SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2008, Seite 18

Dutschke zurück auf der Straße

Der Kampf geht weiter!

von JOCHEN GESTER

Am 30.April versammelten sich etwa 100 Menschen vor der Zentrale der Axel Springer AG. Sie feierten die Enthüllung der Rudi-Dutschke-Straße, die jetzt den längeren Teil der 273 Jahre alten Kochstraße beerbt.
Man kann diese Straßenumbenennung durchaus als ein Ergebnis des „Langen Marsches” betrachten, der Rudi Dutschke vorschwebte. Nicht als Kriechgang durch die Parlamente, bei dem man den aufrechten Gang verlernt, sondern als einen Prozess, der das Alltagsbewusstseins der Menschen verändert.
Diese Aufgabe hat Dutschke einmal als Tätigkeit eines „gesellschaftlichen Maulwurfs” bezeichnet. Oberhalb der Erdkruste geht alles den von uns Linken in scharfer Form kritisierten Weg. Der Neoliberalismus beherrscht die politische Agenda, und die von ihm geprägten und umdefinierten Begriffe finden sich mehr oder weniger dominierend in sämtlichen Programmen der Parlamentsparteien. Dass DIE LINKE hier keine Ausnahme macht, demonstriert gerade das rot-rote Regierungsbündnis in Berlin.
Und doch gibt es Veränderungen „unter Tage”, im Bewusstsein der Bevölkerung, die deutlicher erkennbar werden, wenn man die aktuelle Situation mit den 60er und auch noch den 80er Jahren vergleicht.
Das Attentat auf Rudi Dutschke am 11.April 1968 geschah in einem politischen Klima, in dem nicht nur die Springerpresse für Pogromstimmung sorgte. Die staatstragenden Parteien der damaligen Frontstadt des Kalten Krieges leisteten auch ihren traurigen Beitrag dazu. Eine denkbar breite Koalition, von den Parteien des Abgeordnetenhauses über die Zentralvereinigung der Berliner Arbeitgeber bis hin zum DGB, mobilisierte die Bevölkerung zu einer Großkundgebung gegen die linken Studenten und den SDS. Klaus Schütz (SPD), damals Regierender Bürgermeister, meinte sagen zu müssen: „Ihr müsst diese Typen sehen. Ihr müsst ihnen genau ins Gesicht sehen. Dann wisst ihr, denen geht es nur darum, unsere freiheitliche Grundordnung zu zerstören."
Diese Frontstellung ist Geschichte. Die beiden ehemaligen großen Volksparteien haben ihre dominierende Rolle verloren. Sie sind immer weniger in der Lage Ergebnisse über 40% zu erreichen. Besonders deutlich zeigt sich das bei der CDU, die mit Richard von Weizsäcker 1981 noch komfortable 48% einfahren konnte. Ihr Wähleranteil bei den Berliner Abgeordnetenhauswahlen lag 2006 noch bei 21,3%. Im Stadtteil Kreuzberg ist die Veränderung der politischen Landschaft am ausgeprägtesten. Konnte die CDU 1981 hier noch 40,1% erreichen, so waren es 2006 gerade noch 8,7%. In einigen Wahlkreisen des Bezirks scheiterte sie an der 5%-Klausel.
Auch in dem Bürgerbegehren für die Offenhaltung des Tempelhofer Flughafens scheiterte die Union am erforderlichen Quorum. Für dieses Kampagnenziel, das der Demontage des SPD-Linken-Senats dienen sollte, hatte sie zusammen mit dem Springerkonzern und wohl auch der IHK viel Geld locker gemacht. Am Ende hat die CDU damit sogar die von ihr verfolgte „Jamaikaoption” beschädigt, weil sie gegen ein grünes Kernthema mobilisiert hat.
Die Durchsetzung der Straßenumbenennung dauerte 3 Jahre. Am 17.Dezember 2004, kurz vor dem 25.Todestag Rudi Dutschkes, stellte die Taz beim Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg den Antrag auf Umbennung. Das Bezirksparlament stimmte mit den Stimmen der Linkspartei und der Grünen dafür. Die SPD stimmte zuerst dagegen. Wenige Monate später schwenkte ihre Bezirksvorsitzende um. Die CDU kündigte ein Bürgerbegehren an; parallel dazu zog eine Interessengemeinschaft von 28 Anrainern der Kochstraße unter Führung der Axel Springer AG vor Gericht. Auf beiden Wegen sind die Gegner einer Straßenumbenennung für Rudi Dutschke gescheitert. Das Oberlandesgericht wies die Klage ab, und eine Mehrheit von 58,4% der Bürger des Bezirks votierte dafür, dass Rudi Dutschke „wieder auf der Straße” ist.
Diese Form der Entscheidungsfindung hätte ihm sicher gefallen. Ob das auch auf die bei der feierlichen Einweihung gehaltenen Reden zutrifft, wissen wir nicht. Die Taz hatte ihren Antrag damit begründet, der neue Straßenname sei „ein Symbol für die gesellschaftliche Versöhnung der Generationen” Auch der jüngste Sohn Dutschkes, Marek, erkennt darin eine Versöhnungsgeste, die den früheren Kampf symbolisch überwinden könne. Harald Wolf und Petra Pau würdigten den Beitrag des Geehrten für die Demokratisierung der bundesdeutschen Gesellschaft. Allein Christian Ströbele gab sich weniger versöhnlich. Er rief: „Entmachtet Springer!”, ja: „Der Kampf geht weiter!” — und erhielt am meisten Applaus.
Die Beauftragten des Springer-Konzerns, dessen Hauptgebäude nun an der Rudi-Dutschke-Straße liegen, die dazu auch noch Vorfahrt vor der kreuzenden Axel-Springer-Straße hat, ließen wenig Hoffnung aufkommen, dass hier ein kritisches Nachdenken über die eigene Verantwortung zu erwarten ist. Die Klägergemeinschaft sah in der Umbenennung nur die Billigung von vor vierzig Jahren begangenen Straftaten und einen Verstoß gegen die Pflicht zur staatlichen Neutralität. Der einzige Bezugspunkt Dutschkes zur Kochstraße ergäbe sich aus der Blockade von Zeitungsauslieferungen im Jahr 1968, die einen offenen Rechtsbruch dargestellt hätten.


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