SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2008, Seite 05

Milchstreik — der Streit um die Quote

Milch nach Bedarf produzieren

Maria Heubuch erklärt die Forderungen der Milchbauern

"Was nützen billige Verbraucherpreise, wenn die Produktionen mit Subventionen über Wasser gehalten werden? Staaten sind dafür verantwortlich, dass die Menschen nicht nur Arbeit haben, sondern auch von dieser Arbeit ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Dann können alle faire Preise bezahlen — überall beim Einkaufen."
So sprach Maria Heubuch am 26.5. auf der Kundgebung der Milchbauern in Freising. Ende Mai führten die Milchbauern in mehreren Ländern Europas eine spektakuläre Aktion durch: sie traten in einen Milchstreik. Warum und was sie damit wollten, darüber sprach Angela Klein mit der Bundesvorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft.
Maria Heubuch bewirtschaftet einen Milchviehbetrieb im Allgäu. Der Familienbetrieb hat 30 Hektar Grünland, 10 Hektar Wald und 40 Kühe mit Nachzucht.
Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) ist eine bäuerliche Interessenvertretung, die für eine nachhaltige Landwirtschaft im Sinne einer sozial- und umweltverträglichen Landwirtschaft sowie für entsprechende Rahmenbedingungen eintritt.
Der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) ist der Zusammenschluss der Milchbauern in Deutschland.
Die Molkereien sind zum größten Teil in der Dachorganisation der deutschen Molkereiwirtschaft, dem Milchindustrie-Verband (MIV), zusammengeschlossen.

Die Milchbauern haben mit ihrem Milchstreik einen spektakulären Kampf hingelegt. Wieviele haben denn mitgemacht?

Wir rechnen 60—70%. Wenn wir davon ausgehen, dass wir noch 100000 Milchbauern in Deutschland haben, wären das 60000—70000.

Hat man das in den Supermärkten gespürt?

Das war nach Geschäften und Tagen unterschiedlich. Es war immerhin so spürbar, dass es auch in der Presse kam: In der Berliner Zeitung stand ein Artikel mit einem Foto, das leere Regale gezeigt hat. Vielfach haben wir festgestellt, dass zwar Milch da war, aber nicht mehr in den Mengen. Die Regale sahen voll aus, aber es war alles nach vorne gerückt.

Gab es denn Streikbrechermilch?

Auf jeden Fall. Ich kann mich dabei aber nur auf das verlassen, was beim Streikstammstisch von den Verantwortlichen berichtet wurde. Es kam wohl Milch aus Tschechien, aus Weißrussland, es wurde versucht, Milch aus England zu holen, das wissen wir von Speditionen, die angefragt wurden...
Die Molkereien waren natürlich auch vorbereitet. In meinen Augen haben die es auf den Milchstreik angelegt, die wollten‘s wissen: Machen die Bauern das tatsächlich oder nicht? Sie haben die Situation zugespitzt, indem sie Gespräche gegenüber dem BDM abgelehnt haben. Sie haben also gewusst, dass das kommt. Die Molkereien haben sich vorab eingedeckt mit Ware aus Österreich, aus Holland und Belgien. Sie haben nicht damit gerechnet, dass in diesen Ländern die Bauern mitmachen, mindestens teilweise, was dann die Folge gehabt hat, dass die Regale in Holland und Belgien eher leer waren als in Deutschland, obwohl die Streikbeteiligung dort geringer war.

Wer sind Ihre Hauptgegner in dieser Auseinandersetzung: die Molkereien oder die Lebensmittelketten?

Ich sehe es so, dass es erst einmal unsere Molkereien sind. Das hat der Milchstreik doch gezeigt: Die Molkereien haben nicht eingelenkt, der Einzelhandel hat eingelenkt. Wenn die Molkereien auf unserer Seite stehen würden, wie sie immer sagen, hätten sie doch den Druck, der von den Bäuerinnen und Bauern gekommen ist, durchreichen können an den Einzelhandel und nicht alles in Bewegung setzen, um aus jeder Ecke Europas die Milch hierherzufahren. Sie haben alles getan, die Bauern auseinander zu bringen, und sie haben noch den letzten Liter Milch aufgetrieben, in Qualitäten, die wir niemals liefern dürften.

Wie kann das sein? Das sind doch Genossenschaften, wenigstens zum großen Teil. Die handeln dann doch gegen die Interessen ihrer eigenen Mitglieder?

