter Bush im Irak
und treibende Kraft für eine mögliche Intervention im Iran, schlägt die Teilung Boliviens in
seine geografisch und ethnisch unterschiedlichen Teile vor, die aufgrund ihrer Hauptexportprodukte
„unversöhnlich” seien: der Altiplano als Coca-Produzent und Heimat des aktuellen
Präsidenten Evo Morales auf der einen Seite, auf der anderen Seite das Tiefland, angeführt vom
Departement Santa Cruz, als Erdgasproduzent. Auf der einen Seite die Cocanation, die von der indigenen
Bevölkerung dominiert wird, auf der anderen das Tiefland (der Osten) mit seiner Bevölkerung
„eher europäischen” Ursprungs.
Der US-amerikanische Rat für
Auswärtige Beziehungen (CFR) beschreibt die Probleme Boliviens als „zugespitzte ethnische und
rassische Konflikte um Coca, Wasser, Gas und die Verteilung anderer öffentlicher Mittel” Dass
diese Konflikte einen „rassischen und ethnischen” Hintergrund haben, ist falsch beim Gas
geht es z.B. um einen Konflikt zwischen Bolivien und den internationalen Konzernen. Unter diesem Vorwand
wird versucht, ein militärisches Eingreifen zu rechtfertigen, die Widerstände gegen
Freihandelsabkommen aufzuweichen und mit diesem konstant rebellierenden Unruheherd aufzuräumen
und somit die Indígenas und den Rest des Kontinents zu bändigen.
Die wirtschaftliche Entwicklung im Osten des
Landes begann vor ungefähr 50 Jahren mit Auslandsinvestitionen und dem Plan Bohan, wobei die
Cooperación Andina de Fomento (Andiner Kreditfonds) ins Leben gerufen wurde. Dies gilt als Wendepunkt
in der industriellen Entwicklung der Region. Zwischen 1953 und 1961 wurde die Hilfe der USA aufgestockt,
Zuckerfabriken wurden gebaut und der Reisanbau wurde ausgedehnt. Zwischen Cochabamba und Santa Cruz wurde
eine Schnellstraße gebaut und Fördermaßnahmen für die Erdölgewinnung und den Ausbau
der Agroindustrie wurden ergriffen.
Das Großbürgertum des Ostens
gelangte 1971 mittels eines Putsches an die Macht. Die Militärdiktatur von Hugo Banzer
(19711978), die sich auf Günstlingswirtschaft und politische Loyalität stützte, teilte
die Ländereien auf. Das brachte besonders im Osten eine willkürliche Konzentration und
Anhäufung von Ländereien in den Händen einer Minderheit von hacendados
(Großgrundbesitzern), die das Regime unterstützten und den Grundstein für den
Großgrundbesitz im bolivianischen Osten legten. Der Staat investierte die Einnahmen aus den Minen in
Oruro, Potosí und La Paz in die Landwirtschaft und Viehzucht, in Zucker- und Erdölraffinerien
sowie in die Forstwirtschaft.
Während sich die Aufmerksamkeit auf den
Osten konzentrierte, wuchs allmählich die Armut im Westen des Landes. Durch die Großzügigkeit
der nachfolgenden neoliberalen Regierungen (19891993, 19931997), die sich aus den heute nicht
mehr existierenden Parteien ADN und MIR zusammensetzten oder von der bereits in der Auflösung
befindlichen MNR gestellt wurden, konnte die zweite Agrarreform 1996 durchgesetzt werden. Im Zuge dieser
Reform wurden forstwirtschaftlich genutzte Flächen in Grundbesitz auf Lebenszeit umgewandelt. Die
Regierungskoalition aus MIR, MNR und der Nueva Fuerza Republicana (2002 bis 2005) ermöglichte mit einem
neuen Gesetz, dass die Großgrundbesitzer ihren ausgedehnten Grundbesitz absichern konnten.
Der stete Griff in die Staatskasse, um
Millionen von Dollar in das landwirtschaftliche Unternehmertum und den Bankensektor fließen zu lassen,
ermöglichte Entwicklungsmaßnahmen für den Anbau von Reis, Rohrzucker, Baumwolle und Soja,
immer mit dem Ziel, „den Import von Lebensmitteln zu ersetzen” Auf diese Weise ist das
agroindustrielle Bürgertum gestärkt worden.
Santa Cruz wurde zum Zentrum der Entwicklung
und löste eine starke Zuwanderung aus, die wiederum zu einer starken Ablehnungshaltung bei den
Ortsansässigen führte obwohl klar ist, dass der produktive Sektor in der Region ohne die
zugewanderten Arbeitskräfte nicht funktionieren würde.
Mit der Regierung Carlos Mesa (2004) beginnt
der aktuelle separatistische Prozess. Da ist zunächst das Referendum vom 18.Juli 2004, bei dem der
Export von Erdgas nach Chile ins Spiel gebracht wird und in dem entschieden wird, Präfekten
außerhalb des verfassungsmäßigen Rahmens zu wählen und den Weg für die Autonomie
der Departements einzuschlagen. Im Januar 2005 unterhält sich Falcoff bei einem Treffen in Santiago de
Chile, das von der chilenischen Industrie- und Handelskammer veranstaltet wurde, mit
Führungspersönlichkeiten aus Gesellschaft und Wirtschaft von Santa Cruz. An diesem exklusiven
Treffen nehmen auch Repräsentanten der Elite Tarijas teil, des Departements mit dem größten
Erdgasvorkommen.
