SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2008, Seite 23

Cajo Brendel: Die Revolution ist keine Parteisache.

Ausgewählte Schriften, Münster: Unrast-Verlag, 2008, 320 Seiten, 18 Euro

Der Unrast-Verlag plant die Herausgabe einer Reihe über „Dissidenten der Arbeiterbewegung”, die der sozialdemokratische Mainstream und sein „marxistisch-leninistischer Zwilling” zu Kritikern ihrer Arbeiterbewegung werden ließen. Die Herausgeber hoffen, dass die Illusionslosigkeit und Klarheit der Texte Hilfestellungen geben können, in einer Zeit in der in Deutschland soziale Kämpfe wieder auf der Tagesordnung stehen.
Der erste Band der Reihe ist dem 2007 verstorbenen holländischen Linkskommunisten Carlo Brendel gewidmet. Brendel radikalisierte sich in der Weltwirtschaftskrise und stieß 1934 zu der von den Theoretikern Anton Pannekoek und Hermann Gorter geprägten „Gruppe Internationaler Kommunisten” Der Titel des Buches Die soziale Revolution ist keine Parteisache entstammt einer Schrift von Otto Rühle, der damit eine frühe Kritik formulierte, wie die Hauptströmungen der Arbeiterbewegung den Parteibildungsprozess der Klasse begriffen.
Im Mittelpunkt des Buches stehen sowohl bekannte als auch erstmals ins Deutsche übersetzte Aufsätze. Der Linkskommunismus hatte seine politische Hochzeit in revolutionären Situationen, in der sich die Arbeiterklasse selbständig in Räten organisieren konnte und sich Menschen Dinge zutrauten, an die sie im Alltag nicht zu träumen wagten. Hier deckten sich die theoretischen Vorstellungen des Rätekommunismus am ehesten mit der realen Praxis des Klassenkampfes. Doch auch bei der Analyse von Streikbewegungen der Arbeiterklasse in nichtrevolutionären Zeiten zeigt sich Carlo Brendel als gut informierter Beobachter, nicht nur in Aktionen, an denen er selbst teilnahm oder mit den Akteuren das Gespräch suchte, sondern auch bei Bewegungen, die er nur von fern beurteilen konnte.
Exemplarisch für Brendels Sichtweise ist seine Darstellung des Arbeiteraufstands in der DDR 1953 als proletarische Klassenbewegung. Einen breiten Raum nimmt die Beurteilung der russischen und der chinesischen Revolution ein, die nach dem Ende des sog. Realsozialismus und der Niederlage der Kulturrevolution in China erneut einen neuen Reiz hat. Für Brendel und die Linkskommunisten stand eine proletarische Revolution aufgrund der unterentwickelten Klassenverhältnisse weder in Russland noch in China auf der Tagesordnung. Auch wenn die Geschichte dort keineswegs den bekannten Gang nehmen musste, spricht ihr Ergebnis durchaus für Brendels Analyse. Am Ende entstand eine autoritäre Entwicklungsdiktatur mit der Lohnarbeit als Basis. Die Rolle der bolschewistischen Partei ähnelt darin der der Jakobiner in der französischen Revolution. Für die Linkskommunisten ist der Sozialismus dagegen im Kern ein sozialer Prozess, in dem die Arbeiterklasse die Produktionsmittel wirklich vergesellschaftet und sich damit auch als Klasse aufheben kann. Diese Aufgabe kann ihr keine Partei abnehmen und auch kein Staat, dessen Aufgaben die Gesellschaft selber übernehmen muss.
In der Konsequenz interessieren sich Brendel und Genossen auch viel mehr für Bewegungen, in denen sich neue Ansätze der Selbstorganisation der Klasse herausbilden, als für den Aufbau politischer Parteien, die auf Stellvertreterlogik und den Staat fixiert sind. Durchaus von aktuellem Wert sind Brendels Beobachtungen des Eisenbahnerstreiks in Holland 2000, bei denen die Arbeiter eigene kollektive Strukturen schufen, um sich den Streikverlauf nicht von den Gewerkschaftsvorständen aus den Händen nehmen zu lassen. Bei der berechtigten Abgrenzung von politischen Avantgarden und gewerkschaftlichen Apparaten, die oft wenig Interesse daran haben, das selbständige Denken und Handeln der Arbeiter zu fördern, scheint mir Brendel allerdings eine etwas realitätsfremde Vorstellung davon zu entwickeln, wie revolutionäres Handeln entsteht. So schreibt er in seinem Aufsatz über den Arbeiteraufstand 1953 in der DDR: „Wir erkennen daraus, dass es im Klassenkampf nicht drauf ankommt, was die Arbeiter über ihre eigene Aktionen denken, sondern dass es nur darum geht, was die Arbeiterklasse ist und was sie aus diesem Grund gezwungen ist zu tun."
Das erweckt den Eindruck, als besitze die Arbeiterklasse bereits den Bauplan für eine andere Gesellschaft wie ein genetischer Code, der sich selbst entfalten wird, wenn es an der Zeit ist und ihn politische Beeinflussungen von außen daran nicht hindern. Aus der Lage der Arbeiterklasse ergibt sich jedoch nicht notwendig emanzipatives Klassenhandeln. Ob und wie gehandelt wird, ist auch das Ergebnis politischer Einflussnahme „von außen” Die kann von anderen in einem Konflikt steckenden Arbeiter kommen, oder von außen stehenden, unterstützenden Arbeitern, die bereits wichtige „Voraus"erfahrungen gemacht haben, oder auch von Leuten, die über Ideen und Kenntnisse verfügen, die außerhalb des Erfahrungshorizonts der kämpfenden Akteure liegen. Und natürlich bleiben die vielfältigen Kanäle der Einflussnahme durch die herrschende Ordnung immer präsent. So fügt sich das zusammen, „was die Arbeiter über ihre Aktionen denken”, ob sie daran teilnehmen oder nicht, ob sie an ihren Erfolg glauben und was sie sich dabei vornehmen. Die Dynamik der Aktion kann das beeinflussen, aber nicht grundsätzlich infrage stellen.

Jochen Gester


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