SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2008, Seite 24

"Power to the People"

John Lennon und Yoko Ono im Gespräch mit Robin Blackburn und Tariq Ali

John Lennon, geb. 1940 in Liverpool, ermordet 1980 in New York. Sänger und Gitarrist der Beatles (1957—70), der neben Paul McCartney die meisten ihrer Stücke komponiert hat. Er kämpfte leidenschaftlich für Bürgerrechte und gegen den Vietnamkrieg. 1966 traf er zum ersten Mal die japanische Happening-Künstlerin und künftige Lebensgefährtin Yoko Ono. Im Jahr 1966 reisten die Beatles für einige Wochen nach Indien. Hier kam Lennon vorübergehend in Kontakt zu Cannabis und LSD und zur Hare-Krishna-Bewegung. Das hier gekürzt wiedergegebene Gespräch führten Tariq Ali und Robin Blackburn für die britische trotzkistische Zeitung Red Mole mit John Lennon und Yoko Ono am 21.Januar 1971, ein Jahr nach der Trennung der Beatles.

Tariq Ali (TA): Dein letztes Album [John Lennon/Plastic Ono Band] und deine jüngsten Aussagen, vor allem die Interviews in Rolling Stone, lassen annehmen, dass du die Welt zunehmend radikaler und politischer betrachtest. Wann hat das angefangen?

John Lennon (JL): Ich habe immer politisch gedacht und war gegen den Status quo. Wenn du so aufgewachsen bist wie ich, liegt es nahe, die Polizei als natürlichen Feind zu hassen und zu fürchten und die Armee als etwas zu verachten, das Leute aus ihrer Umgebung reißt und sie dann irgendwo tot zurücklässt. Das ist einfach eine Sache der Arbeiterklasse, wenngleich eine solche Einstellung mit dem Alter nachlässt, wenn du Familie hast und vom System geschluckt wirst.
Ich war nie unpolitisch, wenngleich die Religion diese Haltung in meiner harten Zeit, etwa 1965 oder 1966, verdeckt hat. Diese Religion war direkt das Resultat dieser ganzen Superstar-Scheiße, sie war ein Ventil gegen meine Unterdrückung. Ich dachte: „Es gibt doch noch was anderes im Leben; das ist doch sicher nicht alles."
Aber irgendwie war ich immer politisch. In meinen beiden Büchern gibt es viele Seitenhiebe gegen die Religion, auch wenn sie in einem Jargon à la James Joyce geschrieben sind, und es gibt ein Stück über einen Arbeiter und einen Kapitalisten. Von Kindheit an habe ich das System verspottet. In der Schule habe ich Zeitschriften gemacht und verteilt.
Ich war sehr klassenbewusst und in dieser Hinsicht sehr sensibel, weil ich wusste, was mit mir geschah, und ich die Klassenunterdrückung wahrnahm. Es ist eine beschissene Tatsache, aber in der stürmischen Welt der Beatles ging das verloren und eine Zeitlang hatte ich mich von der Realität entfernt.

TA: Warum war eure Art der Musik so erfolgreich?

JL: Man dachte damals, dass die Arbeiter einen Durchbruch geschafft hätten. In der Rückschau verstehe ich, dass sie genauso betrogen wurden wie zuvor die Schwarzen. Diese durften dann irgendwann Läufer oder Boxer oder Entertainer werden. Und jetzt gibt es den Ausweg, ein Popstar zu werden, davon handelt „Working Class Hero” Die Macht aber haben immer noch dieselben Leute. Das Klassensystem hat sich überhaupt nicht verändert. Viele Leute laufen zwar jetzt mit langen Haaren herum. Aber es hat sich nichts geändert, außer dass wir uns alle ein bisschen aufgestylt haben, aber dieselben Bastarde haben weiter alles in der Hand.

Robin Blackburn (RB): Die Klassenfrage haben die amerikanischen Rockgruppen bislang natürlich noch nicht aufgegriffen.

JL: Weil sie alle bürgerlich sind und das nicht zeigen wollen. Sie haben Angst vor den Arbeitern, weil diese in Amerika hauptsächlich rechts zu sein scheinen und an ihrem Besitz kleben. Aber wenn diese Mittelschichtgruppen begreifen, was passiert und was das Klassensystem gemacht hat, ist es an ihnen, die Leute wieder zurückzuholen, sie aus dieser bürgerlichen Scheiße rauszuholen.