Nach dieser Zusammenkunft werden immer mehr
autonome Landkreise ausgerufen und die Idee wird geboren, dass Santa Cruz innerhalb des sog. autonomen
Halbmonds andere Departements annektieren könnte. Außerdem wird versucht, „Führer des
Volkes” aus der Mittelschicht als Verbündete zu gewinnen, und eine Welle von Bürgerstreiks
beginnt, mit der Absicht die Regierung Evo Morales zu zermürben.
Die Beziehungen zwischen Regierung und
Bourgeoisie haben verschiedene Phasen durchlaufen. Evo Morales, der sich nach den Empfehlungen von
Vizepräsident García Linera richtete, gab bei dem Aufruf für das Autonomiereferendum nach,
später stellte er sich quer und rief dazu auf, gegen die Autonomie zu stimmen. Hier testete die Rechte,
die von den Bürgerkomitees und den Präfekten verkörpert wird, die Grenzen der Regierung aus.
Im Folgenden torpedierte sie die Arbeit der Verfassunggebenden Versammlung und versuchte sogar, die
Kontrolle über die Nothilfemittel für das Klimaphänomen El Niņo an sich zu reißen.
Im Bildungssektor schrieb sich die
Opposition die Verteidigung von Religion, Glauben und privater Bildung auf die Fahnen; auch über die
Besetzung der Richterämter am Obersten Gerichtshof wurde gestritten, über das neue Gesetz zur
Landreform und über die Verurteilung von Ex-Präsident Gonzalo Sánchez de Lozada. Die
Beziehungen der Regierung zu Hugo Chávez, Fidel Castro und später zum Iran standen ebenso im
Zentrum der Kritik.
Die bürgerliche Opposition baut auf die
Ängste breiter Bevölkerungsschichten, besonders die der gut situierten Mittelklasse. So reden ihre
Wortführer in den Massenmedien von einem Plan der Regierung, mit dem die Mittelklasse ausgelöscht
werden soll. Die Bürgerkomitees und Präfekten von Santa Cruz schürten Konflikte, kauften
Führungspersönlichkeiten, verwirrten die Bevölkerung und machten der Mittelklasse
Versprechen, um ihre ökonomische Situation zu verbessern, bis sie schließlich die
Bürgerkomitees von sechs Departements kontrollierten und manipulierten oder im Fall Sucre die
Hauptstadtfrage thematisierten, um im Gegenzug Unterstützung für das Autonomiebestreben von Santa
Cruz zu bekommen.
Rädelsführer der separatistischen
Bestrebungen des „Halbmonds” in Santa Cruz sind Rubén Costas Aguilera und Branko
Marinkovic. Costas ist Präfekt von Santa Cruz, Agraringenieur und Mitglied der APB, einer 2005
gegründeten Organisation von Agrarunternehmern und Großgrundbesitzern. Er war Vorsitzender der
Viehzüchtervereinigung Boliviens, des Milchproduzentenverbands und der Landwirtschaftskammer des
Ostens.
Branko Marinkovic, gebürtiger Kroate,
ist ein wohlhabender Unternehmer sowie eine der treibenden Kräfte für einen unternehmerisch
geprägten „Halbmond” Er ist Gegner des Mercosur und Verfechter eines Freihandelsabkommens
mit den USA. Marinkovic ist Teilhaber des einflussreichen Unternehmens Transredes, das zu 50% im Besitz von
Enron und Shell ist und bis zu 6000 Kilometer lange Erdgas- und Ölpipelines bis nach Argentinien,
Brasilien und Chile betreibt. Der Millionär besetzt außerdem führende Positionen bei der
Vereinigung der Privatunternehmer von Santa Cruz, der Banco Económico, der Kammer der Exporteure von
Santa Cruz sowie der Soja verarbeitenden Firma Industrias Oleaginosas Limitada (IOL).
Die Aktivitäten des
„Halbmonds” werden auf direktem Wege oder über NGOs finanziell von der US-Behörde
für Internationale Entwicklung (USAID) und vom National Endowment for Democracy (NED) unterstützt.
Pro Jahr werden 89 Mio. US-Dollar investiert..
Das Großbürgertum von Santa Cruz
verbarrikadiert sich nun in seiner Region und organisierte für den 4.Mai tatsächlich ein
Referendum, um hinter dem Rücken der internationalen Gemeinschaft eine illegale autonome Regierung zu
installieren. Die lokale Elite treibt die Spaltung des Landes voran und formt dabei eine eigene
Bürgerschaft, stellt eigene lokale Polizeikräfte auf und erteilt sich selber Befugnisse für
Bereiche, die bisher in den Kompetenzbereich des Staates fielen, wie z.B. Erziehung, Gesundheit, Zuteilung
von Ländereien, Steuern, Bodenschätze. Dieses Vorhaben verschärft den Ausschluss der
indigenen Bevölkerung, begrenzt die Rechte der Indígenas im Sinne einer regelrechten
„Apartheid”, konsolidiert das System der ungleichen Verteilung von Land und nationalen
Reichtümern und versperrt für alle Zeiten die Möglichkeit, eine Landreform in Bolivien
durchzuführen.
Gekürzt aus: ILA (Bonn), Nr.315, Mai
2008. Diese Ausgabe von ILA enthält einen 32-seitiges Dossier zu Bolivien (www.ila-web.de).
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