SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2008, Seite 19

Nicht wettbewerbsfähig!

An der Ausrichtung der Hochschulen an Marktkriterien kann die Gesellschaft kein Interesse haben

von TORSTEN BULTMANN

Das moderne Wissenschaftsmanagement folgt zunehmend den Kriterien der privatwirtschaftlichen Verwertbarkeit wissenschaftlicher Forschung. TORSTEN BULTMANN verfolgt den Weg von der bürokratischen zur unternehmerischen Hochschule.

Als der bayerische Wissenschaftsminister Thomas Goppel unlängst nach dem Erfolgsgeheimnis „seiner” Universitäten gefragt wurde, die im bundesweiten „Exzellenzwettbewerb” überdurchschnittlich gut abgeschnitten hatten, erwiderte er: „Wir haben unsere Zeit nicht mit Gruppen-Universitäten und Mitbestimmung verschwendet, sondern uns ganz auf Wissenschaft und Forschung konzentriert” (Forschung & Lehre, Nr.4/06).
Die formale Entgegensetzung von Mitbestimmung und vermeintlicher wissenschaftlicher „Effizienz” bringt die Leitgedanken des aktuellen Hochschulumbaus, wie er in den meisten Bundesländern erfolgt, adäquat zum Ausdruck. Muster für diesen Umbau ist die Konstruktion einer unternehmensähnlichen Entscheidungsstruktur: Alle dirigistischen Kompetenzen konzentrieren sich in der Zentrale (Präsidium, Rektorat), die wiederum von einem externen, aufsichtsratsähnlichen Gremium ("Hochschulrat") abhängig ist.
Im Gegenzug werden die Befugnisse der verbliebenen Gremien einer korporativen Selbstverwaltung — die im begrenzten Umfang eine Mitbestimmung der verschiedenen Gruppen der Hochschule zulässt und für die sich in den 70er Jahren die Bezeichnung „Gruppenuniversität” durchgesetzt hat — nahezu vollständig reduziert. Die aktuellen Konflikte müssen historisch eingeordnet werden, um sie richtig verstehen zu können.
Eine eindeutige und gesellschaftlich konsensfähige Vorstellung davon, was normativ unter „Selbstverwaltung” der Hochschulen zu verstehen ist, gibt es nicht. In dem Begriff „Selbstverwaltung” überschneiden sich mindestens zwei Traditionsstränge. Erstens die Vorstellung einer Selbstverwaltung der Wissenschaft, welche ausschließlich wissenschaftlichen Kriterien, und ausdrücklich nicht wissenschaftsexternen politischen Bestimmungen eines, wie auch immer definierten, gesellschaftlichen Nutzens folgt. Zweitens der genuin politische Gedanke der Mitbestimmung auf der Basis einer (durch Wahlen o.ä.) legitimierten Repräsentation von Interessen in Selbstverwaltungsgremien.
Entsprechende Forderungen wurden im Kontext der Hochschulreform Mitte der 60er Jahre handlungsleitend. Ihnen lag eine — insbesondere von Studierenden und dem akademischen Mittelbau forcierte — Kritik an den autoritären Strukturen der Ordinarienuniversität zugrunde.
Diese Kritik transportierte auch eine Polemik gegen eine professorale Praxis, die mit der Berufung auf die „Freiheit der Wissenschaft” lediglich einen Machtanspruch behauptete (welcher nicht per se „wissenschaftlicher”, sondern durchaus politischer Natur war) bzw. eine Strategie der Immunisierung gegen Kritik verfolgte. Konsequenz dieser Kritik war die Forderung nach Demokratisierung.

Institutionalisierte Kompromisslösungen

Diese Konflikte wurden in der Folgezeit durch Kompromisslösungen institutionalisiert. Das 1973- Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegen die Drittelparität (in der damaligen Bedeutung: gleichberechtigte Repräsentation von Lehrenden, Studierenden und nichtwissenschaftlichem Verwaltungspersonal) in Hochschulgremien gestand einerseits die Vertretung nichtprofessoraler Gruppen in diesen Gremien ausdrücklich zu; gleichzeitig schrieb es eine zwingende Professorenmehrheit in sog. „grundlegenden” Fragen von Forschung, Lehre und Berufung fest und argumentierte, dies sei Ausdruck der „Wissenschaftsfreiheit” bzw. des grundgesetzlichen Wissenschaftsprivilegs (GG Art.5,3). Anders gesagt: Den Professoren wurde juristisch qua Amt eine größere Nähe zur „Wahrheit” bescheinigt.
Dieses durch das BVG-Urteil geprägte Verständnis von „Selbstverwaltung” lag der Erstfassung des Hochschulrahmengesetzes (HRG) im Jahr 1976 zugrunde. Die dadurch konstituierte „Gruppenhochschule” versuchte, unvereinbare Grundsätze bürokratisch zusammenzubinden: Die Entscheidungsdominanz der Professoren mit juristisch garantierten Abstimmungsmehrheiten, die immerhin formale Anerkennung der Interessen anderer Statusgruppen, und das Ganze noch einmal überwölbt von staatlich-juristischer Normierung und Finanzzuteilung. Es war dennoch eine adäquate Form des staatlichen gelenkten Ausbaus der Hochschulen, eingebettet in den größeren Rahmen makroökonomischer Globalsteuerung, der von Ende der 60er bis Mitte der 70er Jahre nach bundesweit einheitlichen Kriterien erfolgte und eine bürokratische Egalität des gesamten Systems garantierte — und „Wettbewerb” im heutigen neoliberalen Verständnis des Wortes ausschlossen.
Dieser Ausbau war spätestens 1977 zu Ende, als auf Beschluss der Ministerpräsidenten die Grundfinanzierung der Hochschulen auch bei wachsenden Studierendenzahlen eingefroren wurde. Das Modell „Gruppenhochschule” war vor diesem Hintergrund nicht mehr entwicklungsfähig, und es begann die kontroverse und lange währende Suche nach neuen Steuerungsformen.
In den 90er Jahren setzte sich dann die Diagnose „Nicht innovationsfähig!” allgemein durch. Das ist vordergründig nicht einmal falsch, kann jedoch mit völlig gegensätzlichen Ursachenanalysen verkoppelt werden. Eine durchaus naheliegende Problembeschreibung: das Haupthindernis kreativer Entwicklung sei ein unzureichende Finanzierung und eine auf halbem Weg steckengebliebene Demokratisierung gewesen, gewann kaum politische Resonanz.
Dominant wurde stattdessen die Diagnose „mangelnder Wettbewerbsfähigkeit” Vor diesem Hintergrund wurde keine Reform des tradierten Modells mehr gefordert, sondern eine gänzliche Neustrukturierung, ein Komplettumbau des Hochschulsystems nach Wettbewerbskriterien. Als Leitbild stand das vom US-amerikanischen Bildungsforscher Burton Clark Mitte der 90er Jahre geprägte Modell der unternehmerischen Hochschule bereit, das zunehmend Eingang in die Wissenschaftsverwaltungen und Hochschulgesetze fand.

