SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2008, Seite 20

Linke: Die LCR erfindet sich neu

Vom Trotzkismus zum Sozialismus des 21.Jahrhunderts

von Angela Klein

Die französische Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) will sich zu Ende dieses Jahres auflösen und eine Neue Antikapitalistische Partei bilden, die sich nicht mehr als trotzkistisch versteht.
Was tut man als revolutionäre Organisation, wenn man mit 2000 bis 2500 Mitglieder bei den Präsidentschaftswahlen über 4% der Stimmen bekommt — wie es der LCR im Jahr 2002 geschah? „Um Himmels willen nicht darauf sitzen bleiben” — wie die andere trotzkistische Organisation, Lutte Ouvrière es tat, als sie 1995 und 2002 bei den Präsidentschaftswahlen über 5% kam; im Jahr 2002 verband sie das mit der Losung „Für eine Partei der Arbeiter” Aber es blieb alles beim Alten; organisatorisch tat sich nichts. 2007 wurde diese Partei der extremen Linken, die seit 1974 immer weitaus respektablere Wahlergebnisse einfahren konnte als die LCR, dafür abgestraft: sie fiel mit 1,3% weit hinter die LCR (4,1%) zurück und hat ihre größte Anziehungskraft verloren.
Andererseits: Ein neues politisch- organisatorisches Projekt zaubert man nicht aus dem Hut. Es müssen eine ganze Menge Bedingungen zusammen kommen, und man muss eine Gelegenheit, die sich bietet, auch erkennen und am Schopfe packen.
Das scheint die LCR derzeit zu tun. Die französische Sektion der IV.Internationale ist eine ihrer größten Organisationen; vergleichbar große Sektionen gibt es sonst nur noch in Asien. Diese Internationale ist aus der Oktoberrevolution heraus, als linke Opposition zur Führung um Stalin entstanden, die sie verfolgt hat und versucht hat, sie politisch wie physisch zu liquidieren. Zeit ihres Bestehens von ihrer Gründung 1938 an bildete ein Dreisatz ihre programmatische Grundlage: die antikapitalistische Revolution im Westen; die antibürokratische Revolution in den Ländern des sog. Ostblocks; und die antikoloniale Revolution in den Ländern des Südens. Mit dem Fall der Mauer und der kapitalistischen Restauration in Osteuropa verlor dieser Dreisatz ein Bein; die sozialistische Demokratie blieb jedoch als übergreifende Zielsetzung erhalten.
Gleichzeitig durchläuft die traditionelle Arbeiterbewegung grundlegende Veränderungen: Die KPs mit Massenanhang konnten sich, vor allem im Westen, von der Niederlage nicht erholen und sinken in Ländern wie Frankreich, Italien und Spanien in die Bedeutungslosigkeit ab. Massenanhang behaupten sie in Europa nur noch in Griechenland, Portugal und in der Tschechischen Republik, jeweils mit einem eher „orthodoxen” und vor allem nationalistischen Profil.
Parallel dazu vollzieht sich der Niedergang der sozialdemokratischen Parteien, deren Mehrheitsströmungen sich zunehmend an die Erfordernisse des neoliberal gewendeten Kapitalismus anpassen und ihre Bindungen an die Gewerkschaften und die Lohnabhängigen in den Betrieben zusehends verlieren. Ein Teil dieser Strömung mausert sich zu einer neuen bürgerlichen Kraft, wie in Italien die Demokratische Partei.
Und noch ein dritter Wandel ist in vollem Gang: die soziale Zusammensetzung der Arbeiterklasse selbst. Ihre Bastionen in den Großbetrieben der Metallindustrie, der chemischen Industrie und im Öffentlichen Dienst werden durch Outsourcing, Produktionsverlagerungen und Privatisierung nach und nach geschleift; die junge Generation ist durchgängig mit Lohndumping, befristeten Beschäftigungsverhältnissen und prekären Existenzbedingungen konfrontiert, die auch die Gewerkschaftsbewegung vor völlig neue Herausforderungen stellt.