TA: Wann hast du angefangen, aus der Rolle auszubrechen, die man dir als Beatle aufgedrückt hat?

JL: Auch in der Hoch-Zeit der Beatles habe ich das versucht, ebenso auch George [Harrison]. Wir waren einige Male in Amerika und [Manager Brian] Epstein hat uns stets davor gewarnt, etwas zum Vietnamkrieg zu sagen. Doch irgendwann haben wir uns gesagt: „Wenn sie uns das nächste Mal fragen, werden wir sagen, dass wir diesen Krieg nicht mögen und dass sie sich zurückziehen sollen.” Und das taten wir auch. Zu der Zeit war das eine ziemlich radikale Sache, besonders für die „Fab Four” Das war die erste Gelegenheit, wo ich persönlich ein wenig Flagge gezeigt habe.
In gewisser Weise das zweite politische Ding, das ich gemacht habe, war zu sagen: „Die Beatles sind größer als Jesus.” Das hat die Szene wirklich gespalten. Dafür wäre ich in Amerika beinahe erschossen worden. Für all die Kids, die uns gefolgt sind, war das ein großes Trauma. Bis dahin gab es diese unausgesprochene Art, auf heikle Fragen nicht zu antworten. Das Wissen darum, was vor sich ging, führte dazu, dass ich mich dafür schämte, nichts dazu zu sagen. Ich brach aus, weil ich dieses Spiel nicht mehr mitspielen konnte, es war einfach zu viel für mich. Nach Amerika zu gehen, hat diesen Druck auf mich noch verstärkt, besonders während dieser Krieg lief. In gewisser Weise waren wir so etwas wie ein Trojanisches Pferd. Die Fab Four gelangten an die Spitze und sangen dann über Sex und Drogen, und ich kam auf immer heftigere Sachen, und da haben sie angefangen, uns fallen zu lassen.

TA: Du hast auch über Politik nachgedacht, als du über die Revolution hergezogen bist?

JL: Tja, „Revolution” Von dem Song gab es zwei Versionen, aber die Linke hat sich nur die eine rausgegriffen, wo es hieß: „Ohne mich!” Die ursprüngliche Version, die auch auf der LP ist, sagt: „Ich bin dabei!” Ich habe beide genommen, weil ich mir nicht sicher war. Es gab eine dritte Version, die war richtig abstrakt, konkrete Musik. Ich dachte, ich male in Klängen ein Bild der Revolution — aber ich beging einen Fehler, denn es war Anti-Revolution.

RB: Politik und Kultur sind miteinander verknüpft. Arbeiter werden derzeit von Kultur unterdrückt, nicht durch Waffen...

JL: ...sie werden betäubt...

RB: Die Kultur, die sie betäubt, kann ein Künstler annehmen oder durchbrechen...

JL: Das versuche ich auf meinen Alben und in diesen Interviews. Ich versuche alle Leute zu beeinflussen, die ich beeinflussen kann. Alle, die noch Träume und ein großes Fragezeichen im Kopf haben.

RB: Es wurden sogar in der Vergangenheit schon Beatles-Songs mit neuen Texten versehen. Von „Yellow Submarine” bspw. gibt es mehrere Versionen. Eine von Streikenden gesungene fing an mit „We all live on bread and margarine” An der London School of Economics sangen wir „We all live in a Red LSE”

JL: Das gefällt mir. Ich mochte es auch, wenn in unserer Anfangszeit Fußballfans sangen „All together now” Ich freute mich auch darüber, dass die Friedensbewegung in Amerika „Give peace a chance” übernahm, weil ich es wirklich mit dieser Absicht geschrieben hatte. Ich hoffte, dass sie statt „We shall overcome” aus dem 19.Jahrhundert etwas Zeitgenössisches haben würden. Ich fühlte mich damals sogar verpflichtet, ein Lied zu schreiben, das die Leute im Pub oder auf einer Demonstration singen würden. Deshalb würde ich jetzt gerne Songs für die Revolution schreiben...