Die drei Kernelemente des Umbaus

Der Umbau verbindet — stark vereinfacht — drei verschiedene Handlungsstränge.

1. Die Umstellung der traditionellen auslastungsorientierten Finanzmittelverteilung auf eine Finanzierung nach quantitativ gewichteten Kennziffern der formalen Leistungsmessung. Damit verbunden ist die Inszenierung einer Wettbewerbssituation. Kurz und knapp: In letzter Konsequenz werden keine Studienplätze im Sinne eines gesellschaftlichen Bildungsauftrages mehr finanziert, sondern zählbare Ergebnisse (Studienabschlüsse, Promotionen, eingeworbene Forschungsgelder) in Zeiteinheiten gemessen bzw. belohnt. Das betriebswirtschaftlich grundlegende Motiv der „Zeitersparnis” verselbständigt sich so gegen das qualitative Kriterium eines gesellschaftlichen Nutzens von Wissenschaft.

2. Die zunehmende Entmachtung akademisch-korporativer bzw. interessenpolitisch zugeschnittener Selbstverwaltungsgremien zugunsten einer zentralistischen ("Top-down"-)Entscheidungsstruktur nach dem Muster von Management und Aufsichtsrat.

3. Schließlich die sukzessive (Teil-)Privatisierung der institutionellen Kosten. Hier ist die Debatte um Studiengebühren einzuordnen, aber ebenso der Gedanke, dass je mehr die staatlich finanzierten Strukturen ihre „Wettbewerbsfähigkeit” (gemäß Punkt 1 und 2) unter Beweis stellen, umso mehr private Investoren angelockt werden.
Die Grundphilosophie der „unternehmerischen Hochschule” besteht also darin, die disparaten Entscheidungsstränge traditioneller Hochschulen — akademische Aushandlungen, Interessenvertretung, administrative (Finanz- )Verwaltung usw. — in einem einheitlichen Wissenschaftsmanagement an der Spitze der Hochschule zusammen zu führen, in dessen Agieren sich dann ökonomische und akademische Handlungsmotive bis zur Ununterscheidbarkeit vermischen. Die Konstituierung der Hochschulen als Quasiunternehmen wird als Voraussetzung für eine Wissenschaftsentwicklung im Sinne des Wirtschaftsstandorts Deutschland begriffen.
Von derartigen Erfolgskriterien abweichende gesellschaftliche Interessen an der Entwicklung von Bildung und Wissenschaft — oder auch nur schlichte Erkenntnisinteressen jenseits ökonomischer Rentabilität — sind in letzter Konsequenz in diesem neuen Hochschulmodell nicht mehr repräsentiert.
Entsprechend ernüchternd ist die bisherige „Erfolgsbilanz": Bereits ein flüchtiger Blick auf die Veränderungen der deutschen Hochschullandschaft während der letzen 5—10 Jahre straft die klassische neoliberale Behauptung, Wettbewerb erzeuge Vielfalt und bewirke Qualitätssteigerung, Lügen. Das exakte Gegenteil ist der Fall: Die Haupttendenz ist eine Konzentration wissenschaftlicher Ressourcen in Richtung „Markt” und Mainstream. Unter dem Verdikt „Nicht wettbewerbsfähig!” werden ganze Studienfächer, Forschungs- und Berufungsgebiete eingestellt — keineswegs allein auf dem Gebiet der kritischen Wissenschaft (wenn auch hier besonders stark).
Damit wird aber auch zugleich die thematische Breite wissenschaftlicher Fragestellungen, die etwa im Studium relevant sind, eingeschränkt. Ebenso eingeschränkt wird folglich der potenzielle gesellschaftliche Gebrauchswert, der mögliche Nutzen wissenschaftlicher Qualifikationen gemessen an der gesamten Spannbreite gesellschaftlicher Interessen. An einem solchen Hochschulsystem kann wiederum kein öffentliches Interesse bestehen. Was sich allerdings noch herumsprechen muss.

Der Autor ist Bundesgeschäftsführer des Bundes demokratischer Wissenschaftler.


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