Es ist nur logisch, dass sich diese tiefgreifenden Veränderungen irgendwann auch politisch niederschlagen. Doch ist dies, ebenso wie die Erneuerung der Gewerkschaftsbewegung, ein langsamer Prozess, der zudem in den verschiedenen europäischen Ländern ungleich verläuft.
Es ist eine Besonderheit der IV.Internationale, dass die Mehrzahl ihrer Organisationen nach dem Bruch 1989 die Konsequenz gezogen hat: Die historische Periode, die mit der Oktoberrevolution eröffnet wurde, ist beendet; mit dem Fall der Sowjetunion ist dieser historische Bezugspunkt nicht mehr gegeben. Das bedeutet nicht, dass die Lehren, die diese Strömung aus dem Scheitern der großen Traditionslinien der Arbeiterbewegung im 20.Jahrhundert gezogen hat, nun obsolet wären. Doch sind sie in einer sozial wie politisch sehr veränderten Situation völlig neu durchzubuchstabieren.
Die LCR hat den Vorteil, dass sie in Frankreich dafür außergewöhnliche Bedingungen vorfindet: eine radikale Linke, die sich vornehmlich in zwei Organisationen trotzkistischen Ursprungs konzentriert, eine gesellschaftliche Verankerung hat und politisch handlungsfähig ist; und eine soziale Situation, die geprägt ist von einer seit 1995 anhaltenden Welle sozialer Kämpfe, in denen mehr und mehr die junge Generation die Hauptrolle spielt. Seit Beginn dieses Jahrhunderts, und insbesondere seit ihrem spektakulären Wahlerfolg 2002, hat sich die LCR stark verändert. Nicht nur ihre Mitgliederzahl hat sich verdoppelt, es hat auch die nachwachsende Generation die Führung übernommen; diese hat andere Ansprüche an den Wirkungsgrad und an die politische Kultur der Organisation. Im Interview auf der folgenden Seite erläutert dies ihr bekanntester Vertreter, Olivier Besancenot.
Der Platzvorteil ist zugleich auch ein Nachteil: Für das Unterfangen, eine sozialistische Bewegung des 21.Jahrhunderts auch für Europa zu entwickeln, findet die LCR in Frankreich keinen ebenbürtigen politischen Partner. Wenn sie sich verändern will, muss sie sich selbst neu erfinden, und das ist schwer. Dennoch hat die Kampagne für die neue Partei großen Erfolg: In mehreren hundert großen und kleinen Städten gibt es Gründungskomitees; man rechnet damit, dass die neue Partei mit 10000 Mitgliedern anfangen wird.
Die LCR geht ihre Aufgabe von vornherein mit Blick auf Europa an. Eine der Veränderungen der letzten 20—25 Jahre ist ja, dass mit zunehmender (kapitalistischer) europäischer Integration jede Vorstellung, grundlegende soziale, wirtschaftliche oder ökologische Probleme könnten noch im Rahmen eines Nationalstaats gelöst werden, obsolet geworden ist. Der Aufbau einer neuen politischen Kraft, für die die LCR den Begriff Neue Antikapitalistische Partei geprägt hat, muss von vornherein als europäisches Projekt angelegt werden.
Zu diesem Zweck hat die LCR Ende Mai zu einem europäischen Treffen nach Paris eingeladen. 30 Organisationen aus 16 Ländern (Ost- und Westeuropa) sind der Einladung gefolgt. Sie deckten ein Spektrum ab, das von KP-Abspaltungen reicht, die sich für die radikale Linke öffnen, über Organisationen, die aus der Fusion unterschiedlicher politischer Strömungen hervorgegangen sind, bis hin zu Sektionen der IV.Internationale. Aus Deutschland waren u.a. Vertreter der BASG (Berlin), der Antikapitalistischen Linken in der Partei DIE LINKE sowie der Interventionistischen Linken (IL) anwesend.
Mehr als ein Kennenlernen konnte es zunächst nicht sein. Zwei Dinge wurden jedoch sehr hoch gehängt:
die Notwendigkeit gemeinsamer Aktionen auf europäischer Ebene — man einigte sich fürs erste auf eine gemeinsame Mobilisierung anlässlich des 60.Jahrestags der NATO im April 2009;
und die Notwendigkeit der strikten politischen und organisatorischen Unabhängigkeit von der Sozialdemokratie.


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