SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2008, Seite 15

Bolivien

Hintergründe und Protagonisten der separatistischen Bewegung

von WALDO ACEBEY

Marc Falcoff, der Ideologe des militärischen Interventionismus unter Bush im Irak und treibende Kraft für eine mögliche Intervention im Iran, schlägt die Teilung Boliviens in seine geografisch und ethnisch unterschiedlichen Teile vor, die aufgrund ihrer Hauptexportprodukte „unversöhnlich” seien: der Altiplano als Coca-Produzent und Heimat des aktuellen Präsidenten Evo Morales auf der einen Seite, auf der anderen Seite das Tiefland, angeführt vom Departement Santa Cruz, als Erdgasproduzent. Auf der einen Seite die Cocanation, die von der indigenen Bevölkerung dominiert wird, auf der anderen das Tiefland (der Osten) mit seiner Bevölkerung „eher europäischen” Ursprungs.
Der US-amerikanische Rat für Auswärtige Beziehungen (CFR) beschreibt die Probleme Boliviens als „zugespitzte ethnische und rassische Konflikte um Coca, Wasser, Gas und die Verteilung anderer öffentlicher Mittel” Dass diese Konflikte einen „rassischen und ethnischen” Hintergrund haben, ist falsch — beim Gas geht es z.B. um einen Konflikt zwischen Bolivien und den internationalen Konzernen. Unter diesem Vorwand wird versucht, ein militärisches Eingreifen zu rechtfertigen, die Widerstände gegen Freihandelsabkommen aufzuweichen und mit diesem konstant rebellierenden Unruheherd aufzuräumen — und somit die Indígenas und den Rest des Kontinents zu bändigen.
Die wirtschaftliche Entwicklung im Osten des Landes begann vor ungefähr 50 Jahren mit Auslandsinvestitionen und dem Plan Bohan, wobei die Cooperación Andina de Fomento (Andiner Kreditfonds) ins Leben gerufen wurde. Dies gilt als Wendepunkt in der industriellen Entwicklung der Region. Zwischen 1953 und 1961 wurde die Hilfe der USA aufgestockt, Zuckerfabriken wurden gebaut und der Reisanbau wurde ausgedehnt. Zwischen Cochabamba und Santa Cruz wurde eine Schnellstraße gebaut und Fördermaßnahmen für die Erdölgewinnung und den Ausbau der Agroindustrie wurden ergriffen.
Das Großbürgertum des Ostens gelangte 1971 mittels eines Putsches an die Macht. Die Militärdiktatur von Hugo Banzer (1971—1978), die sich auf Günstlingswirtschaft und politische Loyalität stützte, teilte die Ländereien auf. Das brachte besonders im Osten eine willkürliche Konzentration und Anhäufung von Ländereien in den Händen einer Minderheit von hacendados (Großgrundbesitzern), die das Regime unterstützten und den Grundstein für den Großgrundbesitz im bolivianischen Osten legten. Der Staat investierte die Einnahmen aus den Minen in Oruro, Potosí und La Paz in die Landwirtschaft und Viehzucht, in Zucker- und Erdölraffinerien sowie in die Forstwirtschaft.
Während sich die Aufmerksamkeit auf den Osten konzentrierte, wuchs allmählich die Armut im Westen des Landes. Durch die Großzügigkeit der nachfolgenden neoliberalen Regierungen (1989—1993, 1993—1997), die sich aus den heute nicht mehr existierenden Parteien ADN und MIR zusammensetzten oder von der bereits in der Auflösung befindlichen MNR gestellt wurden, konnte die zweite Agrarreform 1996 durchgesetzt werden. Im Zuge dieser Reform wurden forstwirtschaftlich genutzte Flächen in Grundbesitz auf Lebenszeit umgewandelt. Die Regierungskoalition aus MIR, MNR und der Nueva Fuerza Republicana (2002 bis 2005) ermöglichte mit einem neuen Gesetz, dass die Großgrundbesitzer ihren ausgedehnten Grundbesitz absichern konnten.
Der stete Griff in die Staatskasse, um Millionen von Dollar in das landwirtschaftliche Unternehmertum und den Bankensektor fließen zu lassen, ermöglichte Entwicklungsmaßnahmen für den Anbau von Reis, Rohrzucker, Baumwolle und Soja, immer mit dem Ziel, „den Import von Lebensmitteln zu ersetzen” Auf diese Weise ist das agroindustrielle Bürgertum gestärkt worden.
Santa Cruz wurde zum Zentrum der Entwicklung und löste eine starke Zuwanderung aus, die wiederum zu einer starken Ablehnungshaltung bei den Ortsansässigen führte — obwohl klar ist, dass der produktive Sektor in der Region ohne die zugewanderten Arbeitskräfte nicht funktionieren würde.
Mit der Regierung Carlos Mesa (2004) beginnt der aktuelle separatistische Prozess. Da ist zunächst das Referendum vom 18.Juli 2004, bei dem der Export von Erdgas nach Chile ins Spiel gebracht wird und in dem entschieden wird, Präfekten außerhalb des verfassungsmäßigen Rahmens zu wählen und den Weg für die Autonomie der Departements einzuschlagen. Im Januar 2005 unterhält sich Falcoff bei einem Treffen in Santiago de Chile, das von der chilenischen Industrie- und Handelskammer veranstaltet wurde, mit Führungspersönlichkeiten aus Gesellschaft und Wirtschaft von Santa Cruz. An diesem exklusiven Treffen nehmen auch Repräsentanten der Elite Tarijas teil, des Departements mit dem größten Erdgasvorkommen.
