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Mit seiner nach nur einem Jahr bereits in vierter Auflage vorliegenden Kurzen Geschichte der Demokratie hat
sich der italienische Altphilologe Luciano Canfora zum Bestsellerautoren der deutschen Linken gemausert. Jüngst veröffentlichte der
Verlag PapyRossa deshalb ein weiteres Werk, mit dem sich Canfora thematisch nicht sehr weit weg bewegt von seinem Demokratie-Buch.
Mit seinem Bestseller und der sich in den Jahren 2006 und 2007 um ihn
rankenden Feuilleton-Debatte ist Luciano Canfora nicht unumstritten geblieben. Grund genug also für mich als einem seiner heftigsten
Kritiker, einen Blick auf das neue Werk zu werfen um zu klären, ob meine damalige Kritik einer selbstkritischen Korrektur bedarf.
In seinem neuen Büchlein kaum mehr als ein umfangreicher Essay
polemisiert der Historiker gegen den militärischen „Export der Freiheit”, der seit den 90er Jahren zu einem
integralen Teil herrschender Politiklegitimation geworden ist. Canfora blickt in fünf kleinen Kapiteln in die Geschichte, auf den
antiken Kampf zwischen Athen und Sparta, auf Napoleons „Befreiungskriege”, auf den Zweiten Weltkrieg, den Einmarsch der
sowjetischen Truppen nach Afghanistan 1979ff. und auf den anhaltenden Irakkrieg der USA, und kommt auf Seite 74, nach 63 ausgesprochen
großzügig gesetzten Seiten zu dem Ergebnis, dass die „in diesen Kapiteln dargestellten Geschehnisse erhellen, wie das
Programm des Exports eines Ideals und politischer Modelle (Freiheit, Demokratie, Sozialismus
etc.) in Wirklichkeit Machtansprüche verdeckt”
Das ist zwar nicht sehr originell (genauso wenig wie die in den Kapiteln
dargestellten historischen Sachverhalte), aber immerhin. Und sein eine Seite weiter formuliertes Diktum, dass das Programm eines Exports der
Freiheit „unhaltbar” sei, hört man als Humanist und Linker nicht ungern. Verwundert ist man allerdings, warum Canfora 17
Seiten zuvor das glatte Gegenteil behauptet ("[n]iemand kann leugnen, dass Vietnam in Kambodscha und die Sowjets in Afghanistan die
Freiheit gebracht haben") und zwei Seiten danach, im Angesicht der fundamentalistischen Bedrohung der neuen Weltordnung, der Pax
americana vorwirft, dass sie sich „ ein halbes Jahrhundert lang dafür entschieden hatte, die Verbreitung des
sowjetischen Modells in der arabisch-islamischen Welt wie auch immer zum Scheitern zu bringen, also zu verhindern, dass es sich
über die Grenzen des damals verweltlichten sowjetischen Asien hinaus verbreitete”
Einmal mehr verbirgt sich hier hinter einem feuilletonistischen Stil
analytische Schwäche. So wie es Canfora in seinem Demokratie-Buch an einem kritischen Begriff von Demokratie fehlt, fehlt es ihm in
seinem Freiheit-Büchlein auch an einem kritischen Begriff von Freiheit. Seine Freiheit ist die staatliche Autonomie, explizit wie
implizit. Dieses rein bürgerliche Politikverständnis erlaubt ihm die Aussage, dass im „Zentrum des gesamten Dramas ... das im
Lauf der Geschichte wiederholt aufgeführt werden sollte ... der Schutz des egoistischen Interesses des Landes (steht), das unter
unermesslichen Opfern einen epochalen Wandel in Gang gebracht hat”, und das „untrennbar einhergeht mit der Gewissheit, dass
selbiges mit dem Interesse aller übereinstimmt: auch mit dem derjenigen, die, um es mit dem zeitgenössischen Ausdruck zu
formulieren, nicht befreit werden wollten” Das ist durchaus nicht kritisch gemeint, sondern apologetisch, denn solch
Härte und Eroberungsgeist seien eben „Teil der menschlichen Natur. Und wir, ausgestattet mit dem Wissen der
Nachgeborenen, werden sicherlich nicht diejenigen sein, die sich darüber wundern.” Warum nicht? Weil uns solch Jakobinertum
treffender wäre auch hier: Machiavellismus „in vielem ein Erbe an Ideen und Kritik erhalten (hat), insofern es durch die
Härten der Geschichte gezwungen war, über sich selbst hinauszuwachsen”
Dieses ausschließlich auf staatliche Machtpolitik, die großen
Männer der Geschichte und eine geschichtsphilosophische Weltgeistphilosophie setzende von mir schon am Beispiel seines
Demokratie-Buchs aufgezeigte bürgerliche Politikverständnis erlaubt Canfora auch hier das erneute Lob für den
Sozialistenschlächter Stalin, den er abermals unverhohlen als „charismatische Persönlichkeit” bezeichnet und diesmal
mit dem antiken Kriegerhäuptling Vercingetorix vergleicht, weil beide „für die Freiheit ihres Volkes” (sic!)