RB: Wir haben nur wenige revolutionäre Lieder, und sie sind im 19.Jahrhundert entstanden. Siehst du irgendetwas in unserer musikalischen Tradition, das für revolutionäre Songs zu verwenden wäre?

JL: Als ich anfing, war Rock and Roll die grundlegende Revolution für Leute meines Alters und meiner Situation. Wir brauchten etwas, das laut und klar war, um alles Unbehagen und die Unterdrückung, die wir als Kids erlebt haben, zu durchbrechen. Anfangs imitierten wir bewusst die Amerikaner. Aber wir tauchten ein in ihre Musik und fanden, dass sie zur Hälfte weiße Country and Western Music und zur Hälfte schwarzer Rhythm and Blues war. Die meisten Songs kamen aus Europa und Afrika und nun kamen sie zu uns zurück. Viele von Dylans besten Songs stammten aus Schottland, England oder Irland. Das war ein kultureller Austausch.
Ich muss allerdings sagen, dass mich die schwarzen Songs am meisten interessierten, weil sie einfacher waren. Sie konnten sich intellektuell nicht so ausdrücken, so mussten sie mit wenigen Worten sagen, was ihnen geschah. Dann gab es noch den City Blues, und vieles davon drehte sich um Sex und Gewalt. Vieles davon war Ausdruck der eigenen Persönlichkeit; erst in den letzten Jahren haben sie sich mit Hilfe von Black Power ausgedrückt. Davor arbeiteten sich viele schwarze Sänger noch an Gott ab; es hieß oft: „Gott wird uns retten.” Aber die ganze Zeit sangen die Schwarzen direkt und unverblümt über ihren Schmerz und auch über Sex, und deshalb mag ich dies.

RB: Du sagst, dass Country and Western Music aus europäischen Folksongs entstand. Sind diese Songs nicht ein ziemlich grässliches Zeug mit ihrem Gejammer über Verlust und Niederlagen?

JL: Als Kids waren wir alle gegen Folksongs, weil sie so bürgerlich waren. Folkmusic — das sind meist Leute mit sonorigen Stimmen, die etwas Altes und Totes am Leben erhalten wollen. Es ist alles ein bisschen langweilig, wie Ballett: ein Minderheitending, von einer Minderheit am Leben gehalten. Der Folksong von heute ist Rock and Roll. Auch wenn er aus Amerika kommt, ist das am Ende nicht wirklich wichtig: Wir schrieben unsere eigene Musik und das änderte alles.

RB: Dein Album, Yoko, scheint moderne Avantgardemusik mit Rock zu verschmelzen. Du integrierst Alltagsklänge, wie die eines Zuges, in ein musikalisches Muster. Damit scheinst du ein ästhetisches Maß an das Alltagsleben anzulegen — ein Beharren darauf, dass Kunst nicht in Museen und Galerien eingemauert werden sollte?

Yoko Ono (YO): Genau. Ich möchte die Leute anstacheln, dass sie ihre Unterdrückung lösen, indem ich ihnen etwas gebe, womit sie arbeiten, worauf sie bauen können. Sie sollten nicht davor zurückschrecken sich selbst zu schaffen. Im Grunde gibt es auf der Welt zwei Arten von Menschen: Diejenigen, die selbstsicher sind, weil sie wissen, dass sie schöpferische Fähigkeiten besitzen, und diejenigen, die demoralisiert sind, die sich nichts zutrauen, weil man ihnen die schöpferische Fähigkeit abgesprochen und ihnen gesagt hat, dass sie nur Anweisungen folgen sollen. Das Establishment mag Leute, die keine Verantwortung übernehmen und sich nicht selbst respektieren können.

RB: Ich nehme an, darum geht es bei der Arbeiterkontrolle...

JL: Haben sie nicht so etwas in Jugoslawien versucht? Ich würde gerne dorthin fahren und mir anschauen, wie das funktioniert.

TA: Ja, das haben sie. Sie haben tatsächlich versucht, mit dem stalinistischen Muster zu brechen. Aber statt eine Arbeiterkontrolle ungehindert zu erlauben, haben sie eine starke Dosis politischer Bürokratie hinzugefügt, welche die Initiative der Arbeiter tendenziell untergrub. Außerdem haben sie das ganze System mit einem Marktmechanismus reguliert, der zu neuer Ungleichheit zwischen den einzelnen Regionen führte.