Das sehe ich auch so. 75% unserer Milch wird genossenschaftlich verarbeitet. Man muss aber sehen, was aus unseren Genossenschaften geworden ist. Wenn Sie z.B. die Nordmilch anschauen, das sind gigantische Unternehmen, Konzerne zum Teil, die nicht mehr die Bindung an die Bauern haben. Und dann sind es vielfach auch keine Genossenschaften mehr. In der Regel ist der Aufbau so, dass die Bauern in Liefergenossenschaften zusammengeschlossen sind, diese Genossenschaften dann aber meist in einer GmbH zusammen gefasst werden. Die wirtschaftende Molkerei ist häufig eine GmbH, die Nordmilch inzwischen sogar eine Aktiengesellschaft, und die einzelnen Genossenschaften sind die Gesellschafter dieser GmbH. Das wird deshalb gemacht, weil eine Genossenschaft im Handel sehr eingeschränkt ist. Das hat einen gewissen Sinn...
Die Bauern haben da nur noch begrenzten Einfluss. Da gibt es zwar Gremien, aber das sind solche Wirtschaftsunternehmen geworden, das muss man lernen, was da betriebswirtschaftlich abgeht. Ich weiß nicht, ob alle Vorstände die Ausbildung dafür haben. Sie sind darauf angewiesen, was ihnen die Geschäftsführer über die Wirtschaftlichkeit sagen; das machen die Geschäftsführer in ihrem eigenen Sinne, nicht in dem ihrer Mitglieder. Das zeigt die lange Erfahrung, die wir haben.

Wie wollen Sie das ändern? Sie wehren sich dagegen, dass die EU Ihre Milchquoten erhöht. Sie wehren sich gleichzeitig dagegen, dass die Milchquoten überhaupt abgeschafft werden?

Das ist richtig.

Von außen scheint das ein Widerspruch. Was ist denn die richtige Quote, wie wollen Sie die denn ermitteln?

Man wirft uns jetzt vor, die Bauern schreien nach Planwirtschaft. Das sei dumm, wir haben doch freie Marktwirtschaft. Wir haben aber Planwirtschaft; eine Quote ist Planwirtschaft. Aber wir haben eine Quote, die sich gegen uns gerichtet hat, weil sie immer höher gelegen hat als der europäische Verbrauch. Vom ersten Tag an hatte die Quote keinen positiven Sinn für uns Bauern.
Was die Milchbauern jetzt wollen, ist das Instrument der Milchquote als politisches Instrument erhalten, es aber zu einer flexiblen Quote machen. Das bedeutet, dass man den Markt beobachten muss, viertel- oder halbjährlich, das muss man sehen, und die Quote jeweils anpassen muss. Wenn der Markt weniger Milch aufnehmen kann, dann muss man den Bauern ermöglichen, dass sie ein halbes oder ein Prozent weniger produzieren — die Schwankungen sind immer relativ gering. Die politischen Instrumente für ein solches Verfahren sind da, man muss sie nur anders nutzen. Das ist dann am Bedarf der Bevölkerung im Handelsraum EU orientiert.
Jetzt produzieren wir nicht am Bedarf orientiert. Jetzt ist die Quote relativ beliebig, die EU hat sie zudem aufgestockt und sie will sie noch weiter aufstocken, um sie bis 2015 auszuhebeln. Solange ist das Instrument festgeschrieben. Das systematische Aufstocken heißt aber, dass systematisch der Markt überlaufen wird. Zum einen bedeutet das niedrigere Preise, zum anderen aber auch, dass die Milch in Europa gar nicht mehr verkauft werden kann, sondern zu Dumpingpreisen auf anderen Märkten verkauft wird.

Sie sind gegen den Export von Milch außerhalb der EU, in Form von Milchpulver und so?

Da stellen wir uns massiv dagegen, denn das macht uns kaputt... In den letzten zehn Jahren haben wir uns in Deutschland halbiert. Vor zehn Jahren gab es noch fast 200000 Milchbauern, jetzt noch knapp 100000. Und es hat gleichzeitig unsere Kolleginnen und Kollegen z.B. in Afrika dezimiert. Es kann doch nicht sein, dass ich etwas zu einem Preis produziere, von dem ich nicht leben kann, und gleichzeitig meinen Kolleginnen in Burkina Faso den Hunger damit aufzwinge.

Die Unabhängige Bauernstimme hat die Rede veröffentlicht, die Sie in Freising gehalten haben. Darin haben Sie gesagt, Sie haben auch versucht die Solidarität von nichtbäuerlichen Organisationen einzufordern.

Die haben wir auch gekriegt.

