SoZ - Sozialistische Zeitung |
Am Abend des 4.April 1968 wurde Martin Luther King in Memphis (Tennessee)
durch einen gezielten Schuss getötet. Der „Einzeltäter” war schnell gefunden. Erst
1999, über dreißig Jahre nach Kings Ermordung, urteilte ein Geschworenengericht in einer
Zivilklage, Regierungsorganisationen seien an der Verschwörung gegen King beteiligt gewesen. Dennoch
verkündete das US-Justizministerium, es gebe keine ausreichenden Gründe für eine weitere
Untersuchung. Aber wer hätte ernsthaft etwas anderes erwartet nach dem Krieg, den die US-Regierung mit
Hilfe des FBI seit Ende der 50er Jahre gegen den Pfarrer Martin Luther King, den prominentesten Führer
der Bürgerrechtsbewegung, geführt hatte?
Ein Nein änderte den Lauf der
Geschichte. Ausgelöst wurde die Bürgerrechtsbewegung durch eine Frau, die „es einfach nur
satt hatte” sich „zu fügen” Im Dezember 1955, in Montgomery (Alabama), weigert sich
Rosa Parks dem Gesetz zu folgen und fordert damit das rassistische System der USA heraus. Sie fährt von
ihrer Arbeit mit dem Bus nach Hause. Ein weißer Fahrgast steigt ein und sieht, dass kein Platz frei
ist. Der Busfahrer befiehlt den vier schwarzen Fahrgästen, die in der ersten Reihe der Sektion
„für Farbige” sitzen, nach hinten zu gehen.
Es ist das Gesetz der Rassentrennung:
Schwarzen Fahrgästen ist verboten, sich neben Weiße zu setzen. Sie dürfen auch nicht die
Plätze auf der anderen Seite des Ganges einnehmen, solange ein Weißer in der Reihe sitzt. Damit
ein Weißer sich hinsetzen kann, sollen auch an diesem Tag vier Schwarze die Reihe verlassen. Drei von
ihnen stehen widerwillig auf und gehen nach hinten. Rosa Parks rutscht einen Sitz weiter zum Fenster. Der
Busfahrer droht mit der Polizei und fragt, ob sie nicht aufstehen will. Sie antwortet mit ruhiger Stimme
„Nein” Dieses Nein erfasst bald Millionen und ändert den Lauf der Geschichte. Es ist der
Beginn der großen Bürgerrechtsbewegung gegen die Rassentrennung, gegen rassistische Angriffe und
Lynchmorde.
Die Bürgerrechtsorganisation NAACP
hatte im Jahr zuvor einen wichtigen Sieg errungen: Das Oberste Gericht hatte die Rassentrennung in den
Schulen als verfassungswidrig aufgehoben. Doch viele Südstaaten weigerten sich, dieses Urteil
umzusetzen.
Die Rassentrennung war eine Folge von 250
Jahren Sklaverei. Laut Gesetz waren Schwarze keine Personen, sie genossen keine Bürgerrechte.
Dabei hatten in der amerikanischen
Unabhängigkeitserklärung von 1776, der „Geburtsurkunde der Vereinigten Staaten”, die
höchsten revolutionären Ideale der damaligen Zeit ihren Ausdruck gefunden: die Gleichheit der
Menschen, das Recht auf Leben, Freiheit und Streben nach Glück ebenso wie das Recht und die
Pflicht der Unterdrückten, gegen Tyrannei zu rebellieren und sie abzuschaffen.
Schon die US-Verfassung von 1787 aber sprach
einem Schwarzen nur drei Fünftel des Werts eines Menschen zu. Diese Verfassung garantierte die weitere
Einfuhr von Sklaven und forderte, dass jene, die in Regionen ohne Sklaverei geflüchtet waren, zu ihren
Sklavenhaltern zurückgebracht werden müssten. 1857 entschied das Oberste Gericht, Schwarze
hätten keine Rechte, die von Weißen respektiert werden müssten und sie könnten aufgrund
ihrer Minderwertigkeit nicht als Bürger anerkannt werden. Erst der Bürgerkrieg befreite die
Schwarzen 1863 von der Sklaverei. Doch im Süden wurde die Rassentrennung Gesetz. Schwarze durften kein
Eigentum besitzen und nicht wählen. Im Norden wurden sie in Ghettos und schlecht bezahlter Arbeit
marginalisiert.
