SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2008, Seite 04

Altersteilzeit

IGM dreht nur ein kleines Rad

von Jochen Gester

Mehrere 100000 Beschäftigte der Metall- und Elektroindustrie sind dem Aufruf der IG Metall zu Arbeitsniederlegungen gefolgt. Die Kollegen wollen lebend und gesund in die Altersruhe gehen. Momentan erreicht nur knapp die Hälfte arbeitend das 65.Lebensjahr. Der Anteil derer, die in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis das Rentenalter erreichen, variiert je nach Bundesland, zwischen 16,3 und 27,7%. In Branchen mit schwerer körperlicher Arbeit wie auf dem Bau gehen sogar lediglich 10% mit 65 in Rente.
Bei der Altersteilzeit geht es darum, dass man gehen kann, wenn man nicht mehr kann, ohne dass man in Altersarmut rutscht. In den vergangenen Jahren haben sie viele genutzt. Doch eine ganz Große Koalition fast aller im Bundestag vertretenen Parteien will die Regelung auslaufen lassen. Die Agenda 2010 verlangt, dass „Anreize zur Frühverrentung beseitigt werden” Nicht mit 58, 60 oder 62 soll der Rentenbezug beginnen, sondern mit 67. Das sehen über 80% der Beschäftigten in Deutschland anders. Sie wollen spätestens mit 60 raus. Die IGM fordert deshalb ein neues Altersteilzeitgesetz, das flexible Ausstiege ermöglicht.
Die Verhandlungen stecken fest, weil die Arbeitgeber keine Lösung unterschreiben wollen, die den jetzigen Zustand fortschreibt. Eigentlich wollen sie, dass niemand ohne ihre Zustimmung gehen kann. Ihre Formel dafür lautet: Erlaubnis nur für die, die in den letzten 20 Jahren bei der Firma angestellt waren, und davon in den letzten 15 Jahren in 3er-Schicht gearbeitet haben, maximal 2% der Belegschaft. Die IGM-Unterhändler wollen auf jeden Fall sicherstellen, dass die Aufstockungen der Rente durch den Betrieb und die Bundesagentur beibehalten werden und strebt eine Quote von 5% an.
Es sieht gerade nicht danach aus, dass es dazu kommt. Daran ist die Politik der „Realos” im Frankfurter IG-Metall-Vorstand jedoch nicht ganz unschuldig. Sie haben viel getan, um das gewaltige Konfliktpotenzial, das in der Rentenfrage steckt, zu entschärfen. Die vielen Antragsteller für die Rücknahme der Rente mit 67 auf dem Gewerkschaftstag wurden mit der Erklärung ruhiggestellt, nach dem Gewerkschaftstag werde es eine Kampagne gegen die Rente mit 67 geben. Doch die Verantwortlichen um Bertold Huber hatten nie vor, eine solche Kampagne zu führen. Zur Diskussion stehen nur Ausnahmeregelungen für besonders belastete Berufsgruppen. Doch mit dieser exklusiven Strategie beraubt sich die IG Metall des großen gesellschaftlichen Rückhalts, den die Gewerkschaften in dieser Frage haben; denn die Mehrheit der Beschäftigten in den Klein- und Mittelbetrieben kann akzeptable Alterszeitmodelle betrieblich nicht durchsetzen.
Wie keine andere Frage bietet sich für die Unternehmer die Heraufsetzung des Rentenalters an, um das Arbeitskampfrecht in Deutschland zu lockern. Arbeitsniederlegungen, die alle Betroffenen im Auge haben, hätten einen großen gesellschaftlichen Rückhalt und die Gegenseite müsste mit äußerster Vorsicht agieren. Die neoliberalen „Ruck"-Apologeten sehen sich deshalb in vielen Nachbarländern mit hartnäckigem Widerstand konfrontiert. In Griechenland gab es bereits drei Generalstreiks. Auch in Frankreich will sich die Mehrheit der Arbeiterklasse die Rente mit 60 nicht nehmen lassen. Sogar in Österreich hat es gewaltig geknallt. Aber hierzulande traut sich die Führung der IG Metall kein Veto zu, obwohl ein Renteneintrittsalter von 67 Jahren in Europa einmalig hoch ist. Die Zeit, in der die IG Metall in Europa eine Vorreiterrolle spielte, scheint Lichtjahre entfernt.


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