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Die französische Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) will sich zu
Ende dieses Jahres auflösen und eine Neue Antikapitalistische Partei bilden, die sich nicht mehr als
trotzkistisch versteht.
Was tut man als revolutionäre
Organisation, wenn man mit 2000 bis 2500 Mitglieder bei den Präsidentschaftswahlen über 4% der
Stimmen bekommt wie es der LCR im Jahr 2002 geschah? „Um Himmels willen nicht darauf sitzen
bleiben” wie die andere trotzkistische Organisation, Lutte Ouvrière es tat, als sie 1995
und 2002 bei den Präsidentschaftswahlen über 5% kam; im Jahr 2002 verband sie das mit der Losung
„Für eine Partei der Arbeiter” Aber es blieb alles beim Alten; organisatorisch tat sich
nichts. 2007 wurde diese Partei der extremen Linken, die seit 1974 immer weitaus respektablere
Wahlergebnisse einfahren konnte als die LCR, dafür abgestraft: sie fiel mit 1,3% weit hinter die LCR
(4,1%) zurück und hat ihre größte Anziehungskraft verloren.
Andererseits: Ein neues politisch-
organisatorisches Projekt zaubert man nicht aus dem Hut. Es müssen eine ganze Menge Bedingungen
zusammen kommen, und man muss eine Gelegenheit, die sich bietet, auch erkennen und am Schopfe packen.
Das scheint die LCR derzeit zu tun. Die
französische Sektion der IV.Internationale ist eine ihrer größten Organisationen;
vergleichbar große Sektionen gibt es sonst nur noch in Asien. Diese Internationale ist aus der
Oktoberrevolution heraus, als linke Opposition zur Führung um Stalin entstanden, die sie verfolgt hat
und versucht hat, sie politisch wie physisch zu liquidieren. Zeit ihres Bestehens von ihrer Gründung
1938 an bildete ein Dreisatz ihre programmatische Grundlage: die antikapitalistische Revolution im Westen;
die antibürokratische Revolution in den Ländern des sog. Ostblocks; und die antikoloniale
Revolution in den Ländern des Südens. Mit dem Fall der Mauer und der kapitalistischen Restauration
in Osteuropa verlor dieser Dreisatz ein Bein; die sozialistische Demokratie blieb jedoch als
übergreifende Zielsetzung erhalten.
Gleichzeitig durchläuft die
traditionelle Arbeiterbewegung grundlegende Veränderungen: Die KPs mit Massenanhang konnten sich, vor
allem im Westen, von der Niederlage nicht erholen und sinken in Ländern wie Frankreich, Italien und
Spanien in die Bedeutungslosigkeit ab. Massenanhang behaupten sie in Europa nur noch in Griechenland,
Portugal und in der Tschechischen Republik, jeweils mit einem eher „orthodoxen” und vor allem
nationalistischen Profil.
Parallel dazu vollzieht sich der Niedergang
der sozialdemokratischen Parteien, deren Mehrheitsströmungen sich zunehmend an die Erfordernisse des
neoliberal gewendeten Kapitalismus anpassen und ihre Bindungen an die Gewerkschaften und die
Lohnabhängigen in den Betrieben zusehends verlieren. Ein Teil dieser Strömung mausert sich zu
einer neuen bürgerlichen Kraft, wie in Italien die Demokratische Partei.
Und noch ein dritter Wandel ist in vollem
Gang: die soziale Zusammensetzung der Arbeiterklasse selbst. Ihre Bastionen in den Großbetrieben der
Metallindustrie, der chemischen Industrie und im Öffentlichen Dienst werden durch Outsourcing,
Produktionsverlagerungen und Privatisierung nach und nach geschleift; die junge Generation ist
durchgängig mit Lohndumping, befristeten Beschäftigungsverhältnissen und prekären
Existenzbedingungen konfrontiert, die auch die Gewerkschaftsbewegung vor völlig neue Herausforderungen
stellt.
Es ist nur logisch, dass sich diese
tiefgreifenden Veränderungen irgendwann auch politisch niederschlagen. Doch ist dies, ebenso wie die
Erneuerung der Gewerkschaftsbewegung, ein langsamer Prozess, der zudem in den verschiedenen
europäischen Ländern ungleich verläuft.