kämpften.
Und obwohl in einem solchen zur menschlichen Natur verklärten
Politikverständnis eigentlich alles gleich ist, hat der linke Zyniker kein Problem damit, sich für die eine Seite im ewigen
Titanenkampf zu entscheiden. Für ihn ist die schon längst zusammengebrochene UdSSR eine „Supermacht des Guten”, die er
in volksfrontkommunistischer Tradition und gleichsam postum (das gibt ihm seinen abgestandenen Geschmack) den Siegern der Geschichte als
Bündnispartner gegen die neuen Fundamentalismen andienen möchte (siehe oben). Dass sie so jämmerlich zusammengebrochen ist,
führt er dabei darauf zurück, dass sie nach Stalins Tod ihr internationales Ansehen nur unentschlossen und widersprüchlich
verwaltet habe, anstatt entschlossen und hemmungslos das Spiel der Macht weiterzuspielen. Anlässlich des sowjetischen Einmarschs in
Afghanistan 1979ff. schreibt er: „[d]ie Macht der Medienmanipulation [der USA] und die sowjetische Unfähigkeit, dem eine
gleichwertige und zuwiderlaufende Lügenmaschine entgegenzustellen, waren damals ... [e]in Zeichen dafür, dass der sowjetische
Niedergang unumkehrbar geworden war” Einer solchen „für die UdSSR in ihren letzten Lebensjahrzehnten typischen
Unterschätzung der Öffentlichen Meinung” ist jedenfalls Väterchen Stalin nicht erlegen, denn der wusste,
„wie wichtig diese war: die gesamten dreißiger Jahre hindurch hat er sich wirkungsvoller Propagandisten in allen Ecken des
Planeten zu bedienen gewusst” In der Tat waren die damals in der UdSSR regierende Schicht und ihre willigen propagandistischen
Vollstrecker im Westen die wirkungsvollste Fälscherbande und Lügenmaschine, die die Geschichte jemals gesehen hat. Kritisch zu
hinterfragen, ob dies auch Leitbild für moderne Sozialisten sein kann, dürfte dagegen für Canfora kaum mehr als utopistisches
Abenteurertum sein, denn so sei nun mal die große Politik...
So wie wir in seinem Demokratie-Buch gelernt haben, dass demokratische Werte,
Bedürfnisse, Bewegungen und Institutionen im Kampf gegen die herrschende Aushöhlung bürgerlicher Demokratie nicht von Belang
sind, weil sie einzig Manipulationsmittel der Herrschenden seien, so lernen wir in diesem zum Buch aufgedunsenen Essay, dass Freiheit kein
Wert an sich sei. Konsequent offenbart uns Canfora bereits in der Einleitung das Ergebnis seiner ganzen Weisheit. So ausgiebig wie zustimmend
zitiert er dort den nach rechts gewendeten Ex-Linken Benedetto Croce, der nach dem Zweiten Weltkrieg auf die Frage, ob man der herrschenden
Freiheitsrhetorik eine eigene Sprache der Freiheit entgegensetzen solle, antwortete: „Dies wäre eine vergebliche Kritik.” So
ist nun mal die Politik da sind sie sich einig: die Konservativen von rechts wie von links.
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