JL: Es scheint, dass alle Revolutionen mit einem Personenkult enden — auch die Chinesen scheinen eine Vaterfigur zu brauchen. Ich denke, dies geschieht auch in Kuba mit Che und Fidel. In einem westlichen Kommunismus müssten wir ein nahezu imaginäres Bild der Arbeiter von sich selbst als Vaterfigur schaffen.

RB: Das ist eine ziemlich coole Idee — die Arbeiterklasse wird zu ihrem eigenen Helden — solange es nicht zu einer neuen vertröstenden Illusion führt, solange es eine wirkliche Arbeitermacht gibt... Wenn ein Kapitalist oder Bürokrat dein Leben beherrscht, dann brauchst du als Entschädigung Illusionen.

YO: Die Leute müssen sich selbst vertrauen.

TA: Das ist der entscheidende Punkt. Der Arbeiterklasse muss ein Gefühl von Selbstvertrauen beigebracht werden. Das kann nicht nur durch Propaganda geschehen — die Arbeiter müssen sich bewegen, die Fabriken selber übernehmen und den Kapitalisten sagen, dass sie abhauen sollen. Im Mai 1968 in Frankreich hat so etwas schon angefangen... Die Arbeiter haben angefangen ihre eigene Stärke zu spüren.

JL: Aber die Kommunistische Partei war dem nicht gewachsen?

RB: Genau. Mit 10 Millionen streikenden Arbeitern hätten sie eine der gewaltigen Demonstrationen, die damals im Zentrum von Paris stattfanden, in eine massive Besetzung aller Regierungsgebäude und -einrichtungen verwandeln und so De Gaulle durch eine neue Institution der Volksmacht wie die Kommune oder die ursprünglichen Sowjets ersetzen können. Damit hätte eine wirkliche Revolution begonnen, aber die französische KP hatte Angst davor. Sie zog ein Abkommen an der Spitze vor, statt die Arbeiter zu ermutigen, selbst die Initiative zu ergreifen...

JL: Aber da gibt es hier in Großbritannien ein Problem. Alle Revolutionen geschahen, wenn Intellektuelle wie Fidel oder Marx oder Lenin fähig waren, zu den Arbeitern vorzudringen. Sie sammelten Leute um sich herum, und die Arbeiter schienen zu verstehen, dass sie unterdrückt wurden. Aber hier sind sie noch nicht aufgewacht, sie glauben noch, dass Autos und Fernseher die Antwort sind.
Wir müssen versuchen die jungen Arbeiter zu erreichen, denn sie sind am idealistischsten und haben die wenigste Furcht. Irgendwie müssen die Revolutionäre die Arbeiter erreichen, denn die Arbeiter werden nicht von sich aus auf die Revolutionäre zugehen. Aber es ist schwer zu sagen, wo man anfangen soll. Mein Problem ist, dass ich, während ich mich der Realität genähert habe, mich von den meisten Leuten der Arbeiterklasse entfernt habe. Heute kaufen die Studenten unsere Platten, nicht die Arbeiter. Die Beatles sind jetzt nach ihrer Trennung vier einzelne Leute, und wir haben nicht den Einfluss, den wir zusammen hatten.

RB: Jetzt schwimmst du gegen den Strom der bürgerlichen Gesellschaft, was viel schwieriger ist.

JL: Ja, sie besitzen alle Zeitungen und sie kontrollieren den Vertrieb und die Werbung... Mir scheint, dass die Studenten halbwegs dazu bereit sind, ihre Brüder in der Arbeiterklasse aufzuwecken. Wenn man sein eigenes Bewusstsein nicht weitergibt, versiegt es wieder. Deshalb ist es so wichtig, dass die Studenten mit den Arbeitern zusammenkommen und sie davon überzeugen, dass das was sie sagen kein Geschwafel ist. Direkt mit ihnen zu sprechen ist der einzige Weg, besonders mit den jungen Arbeitern. Mit ihnen müssen wir anfangen. Ich möchte die Leute anstacheln, aus dem Rahmen auszubrechen, in der Schule ungehorsam zu sein, die Zunge rauszustrecken, die Autoritäten zu beleidigen.