Über viele Jahre hatten die Schwarzen
versucht, durch Gerichte und Petitionen Gerechtigkeit zu erlangen. Doch solange sie vor allem auf weiße
Verbündete in hohen Ämtern hofften, ging es nur langsam voran. Mit der Weigerung von Rosa Parks
änderte sich dies. Die Zeit war reif geworden. „Als Rosa Parks sitzen blieb, standen die
Schwarzen auf”, resümierte ein New Yorker Stadtrat.
Die große Mehrheit der schwarzen
Bevölkerung in Montgomery boykottierte zwölf Monate lang die Busse und hatte Erfolg: Im
November 1956 erklärte das Oberste Gericht die Rassentrennung im öffentlichen Transport für
verfassungswidrig. Das Bedeutendste an diesem Sieg war die große Einheit, die die Schwarzen im Kampf
gegen die Rassentrennung gewonnen hatten.
Der eloquente Organisator Martin Luther King wurde durch diesen Kampf zum Führer der
Bürgerrechtsbewegung in den Südstaaten und zum Symbol des Kampfes gegen die Rassendiskriminierung,
der sich über das ganze Land ausbreitete.
Im August 1963 hielt King vor 250000
Demonstranten in Washington seine berühmte Rede: „Ich habe einen Traum, dass meine vier kleinen
Kinder eines Tages in einer Nation leben werden, in der sie nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem
Charakter beurteilt werden.” Daraufhin erklärte ihn FBI-Direktor Hoover zum
„gefährlichsten und wirkungsvollsten” schwarzen Führer des Landes. Das FBI ließ
ihn fortan rund um die Uhr beobachten und ließ nichts unversucht, ihn in der Öffentlichkeit zu
diskreditieren und die Bewegung zu spalten.
Doch der Kampf der Schwarzen war nicht
aufzuhalten. Massen setzten sich in Bewegung und leisteten zivilen Ungehorsam, um die Rassentrennung in
allen öffentlichen Einrichtungen wie Schulen, Universitäten und Bibliotheken, Kaufhäusern und
Restaurants aufzuheben. Polizei und faschistischer Pöbel gingen brutal gegen die gewaltlosen
Demonstranten vor. Polizeihunde wurden auf sie gehetzt, Schlagstöcke, Tränengas und Wasserwerfer
gegen Männer, Frauen und Kinder eingesetzt. Tausende wurden verhaftet, einige entführt und
ermordet.
Die Welt wurde Zeuge der Entschlossenheit,
Disziplin und Würde, mit der die Schwarzen gegen alle Hindernisse kämpften, um gleiche Rechte als
Bürger der USA zu erlangen. Ihre Bewegung richtete sich gegen die legale Rassentrennung im Süden
und gegen die Praxis der Rassendiskriminierung im Norden.
Malcolm X, einem muslimischen Prediger und
bekannten schwarzen Führer in den Ghettos des Nordens, ging die Forderung nach Bürgerrechten nicht
weit genug. Er sah in der Weigerung der US-Regierung, Schwarze als Menschen zu sehen, eine Missachtung der
Charta der Vereinten Nationen. Er wollte das Problem des amerikanischen Rassismus vor die UNO bringen und
begann, Vertreter von afrikanischen und arabischen Staaten davon zu überzeugen, das Problem auf die
Tagesordnung der UNO-Vollversammlung zu setzen. Die New York Times berichtete im August 1964, dies habe
große Unruhe im Außen- und Justizministerium der USA ausgelöst: Wenn Malcolm X auch nur einen
UNO-Botschafter für sein Anliegen gewinnen konnte, würden sich die USA in einer ähnlichen
Situation befinden wie Südafrika „oder andere Länder, deren Innenpolitik in der UNO zur
Debatte steht” Sechs Monate später, am 21. Februar 1965, wurde Malcolm X ermordet.
