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Am 18.Juni billigte das EU-Parlament mit der Mehrheit der konservativen und
liberalen Parteien die von den Innenministern der Mitgliedstaaten beschlossene Richtlinie. Sie enthält
keine Regelungen zur Legalisierung von Ausländern ohne gesicherten Status und orientiert Politik und
Behörden auf Abschiebung.
Als Hohn auf den diesjährigen Tag des
Flüchtlings am 20.Juni erscheint die neue Abschieberichtlinie der EU. Ihre zentrale Ansage besteht
darin, unliebsame Ausländer künftig länger ins Gefängnis zu stecken, damit sie besser
abgeschoben werden können. Das war in den meisten europäischen Ländern bislang nur für
wenige Tage möglich sozusagen eine behördliche Vorgriffsmaßnahme, wenn eine
Abschiebung unmittelbar bevorstand. Jetzt hat Europa das deutsche Modell übernommen, nach dem die
Inhaftierung bis zu eineinhalb Jahren dauern darf. Solche Gefängnisaufenthalte müssen durch kein
Gerichtsverfahren legitimiert werden. Sie werden von Amts wegen verfügt. Haftbeschwerden sind zwar
möglich, über sie entscheidet jedoch ein einzelner Haftrichter auch hier findet kein
ordentliches Gerichtsverfahren statt.
Die neue Abschieberichtlinie geht auf
deutsche Initiative zurück. Innenstaatssekretär Peter Altmaier (CDU) zeigte sich erfreut:
„Wir haben im Sinne Deutschlands erreicht, dass die Abschiebungen von denen, die wir loswerden wollen,
in Zukunft erleichtert werden."
Zu denen, die die europäischen
Ausländerpolitiker und -behörden „loswerden” wollen, gehören undokumentiert
eingereiste Arbeitsmigranten, Ausländer, die ihr Besuchsvisum überzogen haben, und abgelehnte
Asylbewerber. Menschen, die vor Umweltkatastrophen oder Hungersnöten fliehen und schon deshalb nicht
als asylberechtigt gelten, zählen ebenso zu den künftigen Haftkandidaten. Schuldlos ins
Gefängnis zu kommen also wie strafrechtlich schuldig Gesprochene behandelt und inhaftiert zu
werden ist der ihnen vorgezeichnete Weg, wenn sie wagen, sich in die europäischen Demokratien
aufzumachen.
Wenige Tage nach der Verabschiedung der
Abschieberichtlinie durch die EU-Innenminister meldete sich der Präsident Boliviens, Evo Morales, zu
Wort. Sein Schreiben veröffentlichte wenig später die bolivianische Botschaft in Berlin. Es
trägt den Titel „Eine Direktive der Schande” und verdient es, länger zitiert zu
werden, nicht nur, weil es die Europäer an ihre eigene Geschichte von Flucht und Migration erinnert:
"Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs war
Europa ein Kontinent von Emigranten. Dutzende Millionen Europäer gingen nach Amerika, als
Kolonisatoren, vertrieben von Hunger, Finanzkrisen, Kriegen oder auf der Flucht vor totalitären Regimen
und der Verfolgung ethnischer Minderheiten. Die europäischen Migranten, ihr Hab und Gut sowie ihre
Rechte wurden bei uns immer respektiert. Heute ist die Europäische Union das Hauptziel der Migranten
der Welt. Der Grund ist der gute Ruf der Europäischen Union als Region von Prosperität und
öffentlichen Freiheiten. Die Migranten kommen mehrheitlich in die EU, um zu dieser Prosperität
beizutragen, nicht um sich ihrer zu bedienen. Sie wirken bei öffentlichen Arbeiten mit, in der
Baubranche, im Bereich der Dienstleistungen und in Krankenhäusern. Sie übernehmen meist
Tätigkeiten, die Europäer nicht ausüben können oder wollen."
Der wirtschaftliche Beitrag der Migranten
für ihre Heimatländer ist in der Tat bedeutsam: Die zugelassenen wie die undokumentierten
sog. illegalen Migranten haben im Jahr 2006 allein nach Lateinamerika 68 Milliarden US-Dollar
überwiesen, das Doppelte der ausländischen Investitionen in diesen Ländern. In Bolivien
machen diese Überweisungen mehr als 10% des Bruttoinlandsprodukts aus.
Die Abschieberichtlinie widerspräche aber auch mehrfach der Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte von 1948, unterstreicht Morales:
"Was das Schlimmste ist: Es wird die
Möglichkeit geschaffen, Mütter und Minderjährige, ohne ihre familiäre oder schulische
Situation zu berücksichtigen, in Internierungszentren einzusperren. Die Folgen sind Depressionen,
Hungerstreiks und Selbstmorde. Wie können wir tatenlos akzeptieren, dass Mitbürger und
lateinamerikanische Brüder ohne Papiere in Lagern eingepfercht werden? Und das, obwohl sie mehrheitlich
seit Jahren dort gearbeitet haben und integriert sind. Auf welcher Seite besteht heute die Pflicht zu
humanitärer Einmischung?"
Dass sich ein ausländisches
Staatsoberhaupt in dieser Weise mit der Abschiebepolitik der Europäischen Union auseinandersetzt, ist
bislang einmalig. Aber offensichtlich dringend geboten. Denn die Kritik der UNO-Flüchtlingsorganisation
UNHCR, sämtlicher Menschenrechtsorganisationen, Kirchen und Flüchtlingsverbände in Europa
verhallt ohnmächtig. Selbst die Ärzteschaft, die nach dem Willen der deutschen
Ausländerpolitik zu Hilfsbeamten bei gesundheitlich bedrohlichen Abschiebungen werden soll, kommt seit
Jahren mit ihrem Protest nicht durch. Erneut hat der 111.Deutsche Ärztetag im Mai erklären
müssen, man werde sich dem amtlichen Konzept „Ärzte für Flugmedizin” verweigern.
Danach sollen Ärzte Abschiebungen besonders von Kranken und Suizidgefährdeten begleiten und dem
Rauswurf einen humanen Anstrich geben. Man werde, so der Ärztetag, berufsrechtlich gegen Mediziner
vorgehen, die sich entgegen den ethischen Grundsätzen ärztlichen Handels für dieses Konzept
missbrauchen lassen.
Nach dem EU-Beschluss wird solche
zivilgesellschaftliche Gegenwehr noch dringlicher, aber sicher nicht leichter werden.
Vielleicht hilft es in dieser Situation,
sich der Grundsätze globaler Solidarität zu erinnern, an die Evo Morales appelliert. Dem
engstirnigen Blick europäischer Innenpolitiker stellt er die überlebensnotwendige Weitsicht auf
die Probleme des Planeten gegenüber:
"Die Welt, ihre Kontinente, ihre Ozeane
und ihre Pole sind von Problemen belastet: die globale Erwärmung, die Verschmutzung, der langsame aber
sichere Verbrauch der Energieressourcen und die bedrohte Biodiversität. Hunger und Armut wachsen in
allen Ländern und schwächen unsere Gesellschaften. Die Migranten, ob mit oder ohne Papiere, zu
Sündenböcken für diese globalen Probleme zu machen, ist keine Lösung."
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