YO: Wir dürfen nicht auf traditionelle Weise mit den Menschen kommunizieren — insbesondere mit dem Establishment. Wir sollten die Leute überraschen, indem wir neue Dinge auf eine völlig neue Weise sagen. Eine derartige Kommunikation kann eine fantastische Macht ausüben, solange man nicht tut, was von einem erwartet wird.

RB: Kommunikation ist entscheidend beim Aufbau einer Bewegung, aber schließlich ist sie wirkungslos, wenn man nicht auch eine Gewalt von unten aufbaut.

YO: Der Gedanke an Vietnam macht mich traurig, da es dort keine Alternative zur Gewalt zu geben scheint. Diese Gewalt hält sich seit Jahrhunderten aufrecht. In unserer Zeit, in der Kommunikation so rasch vonstatten geht, sollten wir eine andere Tradition schaffen, es werden jeden Tag Traditionen geschaffen. Heute sind fünf Jahre wie vorher hundert Jahre. Wir leben in einer Gesellschaft, die keine Geschichte hat. Es gibt keinen Präzedenzfall für diese Art von Gesellschaft, sodass wir mit alten Mustern brechen können.

TA: Nie hat eine herrschende Klasse ihre Macht freiwillig aufgegeben, und ich sehe nicht, dass sich das ändern wird.

RB: Menschen, die gegen die Unterdrückung kämpfen, werden von denen angegriffen, die ein Interesse daran haben, dass sich nichts ändert, die ihre Macht und ihren Reichtum bewahren wollen. Schau dir die Leute in Bogside und in der Falls Road in Nordirland an; sie wurden brutal von Spezialeinheiten der Polizei attackiert, als sie anfingen, für ihre Rechte zu demonstrieren. In einer Nacht im August 1969 wurden sieben Menschen erschossen und Tausende aus ihren Häusern vertrieben. Hatten sie nicht das Recht, sich zu verteidigen?

YO: Deshalb sollte man versuchen, diese Probleme anzugehen, bevor es zu einer solchen Situation kommt.

JL: Aber was machst du, wenn es passiert, was machst du dann?

RB: Die Gewalt der Massen gegen ihre Unterdrückung ist stets gerechtfertigt. Sie ist unvermeidbar.

YO: Aber in gewisser Weise hat doch die neue Musik gezeigt, dass sich die Dinge durch neue Kanäle der Kommunikation ändern können.

JL: Ja, aber, wie ich schon sagte, nichts hat sich wirklich geändert.

YO: Etwas hat sich geändert, und zwar zum Guten. Ich sage ja nur, dass wir vielleicht eine Revolution ohne Gewalt machen können.

JL: Aber du kannst nicht die Macht übernehmen ohne Kampf...

TA: Das ist der entscheidende Punkt.

JL: Wenn es darauf ankommt, werden sie den Leuten keine Macht überlassen; sie werden ihnen gestatten, vor ihnen aufzutreten und zu tanzen, aber eine reale Macht geben sie ihnen nicht...

YO: Auch nach der Revolution werden die Leute neu Probleme kriegen, wenn sie kein Vertrauen in sich selbst haben.

JL: Nach der Revolution gibt es das Problem, die Dinge am Laufen zu halten und all die verschiedenen Sichtweisen auszusuchen. Es ist ganz natürlich, dass Revolutionäre verschiedene Lösungen anbieten, dass sie sich in verschiedene Gruppen aufsplittern, aber gleichzeitig müssen sie gegen den Feind vereint sein, um eine neue Ordnung zu festigen. Ich kenne die Antwort nicht; offensichtlich ist sich Mao des Problems bewusst und hält die Sache in Gang.

RB: Die Gefahr ist, dass sich nach der Schaffung eines revolutionären Staates eine neue konservative Bürokratie herausbildet. Diese Gefahr nimmt zu, wenn die Revolution vom Imperialismus isoliert wird und es materiellen Mangel gibt.

JL: Wenn die neue Macht errichtet ist, muss ein neuer Status quo entstehen, damit die Fabriken, die Eisenbahn weiter funktionieren.

RB: Aber eine repressive Bürokratie verwaltet die Fabriken oder die Eisenbahn nicht unbedingt besser, als es Arbeiter in einem System revolutionärer Demokratie könnten.

JL: Ja, aber wir haben alle bürgerliche Instinkte in uns, wir werden alle müde und haben ein Bedürfnis, uns ein wenig zu entspannen. Wie willst du alles in Gang halten und die revolutionäre Begeisterung bewahren, nachdem du erreicht hast, was du dir vorgenommen hast? Natürlich hat Mao sie bei der Stange gehalten, aber was passiert, wenn Mao abtritt? Auch er benutzt einen Personenkult. Vielleicht ist das nötig; wie ich schon sagte, scheint jeder eine Vaterfigur zu brauchen.
Ich habe Chruschtschows Erinnerungen gelesen. Er schien zu denken, dass es falsch war, aus einem Individuum eine Religion zu machen. Aber das scheint auch nicht Teil des kommunistischen Grundgedankens zu sein. Wenn wir in Großbritannien die Macht übernehmen, haben wir die Aufgabe, mit der Bourgeoisie aufzuräumen und bei den Leuten ein revolutionäres Bewusstsein in Gang zu halten.

RB: Um in Großbritannien eine Revolution durchzuführen, muss eine neue Volksmacht geschaffen werden — d.h. in unserem Land im Wesentlichen eine Arbeitermacht, die wirklich von den Massen kontrolliert wird und ihnen gegenüber rechenschaftspflichtig ist. Nur eine wirklich tief verankerte Arbeitermacht kann den bürgerlichen Staat zerstören.

YO: Deshalb wird es anders sein, wenn die jüngere Generation die Sache in die Hand nimmt.

JL: Ich glaube nicht, dass es viel braucht, die Jugend wirklich in Bewegung zu bringen. Man muss ihnen freie Hand lassen, die Gemeinderäte anzugreifen oder die Autoritäten in der Schule zu zerstören, wie die Studenten, die die Repression an den Unis durchbrechen. Es passiert bereits, wenngleich die Leute noch mehr machen müssen.
Sehr wichtig sind auch die Frauen. Es wird keine Revolution geben, ohne Beteiligung und Befreiung der Frauen. Die männliche Überlegenheit wird einem auf so subtile Weise beigebracht. Ich habe lange gebraucht, bis ich verstanden habe, dass Yoko durch meine Männlichkeit von bestimmten Bereichen abgeschnitten wurde. Sie ist eine engagierte Verfechterin der Frauenemanzipation und zeigte mir schnell, was ich falsch machte, obwohl es mir schien, dass ich mich ganz natürlich verhielt. Deshalb bin ich immer daran interessiert zu wissen, wie Leute, die radikal sein wollen, Frauen behandeln.

RB: Auf der Linken hat es immer mindestens so viel männlichen Chauvinismus gegeben wie anderswo auch — obwohl der Aufstieg der Frauenbewegung hilft, dies zu ändern.

JL: Es ist lächerlich, von der Macht für das Volk zu sprechen, wenn man nicht versteht, dass das Volk aus beiden Geschlechtern besteht.

YO: Man kann nur jemanden lieben, wenn man ihm ebenbürtig ist. Eine Menge Frauen hängen aus Furcht oder Unsicherheit an Männern und das ist keine Liebe — im Grunde hassen deshalb Frauen Männer...

JL: ...und umgekehrt...

YO: Wenn du einen Sklaven im Haus hast, wie kann man da erwarten, dass du draußen eine Revolution machst? Für die Frauen besteht das Problem darin, dass wir, wenn wir versuchen, frei zu sein, natürlich einsam werden, weil so viele Frauen bereit sind, Sklavinnen zu werden, und Männer das gewöhnlich vorziehen. So gehst du immer ein Risiko ein und musst dich fragen: „Verliere ich dann meinen Freund?"