Es war auch die Zeit der wachsenden Opposition gegen den Vietnamkrieg. Martin Luther King stand unter
Druck: Weiße Sympathisanten aus bürgerlichen Kreisen, vor allem in Politik und Medien, warnten ihn
davor, sich in einen Krieg einzumischen, „den die USA gegen den Kommunismus führen” Und
wohlhabendere Schwarze befürchteten, dies könne der Durchsetzung der Bürgerrechte schaden.
Schließlich durchbrach King, was er „den Verrat meines eigenen Schweigens” nannte. Er
wollte nicht länger zusehen, wie schwarze und weiße Amerikaner, die in den Schulen ihres Landes
nicht nebeneinander sitzen durften, in Vietnam „miteinander in brutaler Solidarität die
Hütten eines armen Dorfes niederbrennen”
Die Abschaffung der Apartheidgesetze war
unter seiner Führung erkämpft worden. Doch King ging weiter. Er fragte, was es nütze, wenn
Schwarze zwar das Recht erkämpft hätten, im Restaurant neben Weißen zu sitzen, viele von
ihnen und alle anderen Armen sich aber kein Essen im Restaurant leisten könnten. Er begann die
Fundamente des amerikanischen Systems in Frage zu stellen.
In den schwarzen Ghettos des Nordens
rebellierten die Armen gegen die rassische Unterdrückung. Konfrontiert mit der Gewalt, die von
Washington vor allem gegen die Schwarzen im eigenen Land und gegen die Bevölkerung Vietnams
ausgeübt wurde, erklärte der Mann, der zum Symbol des gewaltlosen Kampfes geworden war, er
könne nicht länger die Gewalt der Unterdrückten kritisieren, solange er zur Gewalt der
eigenen Regierung schweige.
Am 4.April 1967, genau ein Jahr vor seiner
Ermordung, klagte King die US-Regierung als den „größten Gewalttäter in der heutigen
Welt” an. Er appellierte an die US-Soldaten, den Dienst in einem Krieg „auf der Seite der
Wohlhabenden und Gesicherten gegen die Armen” zu verweigern. Kings Kritik richtete sich nicht nur
gegen die Unterstützung der US-Regierung für die südvietnamesische Militärdiktatur,
sondern gegen die Grundlagen der Außenpolitik der USA überhaupt, die im Bündnis mit den
Reichen Kriege gegen die Armen in Asien, Afrika und Lateinamerika führten. Er forderte eine
„Revolution der Werte” Denn wenn „Profitstreben und Eigentumsrechte für wichtiger
gehalten werden als die Menschen, dann wird die schreckliche Allianz von Rassenwahn, Materialismus und
Militarismus nicht mehr besiegt werden können”
Für Martin Luther King war fortan der
Kampf gegen Rassismus, gegen Krieg und soziales Unrecht ein einziger Kampf. Das offizielle Washington war
besorgt. King drohte vom populären Sprecher für die Gleichheit der Schwarzen vor dem Gesetz zum
Sprecher für alle zu werden, die unter sozialem Unrecht und Krieg litten. Er plante die „Kampagne
der Armen”, die im Frühjahr 1968 einen Höhepunkt finden sollte: Eine „Armee der Armen
aller Rassen” sollte nach Washington marschieren und die Stadt und den Kongress mit Massenaktionen des
zivilen Ungehorsams lahmlegen. Die Unterstützung des Streiks der Müllmänner in Memphis sollte
die „Kampagne der Armen” einläuten. Am 5.April wollte Martin Luther King ihren
Protestmarsch anführen.
Eines Tages müsse die Frage gestellt
werden, warum es so viele Arme in Amerika gibt, hatte Martin Luther King erklärt, „wenn wir aber
diese Frage stellen, dann stellen wir die Frage nach dem kapitalistischen System”
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten
und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo
Sozialistische Hefte für Theorie und Praxis Sonderausgabe der SoZ 42 Seiten, 5 Euro, |
||||
Der Stand der Dinge Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität |