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Am 30.April versammelten sich etwa 100 Menschen vor der Zentrale der Axel
Springer AG. Sie feierten die Enthüllung der Rudi-Dutschke-Straße, die jetzt den längeren
Teil der 273 Jahre alten Kochstraße beerbt.
Man kann diese Straßenumbenennung
durchaus als ein Ergebnis des „Langen Marsches” betrachten, der Rudi Dutschke vorschwebte. Nicht
als Kriechgang durch die Parlamente, bei dem man den aufrechten Gang verlernt, sondern als einen Prozess,
der das Alltagsbewusstseins der Menschen verändert.
Diese Aufgabe hat Dutschke einmal als
Tätigkeit eines „gesellschaftlichen Maulwurfs” bezeichnet. Oberhalb der Erdkruste geht
alles den von uns Linken in scharfer Form kritisierten Weg. Der Neoliberalismus beherrscht die politische
Agenda, und die von ihm geprägten und umdefinierten Begriffe finden sich mehr oder weniger dominierend
in sämtlichen Programmen der Parlamentsparteien. Dass DIE LINKE hier keine Ausnahme macht, demonstriert
gerade das rot-rote Regierungsbündnis in Berlin.
Und doch gibt es Veränderungen
„unter Tage”, im Bewusstsein der Bevölkerung, die deutlicher erkennbar werden, wenn man die
aktuelle Situation mit den 60er und auch noch den 80er Jahren vergleicht.
Das Attentat auf Rudi Dutschke am 11.April
1968 geschah in einem politischen Klima, in dem nicht nur die Springerpresse für Pogromstimmung sorgte.
Die staatstragenden Parteien der damaligen Frontstadt des Kalten Krieges leisteten auch ihren traurigen
Beitrag dazu. Eine denkbar breite Koalition, von den Parteien des Abgeordnetenhauses über die
Zentralvereinigung der Berliner Arbeitgeber bis hin zum DGB, mobilisierte die Bevölkerung zu einer
Großkundgebung gegen die linken Studenten und den SDS. Klaus Schütz (SPD), damals Regierender
Bürgermeister, meinte sagen zu müssen: „Ihr müsst diese Typen sehen. Ihr müsst
ihnen genau ins Gesicht sehen. Dann wisst ihr, denen geht es nur darum, unsere freiheitliche Grundordnung zu
zerstören."
Diese Frontstellung ist Geschichte. Die
beiden ehemaligen großen Volksparteien haben ihre dominierende Rolle verloren. Sie sind immer weniger
in der Lage Ergebnisse über 40% zu erreichen. Besonders deutlich zeigt sich das bei der CDU, die mit
Richard von Weizsäcker 1981 noch komfortable 48% einfahren konnte. Ihr Wähleranteil bei den
Berliner Abgeordnetenhauswahlen lag 2006 noch bei 21,3%. Im Stadtteil Kreuzberg ist die Veränderung der
politischen Landschaft am ausgeprägtesten. Konnte die CDU 1981 hier noch 40,1% erreichen, so waren es
2006 gerade noch 8,7%. In einigen Wahlkreisen des Bezirks scheiterte sie an der 5%-Klausel.
Auch in dem Bürgerbegehren für die
Offenhaltung des Tempelhofer Flughafens scheiterte die Union am erforderlichen Quorum. Für dieses
Kampagnenziel, das der Demontage des SPD-Linken-Senats dienen sollte, hatte sie zusammen mit dem
Springerkonzern und wohl auch der IHK viel Geld locker gemacht. Am Ende hat die CDU damit sogar die von ihr
verfolgte „Jamaikaoption” beschädigt, weil sie gegen ein grünes Kernthema mobilisiert
hat.
Die Durchsetzung der Straßenumbenennung
dauerte 3 Jahre. Am 17.Dezember 2004, kurz vor dem 25.Todestag Rudi Dutschkes, stellte die Taz beim
Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg den Antrag auf Umbennung. Das Bezirksparlament stimmte mit den Stimmen
der Linkspartei und der Grünen dafür. Die SPD stimmte zuerst dagegen. Wenige Monate später
schwenkte ihre Bezirksvorsitzende um. Die CDU kündigte ein Bürgerbegehren an; parallel dazu zog
eine Interessengemeinschaft von 28 Anrainern der Kochstraße unter Führung der Axel Springer AG vor
Gericht. Auf beiden Wegen sind die Gegner einer Straßenumbenennung für Rudi Dutschke gescheitert.
Das Oberlandesgericht wies die Klage ab, und eine Mehrheit von 58,4% der Bürger des Bezirks votierte
dafür, dass Rudi Dutschke „wieder auf der Straße” ist.
Diese Form der Entscheidungsfindung
hätte ihm sicher gefallen. Ob das auch auf die bei der feierlichen Einweihung gehaltenen Reden
zutrifft, wissen wir nicht. Die Taz hatte ihren Antrag damit begründet, der neue Straßenname sei
„ein Symbol für die gesellschaftliche Versöhnung der Generationen” Auch der
jüngste Sohn Dutschkes, Marek, erkennt darin eine Versöhnungsgeste, die den früheren Kampf
symbolisch überwinden könne. Harald Wolf und Petra Pau würdigten den Beitrag des Geehrten
für die Demokratisierung der bundesdeutschen Gesellschaft. Allein Christian Ströbele gab sich
weniger versöhnlich. Er rief: „Entmachtet Springer!”, ja: „Der Kampf geht
weiter!” und erhielt am meisten Applaus.
Die Beauftragten des Springer-Konzerns,
dessen Hauptgebäude nun an der Rudi-Dutschke-Straße liegen, die dazu auch noch Vorfahrt vor der
kreuzenden Axel-Springer-Straße hat, ließen wenig Hoffnung aufkommen, dass hier ein kritisches
Nachdenken über die eigene Verantwortung zu erwarten ist. Die Klägergemeinschaft sah in der
Umbenennung nur die Billigung von vor vierzig Jahren begangenen Straftaten und einen Verstoß gegen die
Pflicht zur staatlichen Neutralität. Der einzige Bezugspunkt Dutschkes zur Kochstraße ergäbe
sich aus der Blockade von Zeitungsauslieferungen im Jahr 1968, die einen offenen Rechtsbruch dargestellt
hätten.
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