SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2008, Seite 15

Streik der Fischer

In ganz Europa protestieren Fischer gegen den teuren Diesel

von Angela Huemer

Neben dem teuren Treibstoff macht den Fischern mehr und mehr auch die Überfischung zu schaffen — ein ganzer Berufsstand wird in Frage gestellt.
Nachdem im Mai die französischen Fischer gegen die hohen Dieselpreise protestiert hatten, streikten Anfang Juni auch die Fischer in Spanien, Portugal und Italien. Seit Anfang dieses Jahres ist der Preis für einen Liter Diesel um 30% gestiegen, in den letzten fünf Jahren sogar um rund 300%. Derzeit kostet ein Liter Treibstoff für die Fischer etwa 80 Cent. Wie wirkt sich der Dieselpreis konkret aus?
Der größte Fischereihafen Italiens ist die westsizilianische Stadt Mazara del Vallo mit einer Flotte von rund 300 Schiffen. Um heutzutage mit einem mittelgroßen Boot auf Fischgang zu gehen — also rund 30 Tage auf dem Meer zu bleiben — muss man allein für den Treibstoff 30000 Euro berappen, das sind 60% der Gesamtkosten.
Während sich landesweit in Italien rund 2000 Fischer am Streik beteiligten, nahmen die Fischer von Mazara daran kaum teil, da die meisten Boote ihrer Flotte auf mehrwöchigem Fischfang, bzw. an ausländische Firmen für den Thunfischfang „vermietet” waren.
Ende Mai fand in Mazara eine Konferenz der Fischereiminister Ägyptens, Libyens, Tunesiens und Maltas statt. Veranstalter war der „Distretto produttivo della pesca”, eine der örtlichen Fischereivereinigungen. Ziel der Tagung war eine engere Zusammenarbeit über das Mittelmeer hinweg — hier lockt natürlich auch eine mögliche Kooperation hinsichtlich billigeren Treibstoffs mit Ölförderländern wie Libyen. In Mazara hat diese Kooperation eine Jahrtausende alte Tradition: Tunesien liegt fast näher als Festlanditalien, die Araber haben deutliche architektonische Spuren in der Stadt hinterlassen, und rund ein Drittel der 50000 Einwohner sind heute tunesischer Herkunft — viele von ihnen sind im Fischereisektor tätig.

Fermo biologico

Die Streiks der Fischer haben einen positiven Nebeneffekt: Die Fischbestände erhalten zumindest kurzzeitig die Möglichkeit sich zu erholen. Viel zu lange, erzählt Gaspare Tumbiolo, ein junger Reeder aus Mazara, wurden die Warnungen vor zu engmaschigen Netzen und dem daraus resultierenden Mitfischen von Jungfischen in den Wind geschlagen. Eigentlich wäre ein vollständiger sog. „fermo biologico” angesagt, d.h. ein totaler Fischereistopp für ein bis zwei Jahre. In diese Richtung geht auch der gemeinsame Forderungskatalog, den die Minister für Agrikultur- und Fischereiwesen der Länder Italien, Frankreich, Griechenland, Portugal, Spanien, Slowenien und Malta Mitte Juni in Venedig aufstellten. Unter anderem fordern sie mehr Geld für den europäischen Fischereifonds und eine Beteiligung der EU an den sozialen Ausgleichszahlungen, die einen temporären Fischereistopp ermöglichen würden. Zudem sollen jenen Fischern Anreize geboten werden, die aufhören wollen.
Die bereits spürbar gewordene Fischknappheit in europäischen Gewässern führt zunehmend dazu, dass in fremden Gewässern gefischt wird. Während die Japaner Thunfisch aus dem Mittelmeer fischen, streckt die größte Fischereiflotte Europas, Spanien, ihre Fühler nach Westafrika aus. Die reichen Fischgründe Westafrikas werden zunehmend leergefischt, den einheimischen Fischern Senegals und Mauretanien dadurch die Lebensgrundlage entzogen. Allein aus den Gewässern Mauretaniens werden jährlich Shrimps, Hummer, Thunfisch, Makrelen u.a. im Wert von 600 Mio. Euro gezogen. Im Gegenzug erhält Mauretanien 86 Mio. Euro, die aber nicht bei den Fischern ankommen, deren Lebensgrundlage somit verloren geht.

Fischzucht

Eine der Folgen des zunehmenden Fischmangels ist die vermehrte Fischzucht. Ein Fischer aus Palermo bringt es auf den Punkt: „Das Meer ist nicht mehr das, was es einmal war, und unser Beruf des Fischers stirbt gemeinsam mit ihm.” Um den hohen Fischbedarf sicherzustellen, werden nun immer mehr Fischsorten in hochtechnologisierten Riesenkäfigen herangezogen; was bereits seit langem mit Austern, Karpfen und Lachs praktiziert wird, geschieht nun auch mit dem Wolfsbarsch und dem Goldbrassen. Diese Fische werden in riesigen Käfigen vor der Küste automatisch — im Idealfall — mit biologisch-gesundem Futter versorgt und dann, wenn sie groß genug sind, „geerntet” Fast hat es den Anschein, als ob der Fischer aus Palermo Recht hat und einer der ältesten Berufe nach und nach verschwindet. Doch vorerst sind die Streiks beigelegt, die Fischer warten erst einmal das EU-Ministertreffen am 24.Juni ab.


Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo

  Sozialistische Hefte 17   Sozialistische Hefte
für Theorie und Praxis

Sonderausgabe der SoZ
42 Seiten, 5 Euro,

Der Stand der Dinge
Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge   Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken   Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus   Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus   Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden   Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität





zum Anfang