Es ist eine Besonderheit der
IV.Internationale, dass die Mehrzahl ihrer Organisationen nach dem Bruch 1989 die Konsequenz gezogen hat:
Die historische Periode, die mit der Oktoberrevolution eröffnet wurde, ist beendet; mit dem Fall der
Sowjetunion ist dieser historische Bezugspunkt nicht mehr gegeben. Das bedeutet nicht, dass die Lehren, die
diese Strömung aus dem Scheitern der großen Traditionslinien der Arbeiterbewegung im
20.Jahrhundert gezogen hat, nun obsolet wären. Doch sind sie in einer sozial wie politisch sehr
veränderten Situation völlig neu durchzubuchstabieren.
Die LCR hat den Vorteil, dass sie in
Frankreich dafür außergewöhnliche Bedingungen vorfindet: eine radikale Linke, die sich
vornehmlich in zwei Organisationen trotzkistischen Ursprungs konzentriert, eine gesellschaftliche
Verankerung hat und politisch handlungsfähig ist; und eine soziale Situation, die geprägt ist von
einer seit 1995 anhaltenden Welle sozialer Kämpfe, in denen mehr und mehr die junge Generation die
Hauptrolle spielt. Seit Beginn dieses Jahrhunderts, und insbesondere seit ihrem spektakulären
Wahlerfolg 2002, hat sich die LCR stark verändert. Nicht nur ihre Mitgliederzahl hat sich verdoppelt,
es hat auch die nachwachsende Generation die Führung übernommen; diese hat andere Ansprüche
an den Wirkungsgrad und an die politische Kultur der Organisation. Im Interview auf der folgenden Seite
erläutert dies ihr bekanntester Vertreter, Olivier Besancenot.
Der Platzvorteil ist zugleich auch ein
Nachteil: Für das Unterfangen, eine sozialistische Bewegung des 21.Jahrhunderts auch für Europa zu
entwickeln, findet die LCR in Frankreich keinen ebenbürtigen politischen Partner. Wenn sie sich
verändern will, muss sie sich selbst neu erfinden, und das ist schwer. Dennoch hat die Kampagne
für die neue Partei großen Erfolg: In mehreren hundert großen und kleinen Städten gibt
es Gründungskomitees; man rechnet damit, dass die neue Partei mit 10000 Mitgliedern anfangen wird.
Die LCR geht ihre Aufgabe von vornherein mit
Blick auf Europa an. Eine der Veränderungen der letzten 2025 Jahre ist ja, dass mit zunehmender
(kapitalistischer) europäischer Integration jede Vorstellung, grundlegende soziale, wirtschaftliche
oder ökologische Probleme könnten noch im Rahmen eines Nationalstaats gelöst werden, obsolet
geworden ist. Der Aufbau einer neuen politischen Kraft, für die die LCR den Begriff Neue
Antikapitalistische Partei geprägt hat, muss von vornherein als europäisches Projekt angelegt
werden.
Zu diesem Zweck hat die LCR Ende Mai zu
einem europäischen Treffen nach Paris eingeladen. 30 Organisationen aus 16 Ländern (Ost- und
Westeuropa) sind der Einladung gefolgt. Sie deckten ein Spektrum ab, das von KP-Abspaltungen reicht, die
sich für die radikale Linke öffnen, über Organisationen, die aus der Fusion unterschiedlicher
politischer Strömungen hervorgegangen sind, bis hin zu Sektionen der IV.Internationale. Aus Deutschland
waren u.a. Vertreter der BASG (Berlin), der Antikapitalistischen Linken in der Partei DIE LINKE sowie der
Interventionistischen Linken (IL) anwesend.
Mehr als ein Kennenlernen konnte es
zunächst nicht sein. Zwei Dinge wurden jedoch sehr hoch gehängt:
die Notwendigkeit gemeinsamer Aktionen
auf europäischer Ebene man einigte sich fürs erste auf eine gemeinsame Mobilisierung
anlässlich des 60.Jahrestags der NATO im April 2009;
und die Notwendigkeit der strikten
politischen und organisatorischen Unabhängigkeit von der Sozialdemokratie.
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