Nach dieser Zusammenkunft werden immer mehr autonome Landkreise ausgerufen und die Idee wird geboren, dass Santa Cruz innerhalb des sog. autonomen Halbmonds andere Departements annektieren könnte. Außerdem wird versucht, „Führer des Volkes” aus der Mittelschicht als Verbündete zu gewinnen, und eine Welle von Bürgerstreiks beginnt, mit der Absicht die Regierung Evo Morales zu zermürben.
Die Beziehungen zwischen Regierung und Bourgeoisie haben verschiedene Phasen durchlaufen. Evo Morales, der sich nach den Empfehlungen von Vizepräsident García Linera richtete, gab bei dem Aufruf für das Autonomiereferendum nach, später stellte er sich quer und rief dazu auf, gegen die Autonomie zu stimmen. Hier testete die Rechte, die von den Bürgerkomitees und den Präfekten verkörpert wird, die Grenzen der Regierung aus. Im Folgenden torpedierte sie die Arbeit der Verfassunggebenden Versammlung und versuchte sogar, die Kontrolle über die Nothilfemittel für das Klimaphänomen El Niņo an sich zu reißen.
Im Bildungssektor schrieb sich die Opposition die Verteidigung von Religion, Glauben und privater Bildung auf die Fahnen; auch über die Besetzung der Richterämter am Obersten Gerichtshof wurde gestritten, über das neue Gesetz zur Landreform und über die Verurteilung von Ex-Präsident Gonzalo Sánchez de Lozada. Die Beziehungen der Regierung zu Hugo Chávez, Fidel Castro und später zum Iran standen ebenso im Zentrum der Kritik.
Die bürgerliche Opposition baut auf die Ängste breiter Bevölkerungsschichten, besonders die der gut situierten Mittelklasse. So reden ihre Wortführer in den Massenmedien von einem Plan der Regierung, mit dem die Mittelklasse ausgelöscht werden soll. Die Bürgerkomitees und Präfekten von Santa Cruz schürten Konflikte, kauften Führungspersönlichkeiten, verwirrten die Bevölkerung und machten der Mittelklasse Versprechen, um ihre ökonomische Situation zu verbessern, bis sie schließlich die Bürgerkomitees von sechs Departements kontrollierten und manipulierten oder im Fall Sucre die Hauptstadtfrage thematisierten, um im Gegenzug Unterstützung für das Autonomiebestreben von Santa Cruz zu bekommen.
Rädelsführer der separatistischen Bestrebungen des „Halbmonds” in Santa Cruz sind Rubén Costas Aguilera und Branko Marinkovic. Costas ist Präfekt von Santa Cruz, Agraringenieur und Mitglied der APB, einer 2005 gegründeten Organisation von Agrarunternehmern und Großgrundbesitzern. Er war Vorsitzender der Viehzüchtervereinigung Boliviens, des Milchproduzentenverbands und der Landwirtschaftskammer des Ostens.
Branko Marinkovic, gebürtiger Kroate, ist ein wohlhabender Unternehmer sowie eine der treibenden Kräfte für einen unternehmerisch geprägten „Halbmond” Er ist Gegner des Mercosur und Verfechter eines Freihandelsabkommens mit den USA. Marinkovic ist Teilhaber des einflussreichen Unternehmens Transredes, das zu 50% im Besitz von Enron und Shell ist und bis zu 6000 Kilometer lange Erdgas- und Ölpipelines bis nach Argentinien, Brasilien und Chile betreibt. Der Millionär besetzt außerdem führende Positionen bei der Vereinigung der Privatunternehmer von Santa Cruz, der Banco Económico, der Kammer der Exporteure von Santa Cruz sowie der Soja verarbeitenden Firma Industrias Oleaginosas Limitada (IOL).
Die Aktivitäten des „Halbmonds” werden auf direktem Wege oder über NGOs finanziell von der US-Behörde für Internationale Entwicklung (USAID) und vom National Endowment for Democracy (NED) unterstützt. Pro Jahr werden 89 Mio. US-Dollar investiert..
Das Großbürgertum von Santa Cruz verbarrikadiert sich nun in seiner Region und organisierte für den 4.Mai tatsächlich ein Referendum, um hinter dem Rücken der internationalen Gemeinschaft eine illegale autonome Regierung zu installieren. Die lokale Elite treibt die Spaltung des Landes voran und formt dabei eine eigene Bürgerschaft, stellt eigene lokale Polizeikräfte auf und erteilt sich selber Befugnisse für Bereiche, die bisher in den Kompetenzbereich des Staates fielen, wie z.B. Erziehung, Gesundheit, Zuteilung von Ländereien, Steuern, Bodenschätze. Dieses Vorhaben verschärft den Ausschluss der indigenen Bevölkerung, begrenzt die Rechte der Indígenas im Sinne einer regelrechten „Apartheid”, konsolidiert das System der ungleichen Verteilung von Land und nationalen Reichtümern und versperrt für alle Zeiten die Möglichkeit, eine Landreform in Bolivien durchzuführen.
Gekürzt aus: ILA (Bonn), Nr.315, Mai 2008. Diese Ausgabe von ILA enthält einen 32-seitiges Dossier zu Bolivien (www.ila-web.de).


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