JL: Yoko war schon in der Frauenbewegung, bevor ich sie kennenlernte. Sie musste sich ihren Weg in einer Männerwelt erkämpfen — die Kunstszene wird völlig von Männern beherrscht. Deshalb war sie voll von revolutionärem Eifer, als wir uns kennenlernten. Es war nie eine Frage: entweder eine völlig gleichberechtigte Beziehung oder keine Beziehung, das sollte ich schnell lernen. Vor über zwei Jahren hat sie einen Artikel veröffentlicht, wo sie sagt: „Woman is the nigger of the world."

RB: Natürlich leben wir alle in einem imperialistischen Land, das die Dritte Welt ausbeutet, und unsere Kultur ist sogar daran beteiligt. Es gab eine Zeit, als Beatles-Musik von Voice of America ausgestrahlt wurde...

JL: Die Russen gaben aus, dass wir kapitalistische Roboter wären, was wir wohl auch waren...

RB: Sie waren ziemlich dumm, dass sie nicht gesehen haben, dass das etwas anderes war.

YO: Die Beatles, das waren Folksongs im 20.Jahrhundert im Rahmen des Kapitalismus; sie hätten auch nichts anderes machen können, wenn sie innerhalb dieses Rahmens kommunizieren wollten.

RB: Ich arbeitete gerade in Kuba, als Sgt Pepper rauskam, und damals haben sie angefangen, Rockmusik im Radio zu spielen.

JL: Ich hoffe, sie sehen, dass Rock and Roll nicht dasselbe ist wie Coca-Cola. Deshalb gebe ich jetzt deutlichere Stellungnahmen ab und versuche dieses Teeny-Bopper-Image abzuschütteln. Ich will die richtigen Leute erreichen und ich will das, was ich zu sagen habe, sehr einfach und direkt machen.

RB: Dein letztes Album klingt beim ersten Hören sehr einfach, aber die Texte, das Tempo und die Melodien bilden ein komplexes Ganzes, dessen man sich erst nach und nach bewusst wird. Wie der Titel „My Mummy‘s Dead” ein Echo auf das Kinderlied „Three Blind Mice” ist und von einem Trauma in der Kindheit handelt.

JL: Die Melodie macht‘s. Es war diese Art von Gefühl, fast wie ein Gedicht im Haiku- Stil. Den habe ich kürzlich in Japan kennengelernt und das ist einfach fantastisch. Wenn du einen ganzen Teil der Illusionen in deinem Kopf los wirst, bleibt dir eine große Genauigkeit. Yoko hat mir einige von diesen Haiku im Original gezeigt. Anstelle eines langen blumigen Gedichts würde ein Haiku etwa sagen: „Gelbe Blume in weißer Vase auf einem Holztisch”, und dann hast du wirklich das ganze Bild...

TA: Wie können wir hier in Großbritannien das kapitalistische System stürzen, John?

JL: Das geht nur, indem man den Arbeitern die wirklich unglückliche Position, in der sie sich befinden, bewusst macht. Sie glauben, in einem wundervollen freien Land zu leben. Sie haben Autos und Fernseher, und sie wollen nicht darüber nachdenken, dass es noch etwas anderes gibt im Leben. Sie sind bereit, sich von den Bossen kommandieren zu lassen, ihre Kinder in der Schule verderben zu lassen. Sie träumen den Traum eines anderen, es ist ja nicht mal ihr eigener Traum. Sie müssten begreifen, dass die Schwarzen und die Iren schikaniert und unterdrückt werden und dass sie selbst die nächsten sein werden.
Sobald ihnen das alles bewusst wird, können wir wirklich anfangen, etwas zu tun. Dann können die Arbeiter beginnen, das Ruder zu übernehmen. Wie Marx gesagt hat: „Jedem nach seinen Bedürfnissen.” Ich glaube, das würde hier gut funktionieren. Aber wir müssen auch die Armee infiltrieren, denn sie werden gut trainiert, uns alle umzubringen.
Wir müssen da anfangen, wo wir selbst unterdrückt werden. Ich glaube, es ist falsch, anderen zu geben, wenn die eigenen Bedürfnisse so groß sind. Die Idee ist nicht, anderen Trost zu spenden oder ihnen ein besseres Gefühl zu verleihen, sondern dass sie sich schlechter fühlen, ihnen ständig die Erniedrigung und Demütigung, die sie durchmachen, vor Augen zu halten.

(Übersetzung: Hans-Günter Mull)




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