Was sind das für welche und wie sieht die Solidarität aus?

Das war Brot für die Welt, Germanwatch, Fian und Misereor — letztere hat in Freising auch gesprochen. Die wissen genau, was in Europa zuviel produziert wird, auf welchen Märkten das landet und welchen Schaden das anrichtet. Das waren aber auch Umweltschutzverbände wie der BUND. Die sagen: Wenn die Bauern zu Dumpingpreisen produzieren müssen, können wir ihnen in Bezug auf die Umwelt auch nichts mehr abverlangen; denn so billig wie möglich geht auf Kosten der Umwelt. Sie üben Solidarität dadurch, dass sie das in die Öffentlichkeit tragen.
Weitere Solidarität haben wir von ganz vielen Firmen erfahren, die mit uns Milchbauern zu tun haben, z.B. Landmaschinenproduzenten. Im vergangenen Jahr, als die Bauern einen höheren Preis erzielen konnten, haben sie gemerkt, dass die Bauern ihren Investitionsstau abgearbeitet haben: Viele Jahre war nicht investiert worden, weil kein Geld mehr rein kam. Aber die Maschinen gehen nun einmal kaputt und müssen ersetzt werden. Letztes Jahr, als wir mehr Milchgeld hatten, haben viele Bauern wieder eingekauft. Jetzt haben die Bauern wieder kein Geld. Jetzt haben diese Firmen Milch aufgekauft und sie an ihre Mitarbeiter zu einem fairen Preis, also erhöhten Preis, verkauft und die Differenz an den BDM gespendet. Andere haben ihre Mitarbeiter aufgerufen: Kauft jetzt ordentlich Milch, um ihnen deutlich zu machen: Wenn ihr euren Arbeitsplatz behalten wollt, dann müssen die Bauern auch ihre Arbeitsplätze erhalten.
Es kamen Solidaritätsbezeugungen von Tierärzten, von den Rinderzuchtvereinen, Besamungsstationen... Die wissen alle ganz genau: Wenn der Strukturwandel im bäuerlichen Bereich so weitergeht, dann wird er auch sie treffen; das trifft auch Arbeitplätze in diesem Bereich. Es kam unheimlich viel, wir waren ganz erstaunt, was für Ideen die entwickelt haben...

Der Milchstreik ist auch bei der städtischen Bevölkerung auf große Sympathie gestoßen, weil die Menschen merken, was es bedeutet, dass die Preise überall steigen, und weil sie selber immer weniger in der Tasche haben, können sie sich vorstellen, was es bedeutet, wenn die Bauern für ihre Milch nichts bekommen.

Das ist ein Grund; ich glaube aber, es gibt noch einen anderen. Man merkt, es laufen viele Dinge in unserer Gesellschaft schief und es dividiert sich alles immer stärker auseinander: die, die noch einen guten Job haben, denen geht es gut, die anderen müssen immer mehr kämpfen; Firmen bespitzeln ihre eigenen Leute, Konzernchefs sahnen unheimlich ab, während unten keine Löhne mehr bezahlt werden. Dieses Missverhältnis zieht sich durch alle Schichten der Gesellschaft.

Wie wollen Sie Ihren Forderungen denn Gehör verschaffen?

Im Moment laufen Gespräche mit dem BDM, mit dem Milchindustrie-Verband, und es laufen parallel in anderen europäischen Ländern Gespräche von den verbündeten Milchorganisationen, die im Europäischen Milchboard (EMB) zusammengeschlossen sind. Das ist jetzt ein Weg, den wir Stück für Stück gehen müssen. Wir brauchen da einen langen Atem. Wir werden auch immer wieder Aktionen machen müssen, damit die Politiker merken, dass es den Bauern ernst ist.

Koordinieren Sie Ihre Aktionen europaweit?

Wir haben unseren Milchstreik im EMB abgesprochen. Der fasst die Vereine der Milchbauern aus Frankreich, Italien, der Schweiz, Österreich, Deutschland, Schweden Holland, Luxemburg, Belgien, Dänemark, Tschechien, Spanien zusammen. Die Verbände arbeiten schon seit einigen Jahren zusammen; der EMB wurde vor zwei Jahren gegründet, daran war auch der BDM beteiligt. Die AbL ist dort gleichfalls Mitglied. Auch die Kampagne „Faire Milch” wird vom EMB getragen.
Kein Einzelstaat kann in Europa für sich eine eigene Marktpolitik entwickeln. Wir haben einen europäischen Markt mit europäischen Regeln, auf dem müssen wir uns zurechtfinden.


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